Karrierekatalysator Pferd. Der Krakauer Schlachten- und Historienmaler Wojciech Kossak (1857–1942) als Staatskünstler des Deutschen Kaiserreiches und der Zweiten Polnischen Republik[1]
Von Stefan Troebst
Zum Ende hin waren es Cowboys: In den Steppen Kaliforniens ist ein grellbuntes Ölgemälde betitelt, das der im habsburgischen Galizien als Adalbert Ritter von Kossak geborene 73-jährige polnische Malerfürst mit „Wojciech Kossak, California, Rancho del Garasson, 1930“ signiert hat. Es zeigt einen Reiter in befranster brauner Lederhose, blauer Jeansjacke, rotem Halstuch und weißem Stetson-Hut inmitten einer Herde wild galoppierender Pferde.[2] Farblich wie vom Sujet her knüpfte Kossak damit an frühere Werke an, etwa an sein großformatiges dramatisches Ölgemälde Tscherkessen in der Krakauer Vorstadt von 1912, das ein knutenschwingendes, pelzbemütztes und im Wortsinne bis an die Zähne bewaffnetes kaukasisches Reiterschwadron zeigt, welches im Auftrag des Zaren unter Inkaufnahme ziviler Opfer rücksichtslos über die Hauptstraße des damals russischen Warschau prescht.[3] Kossak verkörperte somit Zeit seines Lebens die ausgeprägte polnische Pferdekultur, deren Traditionslinie vom halbwilden Konik („Polenpony“) des Mittelalters über den polnischen Offizier Kazimierz Pulaski, US-amerikanischer General im Unabhängigkeitskrieg und „Father of the American Cavalry“, bis zum heutigen Staatsgestüt Janów Podlaski mit seiner alljährlichen weltberühmten Araber-Schau Pride of Poland führt.[4]
Die Vorliebe, ja Obsession für Pferde- und Reiterbilder war bereits seit Kossaks Krakauer Gymnasiastentagen offenkundig: Parforce-Jagden und Pferdemärkte, später Kavallerieattacken und Porträts hoch zu Ross waren und blieben seine Leidenschaft wie Spezialität. Schon 1874, als 17-jähriger, veröffentlichte er eine mit Araberhengst betitelte Zeichnung in einer führenden Warschauer Kulturzeitschrift.[5] Fast alle seine Selbstporträts zeigen ihn auf oder zumindest mit einem Pferd, und wegen seiner Reiterbilder von Napoleon, Tadeusz Kosiuszko oder den Generälen John Pershing, Maxime Weygand und Józef Haller ist er bis heute in Polen bekannt. Und ebenfalls auf fast allen seiner Bilder sind Pferde zu sehen, und sei es nur ein einzelnes totes. Unter seinen besonders populären Gemälden bildet lediglich ein einziges, nämlich das der polnischen „jungen Adler“ bei der Verteidigung des Lemberger Lyczakowski-Friedhof 1918 gegen Ukrainer, die regelbestätigende Ausnahme.[6]
Polenweiten Ruhm erlangte der an Kunstakademien in Krakau, München und Paris ausgebildete k.u.k.-Ulan Kossak[7] bereits 1894 durch das monumentale Lemberger Panorama der Schlacht von Raclawice zwischen den unterlegenen zaristischen Truppen und einer nur mit Sensen bewaffneten, siegreichen polnischen Bauernarmee unter Kosciuszko von 1794. Dieses gemeinsam mit Jan Styka angefertigte und 15 x 120 Meter große Rundgemälde[8] trug zum Durchbruch des neuen Mediums Panorama in Europa bei und hatte in der polnischen Gesellschaft eine fulminante Wirkung, die bis heute anhält.[9]
Kossaks Werk spiegelt eine Epoche wider, die in Krieg und Frieden, Politik und Kultur, Alltag und Feiertag, Beruf und Freizeit „hippozentriert“, das heißt vom Pferd geprägt war.[10] Hierauf gründete er zielstrebig eine einträgliche und zumeist glänzende europäische sowie transatlantische Künstlerkarriere. Dabei sicherten ihm seine in jagdlicher, militärischer, reitsportlicher, zeichnerischer und malhandwerklicher Praxis erworbenen profunden Kenntnisse von Physiognomie, Körperbau und Bewegungsabläufen des domestizierten Einhufers einen entscheidenden Vorteil vor der zahlreichen internationalen Konkurrenz. Zugute kam ihm überdies seine familiäre Vorprägung, denn sein Vater Juliusz Kossak war ebenfalls ein prominenter Maler, der für seine Porträts, vor allem aber für seine Reiter- und Schlachtengemälde, bekannt war. Wojciechs Zwillingsbruder Tadeusz opponierte als polnischer Patriot in der Teilungszeit gegen die russische Besatzungsmacht, was ihm 1907 eine Haftstrafe eintrug. Wojciechs Sohn Jerzy trat als Maler militärischer Sujets in die Fußstapfen von Vater und Großvater. Und auch Enkelin Gloria versuchte sich als Malerin.[11]
Auch wenn Kossak im Polen der Gegenwart eindeutig dem Pantheon polnisch-patriotischer Kunstschaffender zugerechnet wird, wiesen doch seine Karrierestationen multiethnisch-habsburgische und überseeisch-kommerzielle Züge, ja sogar eine staatstragend preußisch-deutsche Komponente auf. Denn seine durch das Raclawice-Panorama bedingte Berühmtheit trug ihm einen lukrativen Folgeauftrag in der Hauptstadt des deutschen Kaiserreiches ein, wo mit Juliusz Falat bereits seit 1887 ein anderer polnischer Maler als Hofkünstler Wilhelms II. wirkte. Von 1895 an arbeiteten Kossak und Falat in kaiserlichem Auftrag an dem Berliner Panorama Übergang der napoleonischen Truppen über die Beresina 1812, welches den französischen Rückzug aus Russland zeigte. Wie bereits beim Lemberger Panoramabild bestand Kossaks Aufgabe vor allem darin, Personen und Pferde zu malen, wohingegen Falat als künstlerischer Leiter primär für die Landschaft zuständig war.[12]
Die Eröffnung des Beresina-Panoramas am 1. April 1896 war ein voller Erfolg, sodass Kossak zahlreiche neue Aufträge, darunter einen für ein Porträt des Kaisers hoch zu Ross, erhielt. Zu diesem Zweck wurde Wilhelm II., wie eine Fotografie von 1899 zeigt, auf Kossaks wichtigstes Hilfsmittel gesetzt, nämlich nicht auf ein echtes Pferd, sondern auf das gleichnamige Turngerät.
Bild 1: Kaiser Wilhelm II. sitzt Wojciech Kossak Modell für ein Reiterporträt (1899), in: Olszanski, Wojciech Kossak, Fig. 17, S. 24.
Der hochbeinige hölzerne Reittierersatz ist auch auf etlichen Fotografien erkennbar, die anlässlich eines der zahlreichen Besuche des Kaisers in Kossaks Atelier im Schloss Monbijou im Zentrum Berlins gemacht wurden: In Begleitung des Berliner Historienmalers Adolph Menzel betrachtet der in Uniform und Pickelhaube gekleidete Hohenzoller Kossaks fast fertiggestelltes Großgemälde Die Schlacht bei Zorndorf am 25. August 1758, welches heute im Gebäude der E.ON AG in Potsdam hängt.[13]
Bild 2: Wojciech Kossak, Wilhelm II. und Adolph Menzel in Kossaks Atelier im Berliner Schloss Monbijou vor Kossaks Bild „Die Schlacht bei Zorndorf am 25. August 1758“ (1899), in: Olszanski, Wojciech Kossak, Fig. 13, S. 21.
In dieser Schlacht des Siebenjährigen Krieges errangen preußische Truppen einen Überraschungssieg über ihren russischen Gegner und dies pikanterweise, weil sich der Kavalleriegeneral Friedrich Wilhelm von Seydlitz dem ausdrücklichen Befehl des Vorgängers Wilhelms II., Friedrichs des Großen, widersetzt hatte. Ebenfalls 1899 malte Kossak in Anlehnung an die genannten Fotografien sein Bild Kaiser Wilhelm II. und Menzel in Kossaks Atelier – allerdings unter Weglassen des besagten, von Turnvater Jahn erfundenen Übungsgeräts.[14]
Kossaks Loyalität zu „meinem ehrwürdigen und mächtigen Mäzen“, wie er Wilhelm II. in seinen Memoiren nennt[15], hatte profane Gründe: „Der Kaiser zahlt großzügig und schnell.“[16] Hinzu kam allerdings die aufrichtige, ja euphorische, Bewunderung seines von allem Militärischen begeisterten Auftraggebers für seine Kunst: „Donnerwetter! Bei Schulte habe ich ein großes Bild von Ihnen gesehen […]. Da rasen die wilden Baschkiren durch eine Straße von Warschau mit Jatagans in den Zähnen und Nagajkas in der Faust, ein famoses Bild […]. Dann bei Ihrem Kaiser [Franz Joseph I. von Österreich Ungarn – Anm. d. Verf.] in Schloss Lainz, in seinem Arbeitszimmer hängt ein Bild von Ihnen. Da stürmt eine hellgraue Infanterie zur Attacke, der Offizier und der Trompeter zu Pferde im Trab! Wissen Sie, dass das Bild mein Lieblingsbild ist?“[17]
Es war eben dieses Action-Element sowie das Faible für Bewegung, Kampf und Uniformen, wodurch sich Kossaks dynamische Gemälde von den eher statischen seiner deutschen Zeitgenossen unterschieden und wodurch er bei der militärischen Elite des Kaiserreiches und ihrem obersten Dienstherrn, aber auch bei Adel wie national gesinntem Bürgertum und Intelligenz, zum Favoriten wurde.
Wie eng das Verhältnis Kossaks zu Kaiser und Kaiserin mit der Zeit wurde, belegte eine Einladung zu einem diner à trois ins Berliner Stadtschloss, wo der Hausherr über „Likören, riesigen Gläsern bayerischen Bieres, Zigarren und Zigaretten“ seinem Gast eine besondere Ehre erwies: „An jenem Abend sprang er, nachdem die Kaiserin sich zurückgezogen hatte, die Zigarre im Mund, plötzlich auf und rief lebhaft: ,Ja, Kossak, ich muss Ihnen doch die Polnischen Kammern zeigen!‘“[18] – eine prunkvolle, 1726 für den polnisch-sächsischen König August den Starken eingerichtete Gästewohnung des Schlosses, in der Antoine Watteaus Gemälde L’Embarquement pour Cythère und andere Kunstschätze hingen. Besonders bewegt war Kossak, als Wilhelm II. und Auguste Viktoria von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg nach ihrer pompösen Rückkehr von einer mehrwöchigen Reise ins Osmanische Reich im Herbst 1898 ihn umgehend in seinem Atelier besuchten: „Das war ein großer Gnaden- und Sympathiebeweis […]. Das kaiserliche Paar, braun gebrannt, angeregt und sehr zufrieden mit der Reise. Der Kaiser begrüßte mich mit dem Ausdruck größten Bedauerns, dass ich nicht bei ihm gewesen war.“[19] Die China-Reise, zu welcher der Kaiser Kossak später einlud, fand des Boxer-Aufstandes von 1900 wegen indes nicht statt.
Zum Zeichen des Protests gegen eine Rede Wilhelms II. 1902 auf der Marienburg der Deutschordensritter, in der dieser, in einen Kreuzrittermantel gehüllt, zum Kampf gegen „polnischen Übermut“, der „dem Deutschtum zu nahe treten“ beabsichtige, aufrief[20], und unter dem Druck der Kritik der polnischsprachigen Presse wegen seines engen Verhältnisses zu den Hohenzollern, übersiedelte Kossak von Berlin ins heimische Krakau. Hier wandte er sich zunehmend polnisch-patriotischen und germanophoben Sujets zu, was insbesondere für seinen 1909 geschaffenen Gemäldezyklus Preußischer Geist galt. Die Titel der vier Bilder sprachen dabei für sich: Das Apostelamt des Deutschen Ordens. Menschenjagden, Ausweisung [von Polen, Anm. d. Verf.] aus Preußen, Preußischer Eid. Der räuberische Lehensmann und Noch ist Polen nicht verloren. Gravelotte 1870.[21] Unmissverständliche Botschaft dabei war, dass Zusagen Brandenburg-Preußens an die polnisch-litauische Adelsrepublik und Versprechen Preußen-Deutschlands an seine polnischen Untertanen nicht zu trauen war, und zwar weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart und mutmaßlich auch nicht in der Zukunft. Dies hinderte Kossak indes nicht daran, 1913 für längere Zeit nach Berlin zurückzukehren und zahlreiche Auftragswerke zu preußisch-militärischen Sujets auszuführen. Auch die britische Hauptstadt London sowie die USA, die er mehrfach bereiste, gehörten nun zunehmend zu seinen Zielen der Auftragsakquise.
Den Ersten Weltkrieg verbrachte Kossak als österreichisch-ungarischer Kavalleriehauptmann zumeist malend. Als ihn Wilhelm II. bei einem Treffen in Krakau 1915 um ein Porträt gemeinsam mit seiner Generalität bat, lehnte Kossak dies ebenso ab wie den Porträtwunsch von Generaloberst Hans von Beseler, damals Generalgouverneur des deutschen Generalgouvernements Warschau.[22] So sehr sich Kossak jedoch nach dem Ersten Weltkrieg der 1918 gegründeten Zweiten Polnischen Republik als Staatsmaler andiente, so stark haftete ihm doch das Odium des national unzuverlässigen Kosmopoliten, gar Preußenknechts und auf Kommerz bedachten Opportunisten an. Dem setzte er heroisierende Gemälde mit zeithistorisch-polnischem Bezug entgegen, die ihm rasch neuerliche Popularität verschafften. Auf dem Bild Vermählung Polens mit dem Meer von 1931 bemühte er sich mit einigem Erfolg, den neuen maritimen Staatmythos des nicht minder neuen polnischen Staates öffentlichkeitswirksam einzufangen: Nach dem Vorbild des Dogen von Venedig hatte der genannte polnische General Haller 1920 in Puck (Putzig), gelegen im polnischen „Korridor“ zwischen dem Deutschen Reich und seiner Exklave Ostpreußen, einen Ring in die Ostsee geworfen, um dergestalt den Groß-, See- und Kolonialmachtanspruch des wieder gegründeten Polen symbolisch zu unterstreichen.[23] Bis heute stehen daher in Polen Haller und Kossak für das visualisierte Selbstverständnis der rekonstruierten polnischen Staatlichkeit. Dies gilt in vergleichbarem Maße für Kossaks markiges Reiterporträt von Marschall Józef Pilsudski von 1928, das sich überdies als Selbstzitat auf Kossaks Gemälde Apotheose des polnischen Heeres von 1935 wiederfindet.[24] Einem Denkmal seiner selbst gleich blickt der Staatsgründer hier von seinem Pferd Kasztanka („Fuchsstute“) in eine wohl nicht nur meteorologisch bewegte, aber dennoch militärisch gut abgesicherte Zukunft von Staat und Nation.
Bild 4: Kossak, Wojciech, Marszalek Józef Pilsudski na „Kasztance“ [Marschall Józef Pilsudski auf der „Fuchsstute“] (1928). Öl auf Leinwand, 109 x 93 cm, Muzeum Narodowy, Warschau, Polen.
Kossaks Pilsudski-Bild wies im Vergleich zu anderen zeitgenössischen Produkten staatstragenden Bildschaffens insofern ein retrogrades Element auf, als es keinen Bezug auf den expliziten Modernitätsanspruch des neuen Polen nahm. Denn dieser manifestierte sich in einer forcierten Industrialisierungs-, Städtebau- und Infrastrukturpolitik sowie dem genannten Maritimitätskult. Dies wird etwa im Vergleich zu dem 1936 von Marian Mokwa geschaffenen Ölgemälde M. S. Pilsudski deutlich, das einen im Jahr zuvor in Dienst gestellten hochmodernen und über den Topp mit den Nationalfarben beflaggten Transatlantik-Passagierdampfer als Allegorie des polnischen Staatsschiffs in rauer See zeigt[25] – 12.000 mechanische PS gegen Kossaks eine lebendige Pferdestärke.
Erneut waren es vor allem die durch einen aufwendigen Lebensstil in seinem Krakauer Villenanwesen Kossakówka bedingten materiellen Zwänge, die Kossak auch in der Zwischenkriegszeit mehrfach in die USA reisen ließen, wo er jetzt „Yankees und Yankeeinnen […] gegen neuen Ruhm und Dollars“ malte – durchgängig hoch zu Ross, versteht sich.[26] Sein Vorhaben, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten einen Staatsauftrag für ein großes Panoramagemälde zur US-amerikanischen Geschichte zu erhalten, scheiterte indes an seiner ausländischen Staatsbürgerschaft.[27] Den Überfall der Wehrmacht von 1939 auf Polen und den anschließenden nationalsozialistischen Besatzungsterror erlebte Kossak als 83-jähriger, aber rüstiger und malerisch produktiver Greis in seiner Heimatstadt. Das Passfoto in seiner vom „NS-Stadthauptmann der Stadt Krakau im Generalgouvernement“ am 18. März 1942 ausgestellten Kennkarte zeigt einen bedrückten, aber zugleich gefassten Mann, dem man seinen nahen Tod am 29. Juli desselben Jahres nicht ansieht.[28] Als der Generalgouverneur der besetzten polnischen Gebiete, der in Sichtweite von Kossaks Anwesen auf dem Krakauer Wawel residierende NS-Jurist Hans Frank, dem betagten Malerfürsten bestellen ließ, er wünsche von ihm porträtiert zu werden, lehnte dieser mit der Begründung ab, er male aus Altersgründen nicht mehr.[29] Dies war eine Notlüge, zu der unter dem deutschen Okkupationsregime ein beträchtliches Maß an Mut gehörte, hätte sie doch leicht in Inhaftierung, Deportation und Ermordung resultieren können – zumal Kossaks Atelier, wie aus etlichen zeitgenössischen Fotografien erhellt, überfüllt mit halbfertigen Gemälden, Porträtskizzen und Arbeitszeichnungen war, die seinen Weigerungsgrund schlagend widerlegten. Offensichtlich hat er bis zu seiner Todesstunde gemalt.
Ungeachtet des Verhaftetseins im 19. Jahrhundert und des Ruchs der Germanophilie rückte Kossak zumindest posthum in die erste Reihe patriotischer Nationalkünstler Polens auf, und dies nicht erst in der 1989 von Solidarnosc erkämpften Dritten Polnischen Republik, sondern bereits in der kommunistischen Volksrepublik der Jahre 1944–1989: 1976 erschien in Breslau ein großformatiger Kunstband über Kossaks Œuvre in kleiner Auflage, der nicht zuletzt des dort wiedergegebenen Reiterporträts von Pilsudski wegen umgehend zur bibliophilen Rarität wurde.[30] Aufgrund der gewaltigen Nachfrage erlebte der Band 1982 – zu Zeiten des Kriegsrechts, als General Wojciech Jaruzelski sich als polnischer Patriot zu profilieren suchte – eine mit 50.000 Exemplaren ungewöhnlich hohe Neuauflage, die mitten in der katastrophalen Wirtschaftskrise des Landes in Jugoslawien gegen Devisen aufwendig gedruckt wurde.[31] Nicht nur populäre Darstellungen der Geschichte Polens sind seitdem durchgängig mit Kossaks Bildern illustriert, sondern gerade auch Schulbücher und andere Lehrmaterialien.[32] Auch das maßgeblich von Kossak geschaffene Lemberger Raclawice-Panorama von 1894, das 1944 angesichts der herannahenden Roten Armee abmontiert und versteckt sowie 1946 ins jetzt polnische Breslau gebracht worden war, kam nun zu neuen Ehren: Der Ende der 1960er-Jahre gefasste Plan der Breslauer Stadtoberen, es in einer neu gebauten Beton-Rotunde im Stadtzentrum zugänglich zu machen, wurde zwar unter Parteichef Edward Gierek mit Rücksicht auf die sowjetischen Hegemonialmacht (und auf das Hauptquartier der Warschauer Pakt-Truppen im nahe gelegenen Liegnitz) vorübergehend gestoppt. Doch ordnete Jaruzelski die Fertigstellung des Baus an, so dass dieser 1985 eröffnet werden könnte. Seitdem ist Kossaks aus Galizien nach Niederschlesien verlegtes Raclawice-Panorama eine veritable Weihestätte polnischen Nationalgefühls, die 1997 auf ausdrücklichen Wunsch Johannes Pauls II. in das päpstliche Besuchsprogramm aufgenommen wurde und jährlich ca. eine Million Besucher, darunter zahlreiche Schulklassen, anzieht. In Polen kennt den Pferde-, Reiter-, Schlachten- und Historienmaler Kossak heute daher weiterhin buchstäblich jedes Kind.
Von Reinhart Koselleck stammt ein welthistorisches Periodisierungsmuster, demzufolge die Zähmung des Pferdes – des „Tiers, das in der Symbiose mit dem Menschen diesem am nächsten steht“[33] – eine „hippologische Wende“ in der Zivilisationsgeschichte darstellte, die um das Jahr 4000 v. Chr. ein „Pferdezeitalter“ einleitete, welches erst mit dem Beginn der Moderne endete: Zunächst in Industrie, Transportwesen, Kommunikation und Kriegsführung, dann auch in der Landwirtschaft wurde das Pferd durch Maschinen ersetzt.[34] Im Nachpferdezeitalter kommt den dienstbaren Equiden eine neue, indes nur noch marginale Rolle in Sport und Freizeit zu – lediglich das Polizeipferd erinnert heute noch an die 6.000 Jahre davor.
Kossaks Heimat Polen nimmt sich bezüglich Kosellecks Zäsursetzung als Nachzügler aus: Nicht nur im Agrar- und Transportbereich, sondern auch und gerade in staatlicher Repräsentation und im Militärwesen befand sich die Zweiten Polnische Republik noch im Pferdezeitalter. So wiesen die Streitkräfte mit 40 Regimentern einen wesentlich höheren Anteil an Kavallerie als andere Armeen Europas auf. Dass jedoch 1939 polnische Kavalleristen deutsche Panzer mit Lanzen und Säbeln angegriffen hätten, war, wie man heute weiß, eine NS-Propagandalüge. Die überaus beweglichen und geländegängigen berittenen Truppen waren primär als Aufklärer eingesetzt und hatten die Lanze durch panzerbrechende Waffen ersetzt. Zwar schaffte die 1944 gegründete kommunistische Polnische Volksarmee 1949 die letzte berittene Einheit ab, doch wurde innerhalb der Streitkräfte der demokratischen Republik Polen im Jahr 2000, kurz nach dem Beitritt des Landes zur NATO, zu zeremoniellen Zwecken erneut eine Ulanen-Einheit aufgestellt, um dergestalt die Erinnerung an diese spezifisch polnische militärische Tradition wach zu halten.
Wie sehr der Künstler Kossak Repräsentant des Pferdezeitalters war, belegt das Gemälde Die Vision des Wojciech Kossak, das sein gleichfalls malender Sohn Jerzy Kossak 1942, im Todesjahr seines Vaters, schuf.[35] Es zeigt im Vordergrund ein auf Fotografien zurückgehendes Porträt Wojciech Kossaks als alten Mann in Zivilkleidung, in der Bildmitte die Attacke eines Ulanen-Schwadrons der Zweiten Polnischen Republik und im Bildhintergrund eine lange Kette von Kavalleristen, in der Kosciuszko zu Pferde in eben der Pose, Uniform und Bewaffnung erkennbar ist, wie ihn Wojciech Kossak 1893 für das Lemberger Panorama der Schlacht von Raclawice 1794 gemalt hatte.
So polnisch-national sich der europaweit wie überseeisch tätige Krakauer Malerfürst auch stilisiert hat, so geschmeidig hat sich der österreichisch-ungarische Untertan während seines immerhin siebenjährigen Berliner Karriereschubs seiner teutonischen Umgebung adaptiert. Person und Karriere des Künstlers Wojciech Kossak stehen damit zugleich für den Bruch im polnisch-deutschen Verhältnis, der durch Preußens maßgeblichen Anteil an den Teilungen Polens im ausgehenden 18. Jahrhundert, vor allem aber durch die repressive Wende in der Politik des Kaiserreiches gegenüber der polnischsprachigen Bevölkerung seiner Ostprovinzen am Ende des 19. Jahrhunderts bewirkt wurde. Zwar kann für die Zeit davor wohl kaum von einer preußisch-polnischen Symbiose gesprochen werden, doch zeugt das intime Verhältnis von Berliner Hofgesellschaft und polnischen Hofkünstlern um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert von hochgradiger kultureller Affinität. Es war die mitunter atemberaubende Mischung von Gespür für den Zeitgeist, von nationalideologischer Flexibilität und ausgeprägtem Geschäftssinn, die Kossaks zeit seines langen Lebens auszeichnete und seinem Œuvre bei aller Zeitgebundenheit wenn nicht Zeitlosigkeit, so doch transzendente Verwendbarkeit verleiht. Pferde und Reiter im gestreckten Galopp sind und bleiben ungeachtet der Rasse und Fellfarbe bzw. Uniform und Staatsangehörigkeit eben vor allem Tiere und Menschen in synchronisierter Aktion.
[1] Essay zur Quelle: Wilhelm und Wojciech: Der deutsche Kaiser und sein polnischer Hofmaler (1899, 1928). Die Druckversionen des Essays und der Quellen finden sich in: Isabella Löhr, Matthias Middell, Hannes Siegrist (Hgg.): Kultur und Beruf in Europa, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2012, S. 37–50, Band 2 der Schriftreihe Europäische Geschichte in Quellen und Essays.
[2] Kossak, Wojciech, Na stepach kalifornijskich (1930), in: Olszanski, Wojciech Kossak, Bildteil, Abb. 233. Eine frühere Fassung des Bildes aus dem Jahr 1927 wurde 2012 zum Preis von 570.00 Zloty (ca. 120.000 Euro) zum Kauf angeboten. Vgl. Artlist, URL: (20.09.2013).
[3] Kossak, Wojciech, Cerkiesi na Krakowskim Przedmiesciu (1912), in: Olszanski, Wojciech Kossak, Bildteil, Abb. 182. Dieses sowie eine Reihe weiterer unten genannter Gemälde Wojciech Kossaks sind auf der Website Polskie malarstwo historyczne [Polnische Historienmalerei] wiedergegeben, URL: (20.09.2013).
[4] Riechelmann, Cord, Pferd, in: Peter, Stefanie (Hg.), Alphabet der polnischen Wunder. Ein Wörterbuch, Frankfurt am Main 2007, S. 196–198.
[5] Kossak, Wojciech, Arabczyk (1874), in: Olszanski, Wojciech Kossak, Bildteil, Abb. 6. Die Zeichnung wurde 1874 in Nummer 364 der Zeitschrift Tygodnik Ilustrowany veröffentlicht: Ebd., S. 63.
[6] Kossak, Wojciech, Orleta – obrona cmetarza [Die jungen Adler – Verteidigung des Friedhofs] (1926), 90 x 120 cm, Öl auf Leinwand, Muzeum Wojska Polskiego, Warschau, URL: (20.09.2013).
[7] Zu Kossaks Ausbildungs- und Karrierestationen vgl. Konstantynów, Dariusz, Polnische Künstler in München, in: Omilanowska, Malgorzata (Hg.), Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte, Berlin 2011, S. 462–467; Dyroff, Stefan, Wojciech Kossak. Panorama- und Schlachtenmaler für Deutsche und Polen. Deutsch-polnische Denkwürdigkeiten in seinem Werk, seinem Umfeld und seiner Rezeption, in: Omilanowska, Malgorzata; Straszewska, Anna (Hgg.), Wanderungen. Künstler – Kunstwerk – Motiv – Stifter, Warschau 2005, S. 79–101.
[8] Górecka, Elzbieta, Panoramy Wojciecha Kossaka i Jana Styki [Die Panoramen von Wojciech Kossak und Jan Styka], Breslau 2000; Zybura, Marek, Das Breslauer Raclawice-Panorama. Ein Beitrag zur transnationalen Verflechtung der Geschichtskultur Polens, in: Aust, Martin; Ruchniewicz, Krysztof; Troebst, Stefan (Hgg.), Verflochtene Erinnerungen. Polen und seine Nachbarn im 19. und 20. Jahrhundert, Köln 2009, S. 61–68.
[9] Borodziej, Wlodzimierz, Geschichte Polens im 20. Jahrhundert, München 2010, S. 52; Molik, Witold, Noch ist Polen nicht verloren, in: Flacke, Monika (Hg.), Mythen der Nationen: Ein europäisches Panorama, München 1998, S. 295–320, hier S. 314–319; vgl. auch Panorama Raclawicka – relikt dziewietnastowiecznej kultury masowej [Das Raclawice-Panorama – Ein Relikt der Massenkultur des 19. Jahrhunderts], in: Panorama Raclawice, URL: (20.09.2013).
[10] Koselleck, Reinhart, Der Aufbruch in die Moderne oder das Ende des Pferdezeitalters, in: Tillmann, Berthold (Hg.), Historikerpreis der Stadt Münster. Die Preisträger und Laudatoren von 1981 bis 2003, Münster 2003, S. 23–39; vgl. auch Hunecke, Volker, Europäische Reitermonumente. Ein Ritt durch die Geschichte Europas von Dante bis Napoleon, Paderborn 2008; Schumacher, Birgit, Pferde. Meisterwerke des Pferde- und Reiterbildes, Stuttgart 1994.
[11] Maslowski, Maciej, Juliusz Kossak, Warschau ³1990; Zielinska, Janina, Juliusz Wojciech, Jerzy Kossakowie, Warschau 1988.
[12] Baumgartner, Anna, Falat und Kossak. Polnische Maler im preußischen Berlin Ende des 19. Jahrhunderts, in: Traba, Robert (Hg.), My, berlinczycy! Wir Berliner! Geschichte einer deutsch-polnischen Nachbarschaft, Leipzig 2009, S. 139–158.
[13] Bauer, Frank, Die Schlacht bei Zorndorf 25. August 1758. Schlacht und Gemälde, Potsdam 2005; Baumgartner, Anna, Ein polnischer Nationalmaler am preußischen Hof. Wojciech Kossak und sein wiederentdecktes Gemälde Schlacht bei Zorndorf (1899), in: zeitenblicke 10 (2011), URL: (20.09.2013).
[14] Vgl. Bild 3: Kossak, Wojciech, Kaiser Wilhelm II. und Menzel in Kossaks Atelier (1899). Öl auf Mahagoniholz, 43,5 x 35,5 cm, Museum Huis Doorn, Doorn, Niederlande (Inv. HuD 02227), abgedruckt in: Löhr, Middell, Siegrist (Hgg.), Kultur und Beruf in Europa, S. 49.
[15] Kossak, Adalbert von, Erinnerungen, Berlin 1913; hier zitiert nach Kossak, Wojciech, Erinnerungen (1913), in: Danielewicz-Kerski, Dorota; Górny, Maciej (Hgg.), Berlin. Polnische Perspektiven, 19.–21. Jahrhundert, Berlin 2008, S. 312–323, hier S. 319; vgl. auch Kossak, Wojciech, Wspomnienia [Erinnerungen], hg. von Kazimierz Olszanski, Warschau 1971.
[16] Kossak, Adalbert von, Erinnerungen, S. 321.
[17] Ebd., S. 313.
[18] Ebd., S. 317.
[19] Ebd., S. 319f.
[20] Zitiert nach Tu, Tzu-hsin, Die Deutsche Ostsiedlung als Ideologie bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, Kassel 2009, S. 151; zum zeithistorischen Kontext vgl. Ther, Philipp, Deutsche Geschichte als imperiale Geschichte. Polen, slawophone Minderheiten und das Kaiserreich als kontinentales Empire, in: Conrad, Sebastian; Osterhammel, Jürgen (Hgg.), Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871–1914, Göttingen ²2006, S. 129–148.
[21] Zu den genannten vier Gemälden des Kossakschen Zyklus „Duch pruski – Apostolstwo krzyzackie. Lowy na ludzi, Rugi pruskie, Hold pruski. Drapiezny lennik und Jeszcze Polska nie zginiela. Gravelotte 1870“ vgl. Olszanski, Wojciech Kossak, Bildteil, Abb. 101, 175, 102 und 183.
[22] Ebd., S. 33.
[23] Kossak, Wojciech, Zaslubiny Polski z morzem (1931), in: Olszanski, Wojciech Kossak, Bildteil, Abb. 205; zum zeithistorischen Kontext vgl. Troebst, Stefan, „Intermarium“ und „Vermählung mit dem Meer“. Kognitive Karten und Geschichtspolitik in Ostmitteleuropa, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 435–469.
[24] Kossak, Wojciech, Apoteoza Wojska Polskiego (1935), in: Olszanski, Wojciech Kossak, Bildteil, Abb. 189.
[25] Mokwa, Marian, M. S. Pilsudski (1936), in: Fabijanska-Przybytko, Krystyna, Morze w malarstwie polskim. Danzig 1990, Bildteil, Abb. 80; zum Niederschlag dieses Modernitätsanspruchs in der zeitgenössischen Kunst und zur Diskrepanz zu Kossak nationalromantischem Heroismus vgl. die Kapitel zu Polen bei Szczerski, Andrzej, Modernizacje. Sztuka i architektura w nowych panstwach Europy Srodkowo-Wschodniej 1918–1939 [Modernisierungen. Kunst und Architektur in den neuen Staaten Ostmitteleuropas], Lodsch 2010; Mansbach, Steven A., Modern Art in Eastern Europe. From the Baltic to the Balkans, ca. 1890–1939, Cambridge 1999.
[26] Olszanski, Wojciech Kossak, S. 39 („malowac jankesów i jankeski […] po nowa slawe i dolary“).
[27] Ebd., S. 40.
[28] Ebd., Fig. 59, S. 56.
[29] Ebd., S. 51.
[30] Olszanski, Wojciech Kossak (1. Aufl. 1976); zur Wiederbelebung des Pilsudski-Kultes in der Solidarnosc-Zeit vgl. Hein, Heidi, Der Pilsudski-Kult und seine Bedeutung für den polnischen Staat 1926–1939, Marburg an der Lahn 2002, S. 364–368.
[31] Olszanski, Wojciech Kossak (3. Aufl. 1982).
[32] Vgl. etwa Banach, Konrad et al., Polaków dzieje malowane, Warschau 2007, oder Sienkiewicz, Witold (Hg.), Ilustrowany atlas historii Polski, Warschau 2007.
[33] Zitiert nach Meier, Christian, Gedenkrede auf Reinhart Koselleck, in: Joas, Hans; Vogt, Peter (Hgg.), Begriffene Geschichte. Beiträge zum Werk Reinhart Kosellecks, Berlin 2011, S. 103–120, hier S. 111.
[34] Koselleck, Der Aufbruch in die Moderne; vgl. dazu auch Raulff, Ulrich, Das letzte Jahrhundert der Pferde. Historische Hippologie nach Koselleck. Vortrag auf der Konferenz „Reinhart Koselleck (1923–2006). Politische Ikonologie“ des Deutschen Dokumentationszentrums für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg in Marburg am 19. November 2010.
[35] Kossak, Jerzy, Wizja Wojciecha Kossaka (1942), in: Olszanski, Wojciech Kossak, Fig. 63, S. 59.
Literaturhinweise
Baumgartner, Anna, Ein polnischer Nationalmaler am preußischen Hof. Wojciech Kossak und sein wiederentdecktes Gemälde Schlacht bei Zorndorf (1899), in: zeitenblicke 10 (2011), URL: <
Dyroff, Stefan, Wojciech Kossak. Panorama- und Schlachtenmaler für Deutsche und Polen. Deutsch-polnische Denkwürdigkeiten in seinem Werk, seinem Umfeld und seiner Rezeption, in: Omilanowska, Malgorzata; Straszewska, Anna (Hgg.), Wanderungen: Künstler – Kunstwerk – Motiv – Stifter, Warschau 2005, S. 79–101.
Koselleck, Reinhart, Der Aufbruch in die Moderne oder das Ende des Pferdezeitalters, in: Tillmann, Berthold (Hg.), Historikerpreis der Stadt Münster. Die Preisträger und Laudatoren von 1981 bis 2003, Münster 2003, S. 23–39.
Kossak, Wojciech, Erinnerungen (1913), in: Danielewicz-Kerski, Dorota; Górny, Maciej (Hgg.), Berlin. Polnische Perspektiven, 19.–21. Jahrhundert, Berlin 2008, S. 312–323.
Olszanski, Kazimierz, Wojciech Kossak, Breslau ³1982.