Graben wie die Großen in Kleinasien: Ein frisch berufener Prager Professor umreißt mit weltpolitischen Argumenten sein archäologisches Karrierefeld

Wer die Zeichen einer durch tiefgreifende politische wie gesellschaftliche Umbrüche bestimmten Zeit für sein eigenes wissenschaftliches Tun erkennen und nutzen will, braucht erstens einen breiten Überblick, zweitens gute Pläne und drittens viel Selbstbewusstsein. Von den genannten drei Dingen besaß Bedrich Hrozný (1879–1952) offenbar reichlich, als er Ende 1919 angesichts der durch „Weltkrieg und Weltfrieden“ radikal veränderten Weltlage den hier gekürzt ins Deutsche übertragenen Zeitschriftenbeitrag zu Papier brachte. Dem Text kam für Hroznýs spätere, über weitere Zeitenwenden hinweg reichende berufliche Karriere als Wissenschaftler von europäischem Rang hohe Bedeutung zu. Dass der Name Hrozný bis heute weltweit in nahezu allen großen Lexika zu finden ist, gründet sich zuvorderst auf der Tatsache, dass er die dreieinhalbtausend Jahre alte, in Keilschrift geschriebene Sprache der Hethiter entschlüsselte und zudem den zweifelsfreien Nachweis ihrer Zugehörigkeit zur indoeuropäischen Sprachfamilie erbrachte. [..

Graben wie die Großen in Kleinasien: Ein frisch berufener Prager Professor umreißt mit weltpolitischen Argumenten sein archäologisches Karrierefeld[1]

Von Frank Hadler

Wer die Zeichen einer durch tiefgreifende politische wie gesellschaftliche Umbrüche bestimmten Zeit für sein eigenes wissenschaftliches Tun erkennen und nutzen will, braucht erstens einen breiten Überblick, zweitens gute Pläne und drittens viel Selbstbewusstsein. Von den genannten drei Dingen besaß Bedrich Hrozný (1879–1952)[2] offenbar reichlich, als er Ende 1919 angesichts der durch „Weltkrieg und Weltfrieden“[3] radikal veränderten Weltlage den hier gekürzt ins Deutsche übertragenen Zeitschriftenbeitrag zu Papier brachte. Dem Text kam für Hroznýs spätere, über weitere Zeitenwenden hinweg reichende berufliche Karriere als Wissenschaftler von europäischem Rang hohe Bedeutung zu. Dass der Name Hrozný bis heute weltweit in nahezu allen großen Lexika zu finden ist, gründet sich zuvorderst auf der Tatsache, dass er die dreieinhalbtausend Jahre alte, in Keilschrift geschriebene Sprache der Hethiter entschlüsselte und zudem den zweifelsfreien Nachweis ihrer Zugehörigkeit zur indoeuropäischen Sprachfamilie erbrachte. In der hier ausgewählten Quelle wird diese Leistung explizit nicht erwähnt; die Lesbarkeit der Sprache aber schon mit dem Autoren in Verbindung gesetzt durch den Hinweis auf die von ihm geplante Edition des hethitischen Gesetzbuches. Hroznýs Weltruhm als Altorientalist hat jedoch neben der erwähnten Sprachentzifferung auch mit der Realisierung jener im Quelltext prospektiv umrissenen Planungen künftiger „tschechoslowakischer“ Ausgrabungen in Kleinasien zu tun, die ihn – wie zu zeigen sein wird – zu einem hochprofessionellen europäischen Orientarchäologen machten, der in der ersten Liga grub.

Doch der Reihe nach: 1901 hatte der Sohn eines tschechischen evangelischen Pfarrers aus Lysá nad Labem seine Studien der altorientalistischen Philologie (Hauptfach Keilschriften) an der Universität Wien mit einer Dissertation über sabäische Weihinschriften abgeschlossen. Ein Jahresstipendium des österreichischen Schulministeriums ermöglichte es ihm, sofort im Anschluss nach Berlin und London zu gehen. An der Spree hörte er bei den Assyriologen Friedrich Delitzsch und Hugo Winckler. Auf Anregung des ersteren konnte er eine Semesterarbeit als kurzen Aufsatz zum Druck bringen.[4] An der Themse kopierte Hrozný 1902 im British Museum die Tafeln eines sumerisch und babylonisch geschriebenen Epos. Hieraus ging eine kleine Buchveröffentlichung hervor.[5]

Diese europaweit gemachten Erfahrungen eines raschen Einstiegs in die Welt der Wissenschaft ließen ihn das Angebot einer Vertretungsstelle am Gymnasium der böhmischen Kleinstadt Kolín (hier war er zur Schule gegangen) ablehnen. Sprache, Geschichte und Kultur des Alten Orients als Beruf im Blick nahm er statt dessen eine Praktikantenstelle an der Wiener Universitätsbibliothek an. Als Bibliothekar war er hier bis in die Zeit des Weltkrieges tätig, was ihm die angestrebte berufliche Nähe zur wissenschaftlichen Arbeit ermöglichte. Mit dem 1897 nach Wien berufenen Professor für evangelische Theologie Ernst Sellin reiste Hrozný 1904 auf eine Expedition nach Palästina, bei der in Taannek neue Keilschriftentafeln gefunden wurden. Hrozný edierte sie in den Denkschriften der Kaiserlich österreichischen Akademie der Wissenschaften ein Jahr nachdem er sich 1905 in Wien habilitiert hatte. Als Privatdozent für semitische Sprachen mit besonderer Berücksichtigung der Keilschriftenforschung, der er fortan war, veröffentlichte er 1913 eine nicht zuletzt ob der Kapitel über die sumerische Bierbrauerei vielbeachtete Monografie über Getreidenutzung im Babylonischen Reich. Die Entstehungsgeschichte dieses in den Sitzungsberichten der bereits genannten Akademie in Wien erschienen Buches belegt, wie normal-transnational die damalige Altorientalistenzunft über die Grenzen im alten Europa hinweg und darüber hinaus zusammenarbeitete. Hroznýs Danksagungen an Lehrer und Kollegen gingen von Wien aus in Richtung Berlin, Straßburg, Szeged, Breslau, Dublin, Assur und Philadelphia. Waren ihm doch aus Irland in Palästina ergrabene „Pflanzensamen“ zur Verfügung gestellt, aus Amerika „Proben der bei den Ausgrabungen in Niffer gefundenen Pflanzenreste“ zugesandt worden. Und die Universitätsbibliothek in Leiden hatte sich zu einer „sehr liberale[n] Verleihung“ von arabischen Handschriften bereit erklärt […].“[6]

Die knapp skizzierte berufliche Wiener Karriere Hroznýs begann sich 1910 durch eine Anfrage der Deutschen Orient-Gesellschaft in Richtung Berlin zu erweitern. Als für seine hohe Präzision bekannter Experte sollte er an der Aufarbeitung des Keilschriftenarchives von Boghazköi teilnehmen, von dem im Quelltext mehrfach die Rede ist, ohne dass jedoch der Name des 1913 verstorbenen Grabungsleiters Hugo Winckler auftaucht. In dessen Kreis aufgenommen, reiste der tschechische Keilschriftenexperte, von seinen Wiener Bibliotheksdiensten freigestellt, im deutschen Auftrag im Frühjahr 1914 nach Konstantinopel, um die dort deponierten hethitischen Tafeln zu sichten, zu kopieren und zu transkribieren.

Im Rahmen der so erlebten transnationalen Forscherverflechtung bekam Hrozný vom ottomanischen Museum am Bosporus mehr als die für die geplante Edition gedachten Tafeln vorgelegt und als er nach nur wenigen Monaten wegen des Kriegsausbruchs zurück an die Donau musste, hatte er ausreichend Material gesammelt, um an die Entschlüsselung der bis dahin nicht lesbaren Sprache der Hethiter zu gehen. Im Herbst 1915 war ihm die Tat gelungen, von der publikumswirksam zu berichten er – inzwischen zum außerordentlichen Professor der Universität Wien bestellt – umgehend Gelegenheit bekam: in je einem Berliner und Wiener Vortrag sowie schriftlich in den Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft.[7] Dass Hrozný gleichzeitig als Schreiber des Wiener Regiments der Deutsch- und Hochmeister zum Militärdienst eingezogen worden war, hatte offensichtlich nur geringen verzögernden Einfluss darauf gehabt, seine Entdeckung rasch auch in Buchform vorzulegen. Mit dem Untertitel Ein Entzifferungsversuch und unter Nutzung der deutschen Version seines Vormanens legte Hrozný damit 1917 den ersten Band der in Leipzig inaugurierten Schriftenreihe Boghozköi-Studien vor.[8]

Dieser Rückblick auf die berufliche Karriere bis zum Ersten Weltkrieg belegt ein hohes Maß an Professionalität und internationaler Reputation. Beides hat ohne Frage dazu beigetragen, dass Hrozný sofort nach dem für Österreich-Ungarn verloren gegangenen Krieg in der am 28. Oktober 1918 gegründeten Tschechoslowakischen Republik eine Stelle angeboten wurde. Aus Sicht des Prager Schulministeriums war nur er für das an der tschechischen Karlsuniversität neu geschaffene Ordinariat für Keilschriftenforschung und Geschichte des Alten Orients prädestiniert. Der außerordentliche Professor aus Wien nahm den Ruf nach Prag an, doch eine Heimkehr im akademischen Sinne war es nicht, denn an der Prager Alma Mater hatte er nie studiert. Für den transnational bestens vernetzten Forscher war es ein Neuanfang unter nationalstaatlichen Prämissen. Gleichwohl verstand es der gerade vierzigjährige vorzüglich, den politisch erwarteten Bezug auf den eigenen Staat gezielt für die Realisierung seiner wissenschaftlichen Ziele zu nutzen. Er artikulierte diese zunächst in der akademischen Öffentlichkeit. So forderte er von der Universitätsleitung beträchtliche Zusatzmittel für die Ausstattung seines Seminars.[9] Noch bevor diese Forderung vom Schulministerium Anfang Februar 1920 zu einem nicht unbeträchtlichen Teil bewilligt wurde, speiste Hrozný seine programmatischen Überlegungen mit dem hier als Quelle ausgewählten Beitrag auch in die politische Öffentlichkeit des jungen Staates ein.

Ort und Zeitpunkt für den Abdruck hätten kaum besser gewählt sein können. Naše doba [Unsere Zeit] war 1893 als Revue für Wissenschaft, Kunst und soziales Leben von niemand anderem gegründet worden als Tomáš G. Masaryk, der – nun als erster Präsident der Tschechoslowakei – seit Dezember 1918 nach seinem vierjährigen Weltkriegsexil wieder in Prag weilte. Masaryk hatte die weit verbreitete Revue bis Ende 1914 selbst redigiert. Ihm folgte als Redakteur Edvard Beneš, bevor er im September 1915 ebenfalls ins Exil ging und – nun als erster tschechoslowakischer Außenminister – nach Prag zurückkehrte, nachdem der Friedensvertrag mit Österreich in St. Germain unterzeichnet worden war. Das war im September 1919.

Zeitgleich mit den ersten Parlamentsreden des Außenministers, in denen er bei aller Konzentration auf die Probleme des „neuen Europa“ Anfang November 1919 eine mangelnde „svetovost [Weltgängigkeit]“ des neuen Staates beklagte und betonte, „auch bei uns gibt es viel Provinzialismus“[10], verfasste Hrozný seinen an weltpolitischen Reflexionen nicht armen Artikel. Ihn Naše doba anzubieten, hatte zum einen sicher mit der Intention einer möglichst regierungsnahen Wahrnehmung zu tun. Zum anderen aber war es Naše doba, das 1903 Hroznýs ersten tschechischen Text veröffentlicht[11] und dessen Redaktion im Januar 1916 von der „Enträtselung des hethitischen Problems“ durch „unseren Landsmann Prof. Dr. B. Hrozný in Wien“ berichtet hatte.[12] Entscheidend für den Abdruck in Heft sieben des Jahrgangs 1920 dürfte gewesen sein, dass sich der als „tschechischer Lawrence von Arabien“ bezeichnete Alois Musil (1868–1944)[13] wenige Hefte früher mit einem programmatischen Artikel über Unsere Aufgaben in der Orientalistik und im Orient zu Wort gemeldet hatte. Musil, ein anerkannter Arabienkenner, der während des Weltkrieges zum Generalsekretär der österreichischen Orient- und Überseegesellschaft und wirklichen Geheimrat des Kaisers Karl ernannt worden war, hatte gerade mit direkter Unterstützung von Präsident Masaryk eine Professur an der Karlsuniversität für orientalische Hilfswissenschaften und Neuarabisch erlangt, womit er zu einem Kollegen Hroznýs an der Philosophischen Fakultät geworden war. In seinem Beitrag postulierte Musil die Bedeutung des Orients für die Tschechoslowakei und betonte, dass „von den neuen Staaten hauptsächlich wir dem Orient helfen können“. Nach dem Ausruf: „Der alte Orient bleibt ewig jung“ fragte er, ob es „nicht für die Wahrnehmung des alten Lebens in Europa eine überwichtige Entdeckung war, die während des Krieges unser Landsmann Prof. Hrozný gemacht hat, der nachwies, dass die alten Hethiter indoeuropäischen und, wie es vielen erscheint, slawischen Ursprungs waren“?[14] Das war die Steilvorlage für Hrozný, der, was das künftige wissenschaftliche Engagement im Orient betraf, mit seinen tschechoslowakischen Ausgrabungsplänen in Kleinasien nachlegte und in Anknüpfung an Musil sowie unter Verweis auf anderswo in Europa praktizierte Institutionalisierungen die Gründung eines tschechoslowakischen Orientinstituts anregte, das sowohl die wissenschaftliche Beschäftigung als auch die wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Orient koordinieren sollte.

Die erhoffte institutionsbildende Wirkung zeigte sich eher als die expeditionsunterstützende. Am 25. Januar 1922 beschloss das tschechoslowakische Parlament ein Gesetz zur Bildung des Orientální ústav [Orientinstitut] in Prag. In eine Kultur- und eine Wirtschaftssektion gegliedert, sollte es aus mehreren Quellen finanziert werden. Aus dem persönlichen Fonds des Präsidenten Masaryk, der ihm 1920 anlässlich seines 70. Geburtstages zur Verfügung gestellt wurde, kamen vier Millionen Kronen. Eine halbe Million für die Bibliothek stellte das Handelsministerium zur Verfügung. Das Bildungsministerium schließlich gab drei Millionen für den Erwerb eines Gebäudes und 300.000 Kronen jährlich für die Grundausstattung. Dennoch dauerte es bis 1927, bis der Staatspräsident die ersten 34 Institutsmitglieder berief, die am 1. März 1928 zu einer ersten Sitzung zusammentrafen und ein gutes Jahr später auf ihrer Generalversammlung über die Statuten abstimmten. Ebenfalls 1929 begann unter der Leitung von Bedrich Hrozný mit dem Archiv orientální jenes Periodikum zu erscheinen, das noch heute als Quarterly Journal of African and Asian Studies am Orientální ústav der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik in Prag herausgegeben wird und seit Hroznýs Zeiten Beiträge einheimischer wie ausländischer Gelehrter in mehreren Sprachen – heute nur noch Englisch, Französisch und Deutsch – veröffentlicht. 1931 schließlich bezog das Orientinstitut sein Quartier im Lobkovic-Palais (heute Sitz der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland) auf der Prager Kleinseite[15], heute ist es in einem Plattenbau des Stadtteiles Prosek im Prager Norden untergebracht.

Nun aber zurück zu den von Hrozný Anfang 1920 in seinem Artikel veröffentlichten Plänen, mit tschechoslowakischen Ausgrabungen die durch den „Ausschluss der Deutschen vom Wettkampf auf dem archäologischen Kampfplatz Orient“ in Folge der Weltkriegsniederlage entstandene Lücke zu schließen. Schon 1919 und 1920 war er zweimal nach Berlin gereist, um weitere Tontafeln zu kopieren, die von den Wincklerschen Expeditionen stammten. Diese edierte er 1921 in Leipzig in den Wissenschaftlichen Veröffentlichungen der Deutschen Orient-Gesellschaft[16], womit er sich aktiv an dem beteiligte, was Hrozný in seinem Beitrag als Aufgabe dieser Gesellschaft antizipiert hatte, „sich in den kommenden Jahren nur mehr der Publizierung des wissenschaftlichen Materiales [zu] widmen […], das in den vergangenen Jahrzehnten im Orient zusammengetragen wurde“. 1922 erschien Hroznýs mit französischer Übersetzung besorgte Edition des hethitischen Gesetzbuches als erster Band der neuen Reihe Hethitica. Collection de travaux relatifs à la philologie, l’histoire et l’archéologie hittites in Paris.[17]

Der in seinem Artikel getroffenen Feststellung, dass es sich bei den edierten Texten nur um Bruchstücke handelte, ließ Hrozný die Frage folgen: „Wo aber sind die fehlenden Teile dieser überwichtigen historischen Denkmale?“ Sie zu finden, wollte er wie die Großen seines Faches in Kleinasien graben. Um aber genau diesen Plan zu realisieren, brauchte er die politische und finanzielle Unterstützung der Prager Regierung, die er mit der nicht weiter belegten Feststellung lockte, „die tschechoslowakischen Ausgrabungen in den vorderasiatischen Ländern [tragen] auch zur Stärkung der wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen unserer Republik und dem Orient bei“. Parallel zur nur kurz gestreiften Gründung des Orientinstituts, an der er sich offenbar eher im Hintergrund beteiligte, war es Hrozný vor allem an der Beschaffung der notwendigen Finanzmittel für seine Grabungen gelegen. In der kurzen Würdigung, die Lubor Matouš zum 70. Geburtstag seines Lehrers Bedrich Hrozný 1949 in hoher Auflage (3.200 Exemplare allein der deutschen Version) veröffentlichte, ist in Bezug auf die Finanzierungsfrage ausgeführt, dass das Werben des frisch berufenen Prager Professors letztlich erfolgreich war: „Doch ermöglichte ihm der auf Anregung des Präsidenten der Republik T. G. Masaryk und des Außenministers Dr. Beneš zur Verfügung gestellte bedeutende Geldbetrag, in den Jahren 1924 und 1925 an drei Stellen im Orient Ausgrabungen zu unternehmen.“[18]

Die Ergebnisse der hier im Einzelnen nicht zu beschreibenden Expeditionen, für die er nach eigenen Angaben innerhalb von eineinhalb Jahren insgesamt eine halbe Million Kronen[19], unter anderem auch bei Unternehmen wie dem Schuhkonzern Bat’a oder den Škodawerken, zusammenzutragen in der Lage war, dokumentierte Hrozný in mehreren Artikeln für die Prager Zeitung Národní listy sowie in zahlreichen öffentlichen zum Teil auch im Radio übertragenen Vorträgen. Auf diesen basierte schließlich der für ein breites Publikum bestimmte und reich bebilderte Grabungsbericht aus dem „Reich des Halbmondes“.[20] Hier beschrieb er ausführlich jene zum Teil entbehrungsreichen Unternehmungen, bei denen die erste tschechoslowakische archäologische Expedition im Orient zwar nicht die im Quellentext „ganz sicher […] in Boghazköi unter der Erde“ vermuteten „fehlenden Teile“ des hethitischen Königsarchives, wohl aber ein bedeutendes hethitisches Handelsarchiv mit den sogenannten Kappadokischen Tafeln entdeckte. Auch mit diesen aber stellte sich jener professionelle Erfolg als Archäologe ein, auf den Hrozný an der Jahreswende 1919/1920 als Keilschriften-Professor mit seinem Artikel hingearbeitet hatte.

Der in ganz Europa anerkannte tschechische Wissenschaftler wurde nach seinen Ausgrabungen eingeladen, das Stichwort „Hethiter“ sowohl für das erste tschechoslowakische Lexikon[21] als auch für die Encyclpaedia Britannica[22] zu verfassen. Kurz darauf fanden Hroznýs philologische und archäologische Entdeckungstaten auch Eingang in die erste tschechoslowakische Weltgeschichte: „Heute gibt es in der Welt der Wissenschaft keinen Streit mehr darum, dass die Hethiter zum indoeuropäischen Geschlecht (celed) gehören, was der tschechische Wissenschaftler Dr. Bedrich Hrozný nachgewiesen hat.“[23] Da es sich um eine illustrierte Weltgeschichte handelte, lag es nahe, dass man eine hethitische Tontafel abbildete, die „aus den Funden der tschechischen Expedition des Dr. Hrozný“ stammte.[24] Diese Expedition betreffend wurde festgehalten, Hrozný habe über eine „Genehmigung der türkischen Regierung“ verfügt, was freilich wirklich der Fall war. Sein „wertvollster Fund“ sei ein „Handels- und Börsenarchiv“ gewesen, mit „Handelsbriefen (manchmal auch deren Kopien), Rechnungen, Bestellungen, aber auch Gerichtsfällen in Handelsstreitigkeiten“.[25] Zehn Jahre später war Hrozný dann selbst als Mitautor des (von ihm mehrfach und letztlich bis in die Zeit der deutschen Besatzung verzögerten) ersten Bandes am Projekt einer vielbändigen, dem Vorbild des Propyläen Weltgeschichte folgenden tschechoslowakischen Menschheitsgeschichte beteiligt.[26]

In der bislang einzigen Überblicksgeschichte der tschechischen Historiografie ist Hrozný gleichwohl nicht mehr als ein halbe Seite Text gewidmet, dafür aber mit einem nahezu unübertrefflichen Ausdruck seiner Weltgeltung: „Mit der Entdeckungstat Bedrich Hroznýs drang die tschechische philologische und historische Wissenschaft durch in die Welt und half eine der Grundfragen der ältesten Weltgeschichte zu lösen.“[27]

Dieses Urteil bezog sich auf die Entschlüsselung der hethitischen Sprache von 1915, träfe aber auch auf die Ausgrabungen von 1924/1925 zu, für deren Realisierung er in dem als Quelle gewählten Zeitschriftenbeitrag letztlich erfolgreich mit weltpolitischen Argumenten die Basis gelegt hatte. Dass er trotz der eingeübten Internationalität seines professionellen Tuns als altorientalistischer Linguist für die Erweiterung seines Karrierefeldes als Orientarchäologe bereit war die nationale Karte zu spielen, hat unzweifelhaft mit den politischen Gegebenheiten in Europa nach dem Ersten Weltkrieg zu tun. Diese pragmatisch zu nutzen, um neben den Sprachen auch die „unter der Erde“ verborgene Kultur des Alten Orients zu seinem Beruf zu machen, schien Hrozný ein Gebot der Stunde, auf die Zeichen der Zeit zu reagieren. Wie sonst wäre folgende, bewusst an das Ende dieses Essays gestellte Passage in seiner noch 1919 erschienen Antrittsvorlesung zu erklären: „Ich würde mir sehr wünschen – und dies wird mein heißestes Bestreben sein – daß es möglich werde, auch von hieraus, aus Prag, unter tschechischer Flagge Ausgrabungen an irgendeinem Orte des Orients zu unternehmen, damit sich auch auf diese Art der Name der tschechischen Nation unter den Namen der ersten Kulturnationen wiederfinde, die die Weltkultur verbreiten.“[28]



[1] Essay zur Quelle: Bedrich Hrozný: Nové úkoly orientální archeologie [Neue Aufgaben der Orientarchäologie] (1920). Die Druckversion des Essays findet sich in: Isabella Löhr, Matthias Middell, Hannes Siegrist (Hgg.): Kultur und Beruf in Europa, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2012, S. 206–213, Band 2 der Schriftreihe Europäische Geschichte in Quellen und Essays.

[2] Leben und Werk von Bedrich Hrozný widmete sich zuletzt: Vavroušek, Petr, Pán chtitických tabulek [Der Herr der hethitischen Tafeln], Prag 2009. An älteren Arbeiten, wenngleich ohne wissenschaftlichen Apparat, immer noch von Bedeutung sind: Zamarovský, Vojtech, Za tajemstvím Chetitu [Hinter dem Geheimnis der Hethiter], Prag 1961 (leicht gekürzt auf Deutsch: Auf den Spuren der Hethiter. Ein vergessenes Großreich wird entdeckt, Leipzig 1965) sowie Matouš, Lubor, Bedrich Hrozný. Leben und Forschungswerk eines tschechischen Orientalisten, Prag 1949. Mit Zurückhaltung zu behandeln ist die kleine, von Selbstüberschätzungen nicht freie, auch auf Französisch erschienene Schrift: Hrozný, Bedrich, Strucný prehled mých vedeckých objevu [Kurze Übersicht meiner wissenschaftlichen Entdeckungen], Prag 1948. Eine vollständige Bibliografie der Schriften Hroznýs nebst Hinweisen auf Rezensionen seiner Werke und einem Personenregister hat zusammengestellt: Prosecký, Jirí, Bibliography of Bedrich Hrozný, in: Archiv orientální 67 (1999), S. 459–502.

[3] Hrozný, Bedrich, Nové úkoly orientální archeologie [Neue Aufgaben der Orientarchäologie], in: Naše doba 27 (1920), S. 484–490.

[4] Ders., Zum Geldwesen der Babylonier, in: Beiträge zur Assyriologie und semitischen Sprachwissenschaft 4 (1902), S. 546–550.

[5] Ders., Sumerisch-babylonische Mythen von dem Gotte Ninrag (Ninib), Berlin 1903.

[6] Ders., Das Getreide im alten Babylonien. Ein Beitrag zur Kultur- und Wirtschaftsgeschichte des alten Orients, Wien 1913, S. 8–9.

[7] Zusammen mit einer Einführung von Otto Weber und Eduard Meyer erschienen als: Die Lösung des hethitischen Problems. Ein vorläufiger Bericht, in: Mitteilungen der Deutschen Orientgesellschaft 56 (1915) S. 1–50.

[8] Hrozný, Friedrich, Die Sprache der Hethiter, ihr Bau und ihre Zugehörigkeit zum indogermanischen Sprachstamm, Leipzig 1917.

[9] Vgl. Vavroušek, Pan chetitských tabulek, S. 51f.

[10] Beneš, Edvard, Problémy nové Evropy a zahranicní politika ceskoslovenská. Projevy a úvahy z r. [Die Probleme des neuen Europa und die tschechoslowakische Außenpolitik. Reden und Erwägungen aus den Jahren] 1919–1924, Prag 1924, S. 40.

[11] Hrozný, Bedrich, Vznik mythu o Leviatanovi [Die Entstehung des Mythos vom Leviathan], in: Naše doda 10 (1903), S. 321–329, S. 407–415.

[12] Rozluštení problému hettitského dra B. Hrozného [Dr. Hroznýs Entschlüsselung des Hethitischen Problems], in: Naše doda 22 (1916), S. 315f.

[13] Über Musil zuletzt prägnant die entsprechende Passage in: Borovicka, Michael, Cestovatelství [Reisen], Prag 2010, S. 515–521.

[14] Musil, Alois, Naše úkoly v orientalistice a v oriente, in: Naše doda 27 (1920), S. 176, S. 180.

[15] Dudák, Vladislav, Concise Survey of the History of the Oriental Institute, in: Prosecký, Jirí (Hg.), Ex pede pontis. Papers Presented on the Occasion of the 70th Anniversary of the Foundation of the Oriental Institute Prague, Prag 1992, S. 7–15, bes. S. 8–9.

[16] Hrozný, Bedrich, Keilschriftentexte aus Boghozköi, Hefte 5 und 6, Leipzig 1921.

[17] Ders., Code hittite provenant de l’Asie Mineure (vers 1350 av. J.-C.), Paris 1922.

[18] Matouš, Bedrich Hrozný, S. 31.

[19] Zamarovský, Auf den Spuren der Hethiter, S. 143; Vavroušek, Pan chetitských tabulek, S. 57. Hier auch die Faksimiles der Bewilligungsschreiben des Schulministeriums vom 8. Februar 1924 über 50.000 Kronen (Abb. 9, S. 90) vor der Expedition sowie der Zuteilung einer „ehrenhaften Sonderzuwendung“ (zvláštní cestný dár) durch die Regierung „für Ihre wissenschaftlichen Verdienste“ vom 11. Februar 1926 über 20.000 Kronen danach (Abb. 2, S. 84).

[20] Hrozný, Bedrich, V ríši pulmesíce. Cesty a výkopy v Turecku [Im Reich des Halbmondes. Reisen und Grabungen in der Türkei], Prag 1927.

[21] Ders., Chetité [Hethiter], in: Masarykuv slovník naucný, Bd. 3, Prag 1927, S. 456.

[22] Ders., The Hittites, in: Encyclopaedia Britannica, Bd. 11, Chicago 141929, S. 598–608.

[23] Kosina, Jaroslav, Ilustrované dejiny svetové. Díl I. Starovek. Dejiny starého veku od pocátku dejin do stehovýní národu [Illustrierte Weltgeschichte. Teil I: Altertum. Geschichte des Altertums von den Anfängen bis zur Völkerwanderung], Prag 1929, S. 36.

[24] Ebd.

[25] Ebd., S. 47.

[26] Hrozný, Bedrich, Vstup Prední Asie do dejin: Sumer, Akkad a Hethité [Der Einstieg Kleinasiens in die Geschichte: Sumer, Akkad und die Hethiter], in: Dejiny lidstva od praveku k dnešku. Díl I. Svetla východu a Hellady [Geschichte der Menschheit von der Urzeit bis heute. Teil I: Lichter des Ostens und der Hellada], Prag 1940, S. 265–384.

[27] Diese Weltbedeutungspassage findet sich wortgleich sowohl in: Kutnar, František, Prehledné dejiny ceského a slovenského dejepisetctví [Überblicksgeschichte der tschechischen und slowakischen Historiografie], Bd. II, Prag 1977, S. 166, als auch in der von Jaroslav Marek besorgten einbändigen (und gekürzten) Neuauflage, Prag 1997, S. 578.

[28] Hrozný, Bedrich, O problému hetitském a o úkolech vedy staroorientální vubec [Über das hethitische Problem und überhaupt die Aufgaben der altorientalischen Wissenschaft], in: Nové Atheneum 1 (1919), S. 32–51, hier S. 37.



Literaturhinweise

  • Matouš, Lubor, Bedrich Hrozný. Leben und Forschungswerk eines tschechischen Orientalisten, Prag 1949.
  • Prosecký, Jirí, Bibliography of Bedrich Hrozný, in: Archiv orientální 67 (1999), S. 459–502.
  • Vavroušek, Petr, Pán chtitických tabulek [Der Herr der hethitischen Tafeln], Prag 2009.
  • Zamarovský, Vojtech, Auf den Spuren der Hethiter. Ein vergessenes Großreich wird entdeckt, Leipzig 1965.

Bedrich Hrozný: Nové úkoly orientální archeologie [Neue Aufgaben der Orientarchäologie] (1920)[1]

Weltkrieg und Weltfrieden, die Europa gründlich revolutioniert haben, bringen auch die alte, jahrhundertlange Ordnung in Vorderasien zum Einsturz. Die alte nationalitätenstaatliche Türkei ist liquidiert; an ihre Stelle treten neue Nationalstaaten, ein arabischer oder mehrere arabische Staaten, ein jüdischer Staat (?)[2], ein armenischer Staat. Dabei teilt man den Vorderen Orient in mehrere politische Sphären: in eine englische, französische und italienische. Einige wenige Städte fallen Griechenland zu; den Rest bildet die Türkei. Diese weitreichenden Veränderungen erweitern auf ungeahnte Weise den Einfluss auf diese rückständigen Länder, in politischer wie in kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht. Dies wird natürlich einen tiefgreifenden Einfluss auf die wissenschaftliche Erforschung dieser Länder haben, die unter den neuen Bedingungen weitaus einfacher wird als zuvor. Nicht nur die Geologie, Ethnologie und die Naturwissenschaften, sondern auch – und vor allem – die Orientarchäologie im weitesten Sinne, das heißt die altorientalische Geschichte, die Philologie, Epigrafik usw. werden den größten Nutzen aus der neuen Sachordnung im Vorderen Orient ziehen.

Auch wenn es keine Orientarchäologen geben würde, die sich übrigens bereits zu Wort melden, führte allein die wirtschaftliche Entwicklung der vorderasiatischen Länder in neuerer Zeit zu einer näheren archäologischen Erforschung des Orients. […] Mit Ausgrabungen im Orient waren bisher vor allem die Engländer, Franzosen, Deutschen und Amerikaner befasst. Es reicht hier, die ruhmreichen Namen der Archäologen Rawlinson, Layard, Rassam, de Sarzeca, de Morgan, Koldewey, Andrae, Hilprecht, Peters und anderer zu nennen. Die neue politische Ordnung, von den Entente-Großmächten in Vorderasien eingeführt, wird ganz sicher eine mächtige Unterstützung für die Bemühungen der Orientarchäologen darstellen, den Orient durch Ausgrabungen zu erforschen. Es wird schon keine Hindernisse mehr geben, die die türkischen Gesetze und die türkische Bürokratie den Ausgrabungen in den Weg stellten: Im Gegenteil, die neuen politischen Verhältnisse und das lebendige wirtschaftliche Treiben, das sich im Orient entfaltet, erleichtert erheblich all diese Unternehmungen. […]

Es ist meine feste Überzeugung, daß es unter den neuen Bedingungen die Pflicht auch unserer tschechoslowakischen Nation ist, sich an dem in den kommenden Jahrzehnten entwickelnden archäologischen Treiben zu beteiligen. Unsere Nation ist dazu zum einem durch seine Vergangenheit verpflichtet; als Volk von Bibellesern hat sie sich, hoffe ich, auch in der heutigen materialistischen Zeit so viel Idealismus erhalten, daß ihr das Forschen über die biblischen Länder nicht gleichgültig ist. Zum anderen ist sie dazu unstrittig auch durch die Gegenwart verpflichtet. Es ist überaus wahrscheinlich, daß eine der Folgen der deutschen Niederlage im Weltkrieg darin bestehen wird, daß Deutschland in der Zukunft archäologische Grabungen in Vorderasien nicht erlaubt sein werden. Deutschland hat mit seinen Ausgrabungen im Orient außer wissenschaftlichen Zielen mit großem Eifer auch politische Ziele verfolgt: Die Ausgrabungen in Babylon und Assur waren nur ein Element seiner am besten durch das Bagdadbahn-Projekt charakterisierten Außenpolitik. Deshalb werden die Engländer und Franzosen kaum bereit sein, Deutschland, wenn auch nur zu rein wissenschaftlicher Forschung, in die politisch so unberechenbaren vorderasiatischen Länder zu lassen. Die deutschen Archäologen rechnen bereits mit diesem unglückseligen Stand der Dinge: So hat die Deutsche Orient-Gesellschaft auf ihrer Vollversammlung im vergangenen Jahr beschlossen, daß sie sich in den kommenden Jahren nur mehr der Publizierung des wissenschaftlichen Materiales widmen werde, das in den vergangenen Jahrzehnten im Orient zusammengetragen wurde. Von einem rein theoretischen, fachlichen Standpunkte aus wird dieser wahrscheinliche Ausschluss der Deutschen vom Wettkampf auf dem archäologischen Kampfplatz Orient für die altorientalistische Wissenschaft unstrittig einen Verlust bedeuten. Es geht einfach nicht an, den Deutschen nicht zuzugestehen, daß ihre Orient-Gesellschaft sich mit ihren systematischen und kostspieligen Ausgrabungen im Orient große Verdienste um die Orientarchäologie erworben hat. Es genügt allein ihre Ausgrabungen in Assur, in Babylon und vor allem in Boghazköi zu erwähnen. Und hier, denke ich, wird es eine moralische Pflicht der Entente-Nationen sein, zu denen man auch unsere Nation zählt, diesen Verlust der deutschen archäologischen Arbeit durch eigene Arbeit zu ersetzen, eine nicht weniger systematische und nicht geringere aufopferungsvolle Arbeit. […]

Lebendige Kultur- und Wirtschaftsbeziehungen mit dem Orient werden auf günstige Weise ergänzt durch unser aufrichtiges Interesse auch für den alten Orient, für die Vergangenheit eines Landes, das uns in kultureller Hinsicht derart viel – ich nenne nur die Religion und die Schrift – gegeben hat. Und im Gegenzug tragen die tschechoslowakischen Ausgrabungen in den vorderasiatischen Ländern auch zur Stärkung der wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen unserer Republik und dem Orient bei. Aus rein wissenschaftlichem Interesse gesehen, wie im Interesse unserer Verbindungen mit dem Orient, wäre die Einrichtung eines Instituts für Orientarchäologie wünschenswert zum Beispiel in Jerusalem, Bagdad oder anderswo, das unseren Archäologen Aufenthalt und Studium im Orient ermöglicht, sich um die Ausgrabungen sorgt, die orientalistischen Altertümer sammelt, auch den modernen Orient wahrnimmt, unseren Landsleuten, die den Orient besuchen, Berater wäre usw. Die Aufwendungen für ein solches Institut und die Ausgrabungen würde teilweise die Regierung, teilweise das neu eingerichtete Orientinstitut tragen.[3]

Ich will noch die Frage antippen, wo es sich empfehlen würde zu graben. […] Praktische Vorschläge können aber erst auf der Grundlage eine Autopsie gemacht werden, auf der Grundlage persönlicher Kenntnis der betreffenden Orte und aller lokalen Verhältnisse, politisch usw. Vor Beginn eines solchen Unternehmens wäre es nötig, einen geeigneten Archäologen auf eine Forschungsreise zu entsenden, damit er die Stellen heraussucht, die in Betracht kämen, und hernach konkrete Vorschläge macht.

Zum Schluss kann ich mich der Bemerkung nicht erwehren, daß meiner Ansicht nach Syrien und Kleinasien die archäologischen Zukunftsländer sind. Eine der wichtigsten Entdeckungen der Orientarchäologie ist der Fund des Hethitischen königlichen Archivs, das in Boghazköi in Kleinasien ausgegraben wurde. Dieses Archiv, etwa 20.000 Fragmente und Tafeln umfassend, mit Keilschrift in hethitischer Sprache beschrieben, […] hat mit klarstem Lichte das uns bislang im Dunkeln verborgene Vor-Homerische Kleinasien erleuchtet. Jetzt wissen wir, daß um das J. 1500 v. Chr. in Kleinasien ein Volk herrschte, das eine indoeuropäische Sprache sprach […]. Die Tontafeln aus dem hethitischen Archiv sind sehr bruchstückhaft. So sind vom hethitischen Gesetzbuch, dessen Edition ich vorbereite, zu großen Teilen nur kleine Fragmente erhalten; dasselbe gilt auch für andere wichtige Tafeln aus Boghazköi über die Staatsverträge, die Annalen der Hethiterkönige usw. Wo aber sind die fehlenden Teile dieser überwichtigen historischen Denkmale? Ganz sicher liegen sie bislang in Boghazköi unter der Erde. […]

Bereits aus dieser kurzen und bruchstückhaften Übersicht ist ersichtlich, welch riesige Aufgaben der Orientarchäologie harren. Es wird der Beteiligung aller Kulturnationen bedürfen, sollen die umrissenen Aufgaben in befriedigender Weise gelöst werden. Ich würde mir wünschen, daß unter diesen Nationen, die dem Orient nur ihre alte Schuld zurückzahlen, unsere Nation nicht fehlen wird.


[1] Hrozný, Bedrich, Nové úkoly orientální archeologie [Neue Aufgaben der Orientarchäologie], in: Naše doba 27 (1920), S. 484–490. Aus dem Tschechischen übersetzt von Frank Hadler. Die Druckversion der Quelle findet sich in: Isabella Löhr, Matthias Middell, Hannes Siegrist (Hgg.): Kultur und Beruf in Europa, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2012, S. 214–216, Band 2 der Schriftreihe Europäische Geschichte in Quellen und Essays.

[2] Dieser Artikel wurde vor mehreren Monaten geschrieben. Letzten Nachrichten zufolge ist die Gründung eines jüdischen Jerusalemer Staates eine abgewiesene Sache (vec odbytá).

[3] In Frankreich werden ähnliche Unternehmen vom Ministère de l’instruction publique organisiert.


Für das Themenportal verfasst von

Frank Hadler

( 2013 )
Zitation
Frank Hadler, Graben wie die Großen in Kleinasien: Ein frisch berufener Prager Professor umreißt mit weltpolitischen Argumenten sein archäologisches Karrierefeld, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2013, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1598>.
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