Europa in der Mission. Begründung, Strategien, Europäisierung in der evangelischen Mission im 19. Jahrhundert

Die evangelische Mission war von Beginn ein europäisches Phänomen. Schon die ersten Missionare, die 1706 im südindischen Tranquebar ankamen, hatten einen europäischen Hintergrund: deutsche Pietisten, ausgesandt vom dänischen König Friedrich IV. mit finanzieller Unterstützung der englischen Society for Promoting Christian Knowledge (SPCK), ausgewählt von dem halleschen Pietisten August Hermann Francke. Die in der Folge entstehende Dänisch-Englisch-Hallesche Mission war die erste organisierte evangelische Missionsgesellschaft, die sich tatsächlich die Mission unter nichtchristlichen Nichteuropäerinnen und -europäern zum Ziel gesetzt hatte. Gegen Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden in fast allen europäischen Ländern evangelische Missionsgesellschaften, und auch diese waren häufig bewusst oder notgedrungen europäisch ausgerichtet. [...]

Europa in der Mission. Begründung, Strategien, Europäisierung in der evangelischen Mission im 19. Jahrhundert[1]

Von Judith Becker

[Überarbeitete Version des Artikels: 2021]

Die evangelische Mission war von Beginn ein europäisches Phänomen. Schon die ersten Missionare, die 1706 im südindischen Tranquebar ankamen, hatten einen europäischen Hintergrund: deutsche Pietisten, ausgesandt vom dänischen König Friedrich IV. mit finanzieller Unterstützung der englischen Society for Promoting Christian Knowledge (SPCK), ausgewählt von dem halleschen Pietisten August Hermann Francke. Die in der Folge entstehende Dänisch-Englisch-Hallesche Mission war die erste organisierte evangelische Missionsgesellschaft, die sich tatsächlich die Mission unter nichtchristlichen Nichteuropäerinnen und -europäern zum Ziel gesetzt hatte. Gegen Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden in fast allen europäischen Ländern evangelische Missionsgesellschaften, und auch diese waren häufig bewusst oder notgedrungen europäisch ausgerichtet.[2] Die 1815 gegründete Basler Mission war von Beginn überkonfessionell und übernational – eine deutsch-schweizerische Kooperation, die auch Mitglieder aus anderen Ländern aufnahm. Sie wollte zunächst gar nicht selbst Missionare aussenden, sondern lediglich Missionare ausbilden, die durch andere europäische Gesellschaften ausgesandt würden. Besonders im Blick hatte man dabei die englische London Missionary Society und die Nederlandsch Zendeling Genootschap. Die englische Church Missionary Society (CMS) war als anglikanische Gesellschaft konzipiert und sollte aus der und in die Church of England wirken. Ihre ersten Missionare jedoch waren keine Engländer, sondern Deutsche, zunächst aus dem Berliner Missionsseminar von Johannes Jänicke, später dann von der Basler Mission, mit der über mehrere Jahrzehnte eine vertraglich vereinbarte Kooperation bestand, in der sich die beiden Gesellschaften gegenseitig beeinflussten und prägten. So nahm die CMS Einfluss auf die Basler Lehrpläne, während Basler Missionare bestimmten, wie die ersten CMS-Missionen aufgebaut wurden.

Doch die evangelische Mission war nicht nur aufgrund der Kooperationen ein europäisches Phänomen. Sie begründete ihren Auftrag häufig auch mit der Geschichte der Kirche, die ihrer Darstellung zufolge hauptsächlich in Europa stattfand und auf einen Missionsauftrag für die evangelischen Europäerinnen und Europäer zulief. Dabei handelte es sich um eine frühe Variante des im Laufe des 19. Jahrhunderts zunehmend vorgebrachten Arguments von einer welthistorischen Bedeutung Europas, mit dem später auch der Imperialismus begründet wurde. Im Argumentationsgang der Erweckungsbewegung ging es freilich vornehmlich um den Auftrag zur Evangelisierung, in zweiter Linie erst um die Zivilisierung. Zudem suchte die Mission, Werte zu vermitteln, die sie als zentral „christlich“ wahrnahm und die doch durch die europäische Geschichte geprägt und so zu „europäischen“ Werten geworden waren. In der Missionsbegründung, vor allem aber in Kooperationen, Missionsstrategien und -erfahrungen entwickelte sich eine gemeinsame Identität als Europäer bei gleichzeitiger Hinterfragung des Europäischen und Aufnahme von „in der Welt“ gemachten Erfahrungen und Perspektiven.

Dieser Essay stellt in seinem ersten Abschnitt zwei Dokumente vor, die exemplarisch die religiöse Argumentation mit der europäischen Geschichte insbesondere in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts veranschaulichen. In einem zweiten Abschnitt wird der Blick geweitet auf weitere Überzeugungen und Praktiken, die zur Europäisierung der Mission in der ersten Jahrhunderthälfte beitrugen. Der letzte Abschnitt verweist auf die Entwicklung in der zweiten Jahrhunderthälfte, als Nationalisierung und Globalisierung die Missionsbewegung zunehmend prägten.

Alle Missionsgesellschaften veröffentlichten eine zunehmende Vielzahl an Zeitschriften, von denen in der Regel mindestens eine der Publikation von Berichten aus der Mission gewidmet war. Die Basler Mission gab ab 1828 Derevangelische Heidenbote heraus; jeder Jahrgang begann und schloss mit einem Essay des Herausgebers, die Ausschnitte aus den Briefen und Berichten der Missionare wurden zum Teil durch Kommentare eingeleitet oder abgeschlossen. Ab 1830 erschien der Church Missionary Record der CMS. Hier dominierten Briefausschnitte, die jedoch häufig auch zusammengefasst oder knapp eingeleitet wurden. Allgemeinere Essays gab es nur selten, 1830 aber wurde der Record eingeleitet durch begründende Ausführungen, die sofort in eine Kurzgeschichte der Westafrika-Mission der CMS übergingen. Dabei wurden Strategien ebenso beschrieben wie die Beziehung der Mission zur Kolonialpolitik und zu lokalen Machthabern sowie die Begründung der Mission in der durch Europäer geübten Sklaverei. Der Heidenbote von 1833 hingegen sprach in die politisch aufgeladene unruhige Zeit nach den 1830er-Revolutionen hinein und versuchte, das deutsche und schweizerische Publikum mit dem Verweis auf die europäische Geschichte als Missionsgeschichte und auf die gegenwärtigen Missionen zu beruhigen und zugleich zu motivieren.

Beide Zeitschriften wandten sich an ein breites Publikum, wobei die Basler Mission ihre Unterstützerkreise vor allem unter Handwerkern, kleineren Angestellten und in der Landwirtschaft Tätigen fand, während die CMS auch den anglikanischen Klerus anzusprechen suchte. Im Gegensatz zu anderen Zeitschriften dieser Gesellschaften hatten Heidenbote und Record nicht ein spezifisches Publikum vor Augen (Frauen, Kinder, Arbeiter, Kleriker). Die Breite der angesprochenen Unterstützerkreise (und erhofften weiteren Ansprechpartner) führte dazu, dass einzelne Überzeugungen und Argumente immer wieder angeführt wurden, dass es aber andererseits keinen Ort gab, an dem die Argumente gesammelt und strukturiert diskutiert wurden. Vielmehr tauchen bestimmte Topoi in den Zeitschriften an unterschiedlichen Orten in Nebensätzen oder als Randbemerkungen immer wieder auf, und diese Häufung macht sie wichtig. Daher werden im zweiten Teil dieses Essays über die vorgestellten Quellen hinausgehende Topoi nachgetragen.


I.

Die englische evangelische Missionsbewegung war aufs engste verknüpft mit der Antisklavereibewegung. Deren Protagonisten wie William Wilberforce engagierten sich auch im Leitungsgremium der CMS. Neben dieser Personalunion spielten auch inhaltliche Motive eine bedeutende Rolle: Die Ablehnung von Sklavenhandel und Sklavenhaltung wurde mit religiösen Argumenten begründet, die denen für die Begründung der Mission sehr ähnelten.[3] Hinzu kam, dass die Sklavenhaltung durch Europäer selbst zu einem Argument für die Mission wurde, ebenso wie die Zahl neuerdings freigelassener Sklaven. Evangelicals[4], die in England die meisten Unterstützer der Mission in diesen Jahrzehnten aufboten, fühlten sich für die ehemaligen Sklavinnen und Sklaven verantwortlich. Dass die frühen Missionsbestrebungen nach Westafrika, genauer: Liberia und Sierra Leone, gingen, war nicht nur deren Erreichbarkeit für die Mission geschuldet, sondern wurde auch mit religiösen Argumenten gerechtfertigt. Dies galt gleichfalls für die deutsche und schweizerische Mission, mit dem einzigen Unterschied, dass sich die Mitglieder der Erweckungsbewegung zumeist des politischen Engagements weitgehend enthielten – und dass ihre Herkunftsländer in weit geringerem Ausmaß am Sklavenhandel beteiligt gewesen waren als das britische Empire.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die europäische Mission vor allem von Mitgliedern der Erweckungsbewegung und des Evangelicalism getragen. Konfessionelle Missionsgesellschaften entstanden in Deutschland erst später, und auch liberale und Zivilisierungsmissionen waren Produkte der Mitte bzw. der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Durch die Beziehung zu Erweckung und Awakening traten bestimmte religiöse und weltanschauliche Überzeugungen in den Vordergrund der Mission, hinzu kam eine spezifische Interpretation der politischen, kulturellen und religiösen Gegenwart in Europa. Erweckung, Awakening und Evangelicalism wiesen zwar im Detail unterschiedliche Prägungen auf, die auf die Erfahrungswelt der Mitglieder und auf konfessionelle Besonderheiten zurückgeführt werden können, waren aber untereinander eng vernetzt und gegenseitig beeinflusst. Da sie sich zudem wechselseitig als „rechtgläubig“ ansahen, können sie als eine länderübergreifende Bewegung behandelt werden.

Die CMS sandte 1804 ihre ersten (deutschen) Missionare, Melchior Renner und Peter Hartwig, nach Sierra Leone und begründete diese Wahl mit der „spiritual darkness“ der Menschen in Afrika und mit dem Sklavenhandel.[5] Großbritannien müsse das Unrecht, das es den Menschen getan habe, wiedergutmachen, es habe die Pflicht zur Heilung der Schäden, die durch seine Schuld entstanden seien, so der resümierende Rückblick in der ersten Nummer des Church Missionary Record. Dies ist eine sowohl religiöse als auch politische Argumentation. Beginnen wir mit der religiösen Interpretation: Unrecht, Schuld und Pflicht waren Leitbegriffe der Spiritualität der Evangelicals. Sie verweisen zum einen auf die Kreuzestheologie, die die Evangelicals prägte[6], und zum anderen auf grundlegende Werthaltungen dieser Frömmigkeitsgruppe. „Pflichterfüllung“ gehörte zu den fundamentalen Werten von Erweckten und Evangelicals.[7] Sie wurde in Beziehung gesetzt zu so grundlegenden Idealen wie Hingabe, Nächstenliebe, Gemeinschaft, Demut und Gehorsam und zeigt den Horizont auf, innerhalb dessen die Erweckten ein geheiligtes Leben als Bekehrte führen wollten. Diese Werte flossen unmittelbar aus der in der Bekehrung erfahrenen Rechtfertigung des sündigen Menschen und waren damit auch an Schuld und Unrecht rückgebunden.

Politisch ging es um die konkreten Schäden, welche Europäer Afrikanerinnen und Afrikanern zugefügt hatten und die nicht nur im Unrecht bestanden, sondern nach Ansicht der Evangelicals auch geistliche Wirkung gezeitigt hatten, unter anderem „geistliche Dunkelheit“, Unwissen, Aberglauben und „Erniedrigung des ganzen Menschen“. Wenn Afrikaner und Afrikanerinnen nicht mehr als ganze Menschen gesehen wurden, dann lag das, so diese Argumentation, nicht an den Afrikanern selbst, sondern an der Erniedrigung, die sie durch Europäer erfahren hatten. Diese hatten sie aus der Stufe des vollen Menschseins hinabgedrückt. Die Mission schien den Erweckten aufgrund dieser Geschichte Europas mit Afrika eine Notwendigkeit. Das Unrecht, das Politik und Wirtschaft den Menschen getan hatten, sollte die Religion wiedergutmachen, indem sie ihnen innerweltlich ein gutes Leben ermöglichte, ihnen Aufnahme, Nahrung und Kleidung bot (in der vorliegenden Quelle werden die Maßnahmen der Regierung in dieser Hinsicht hervorgehoben, in anderen Quellen werden diese Aspekte auf die Mission bezogen), indem sie ihnen Bildung und dadurch mittelfristig Arbeitsverhältnisse ermöglichte und indem sie ihnen das in ihren Augen Wichtigste gab: Unterricht im Glauben und Erziehung hin zur „echten Bekehrung“ und Erfahrung Gottes. Hauptsächlich war es Letzteres, was ihrer Meinung nach das Unrecht der Sklaverei wiedergutmachen könne. Wenn eine Kolonialregierung Evangelisierung anbot, erfüllte sie nach Ansicht der Evangelicals ihre Pflicht. Andernfalls mussten, so die geläufige Argumentation, Mission und religiöse Bildung auch gegen eine Regierung durchgeführt werden.

Und in der Tat habe die Mission durch Predigt und Unterricht schon eine deutliche und wohltuende Veränderung in Verfassung und Verhalten der Menschen hervorgerufen. Selbst diejenigen, die bisher keine Zeichen „echter“ Bekehrung zeigten, seien zu angesehenen Mitgliedern der Gesellschaft geworden. Auch wenn das vornehmliche Ziel der Mission die Ausbreitung des Reiches Gottes war, so wurde doch die Integration der Missionierten in die (europäisch geprägte) Gesellschaft, gewissermaßen ihre ‚Europäisierung‘, als elementares Ergebnis der Mission gesehen. Der Zivilisationsbegriff fiel in diesem Zusammenhang zu der Zeit recht selten.[8] Das sollte sich in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ändern.

Andere auf die damalige Situation und die Geschichte der letzten Jahrzehnte bezogene Argumente begleiteten den Verweis auf die Sklaverei. Eine exemplarische Argumentation mit dem Empire brachte der 1849 von der CMS neu etablierte Church Missionary Intelligencer in seinem ersten Jahrgang:[9] Mit einem Empire seien Verpflichtungen verbunden, die Gott dem Volk gleichzeitig mit dem Segen durch das Reich aufgetragen habe. Wer diese Pflichten nicht erfülle, werde durch Entzug der Macht und Verfall des Empires bestraft. Bewiesen wurde dies zum einen mit der antiken Geschichte, Alexander dem Großen, dessen Reich allein auf „self-aggrandisement and self-glory“ fundiert gewesen sei, und mit der Geschichte neuerer Empire, Spanien und Holland, die ihre Macht ebenfalls verloren hätten, weil sie nicht nach Gottes Willen verfahren seien, Spanien wegen der katholischen falschen Mission und Holland wegen des Verzichts auf Mission.[10] England aber könne von Gott noch genutzt werden, „if only we rise to a due sense of our duty and our safety.“[11] Wenn England seine Pflicht als Empire erfülle, werde Gott es segnen. Der Missionar sei der echte Patriot. Verbunden war die Argumentation zum anderen mit einer Drohung: Wer ein Empire habe und seine Pflicht zur Ausbreitung des Evangeliums nicht erfülle, dem werde Gott das Empire entziehen.

Anklänge an diese Argumentation finden sich auch in der deutschsprachigen Mission der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, aber, mangels Empire, weniger häufig und weniger explizit. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, zur Zeit des intensivierten Nationalismus und des organisierten Imperialismus, verstärkten sich auch bei den Missionsgesellschaften die nationalistischen und imperialistischen Argumentationen, die in den ersten Jahrzehnten der Mission nur vereinzelt vorgebracht wurden. Gleichzeitig ist festzuhalten, dass Verweise auf die Einheit der Christen, sowohl innerhalb Europas als auch mit den Menschen in den Missionsgebieten, fortbestanden. Auch die Wahrnehmung des christlichen Glaubens als Auftrag zur Mission bestand weiterhin, doch traten hier ebenfalls die Verweise auf Zivilisierung und angenommene kulturelle Überlegenheiten sowie das Bewusstsein des politischen und wirtschaftlichen Kolonialismus in den Vordergrund. Aus dem allen leiteten die Mitglieder der Missionsbewegung die unbedingte Verpflichtung zur Mission ab.

Ein Beispiel aus dem Evangelischen Heidenboten von 1830 mag die Argumente des Church Missionary Intelligencer ergänzen: Dort wurde unter Bezug auf die Vergangenheit und insbesondere „unsere ernsten frommen Väter“[12] ein Bild der Gegenwart als Zeit der Mission gemalt, in der die Welt nahegerückt ist. Die technischen Fortschritte, vor allem in der Schifffahrt, wurden als Zeichen Gottes gedeutet, mit denen er die Menschen zur Evangelisation der Welt rufe. Nicht das Empire, sondern die technischen Möglichkeiten der Europäer waren hier die Segnungen, die Gott den Christen der Gegenwart gab und die sie nach Ansicht des Verfassers, des Missionsinspektors Christan Gottlieb Blumhardt, zum Segen für die Menschen außerhalb Europas einsetzen müssten.

Eine andere Argumentationslinie bezog die Mission auf die europäische Geschichte. Dies konnte sowohl in einer positiven Geschichtssicht als Begründung dienen (weil wir das Glück hatten, missioniert zu werden, müssen wir dies weitergeben) als auch in einer negativen Gegenwartsinterpretation als Beweis des „Trotzdem“ wie in dem vorliegenden Beispiel. Die Quelle aus dem Heidenboten stammt aus dem Jahr 1833.[13] Hatte der Herausgeber Blumhardt im Januar 1830 im Blick auf die Gegenwart noch von „Freude“, „Wonnegefühl“ und den „tausend wunderbaren Wegen“, die Gott mit den Seinen gehe, gesprochen[14], so begann er seine Ausführungen nach dem Revolutionsjahr im Januar 1831 mit den Worten: „Kindlein! es ist die letzte Stunde![15] Dieser Tenor setzte sich in den folgenden Jahren fort, wobei immer stärker auch die Hoffnung auf die Zukunft hervorgehoben wurde. Im Januar 1833 begründete der Herausgeber diese Zukunftshoffnung und neue Gegenwartsinterpretation mit der Missionsgeschichte. Das spezifische Geschichtsbewusstsein der Erweckten spielte eine große Rolle in ihrem Missionsverständnis, wie diese Beispiele andeuten.[16]

Vor allem aber wurde die gegenwärtige Mission in die Geschichte der Missionen in Europa eingeschrieben. Daraus folgerte der Autor eine Handlungsaufforderung, die im gesperrt Gedruckten noch einmal hervorgehoben wurde. Trotz der „bösen Zeit“ und gerade in der „bösen Zeit“ seien die Erweckten aufgerufen, das Reich Gottes auszubreiten. Die gegenwärtige Mission aber wurde als integraler Bestandteil der Geschichte der Kirche und des Reiches Gottes verstanden, in der von der Urkirche bis ins 10. Jahrhundert und darüber hinaus Europa missioniert und in der Reformation neu evangelisiert wurde. Die Gründung neuer Missions- und Bibelgesellschaften setzte der Autor explizit der Französischen Revolution als Folge einer falsch verstandenen Aufklärung entgegen und schrieb sie damit in die Politik- und Geistesgeschichte Europas ein.[17]

Der Bezug auf die Gegenwart wurde auch in den folgenden Ausführungen zu den zeitgenössischen Werten deutlich. Ausführlich ging der Verfasser auf die Freiheitsforderungen ein, nachdem er zunächst festgestellt hatte, dass eine richtig verstandene Freiheit auch den Christen ein Ideal sei, Freiheit als Freiheit von Sünde, Unwissenheit und Tod, die als geistliche Sklaverei interpretiert werden. Damit wurde wieder auf die Rechtfertigung des sündigen Menschen rekurriert. Die auf das innerweltliche Leben bezogenen Werthaltungen aber werden hier in ihrer Umkehrung aufgezählt. Daraus wird deutlich, welche Ideale die Erweckten verfolgten: Ordnung und Gesetzmäßigkeit, Gehorsam gegenüber der Obrigkeit, Eintracht und Frieden, Zucht und Tugendhaftigkeit, Demut, Unterordnung und Genügsamkeit.

II.

Die Begründungen in europäischer Geschichte und Gegenwart waren indes nicht die einzigen Bezüge der Mission auf Europa und nicht allein verantwortlich für eine Europäisierung durch die Mission. Hinzu kamen – unter anderem – der Rekurs auf die Vermittlung „europäischer“ Werte, die Kooperationen und spezifische Missionsstrategien. Dies wird in den vorliegenden Quellen eher implizit deutlich, ist aber ein wichtiger Aspekt der evangelischen Mission.

Werte

In welcher Weise waren die Werthaltungen[18] der Erweckten und Evangelicals „europäisch“? Wahrgenommen wurden sie von den Missionarinnen und Missionaren zunächst weniger als europäisch denn als „christlich“. Beides stimmt selbstverständlich nicht. Weder waren die Wertvorstellungen und -haltungen außerhalb Europas nicht zu finden, noch waren sie rein christlich geprägt oder werden zum Beispiel heute noch als christlich (an)erkannt. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts aber glaubten Evangelicals und Erweckte diese Haltungen – und einige andere – als „christlich“. Erst in der Begegnung mit außereuropäischen Menschen wurde ihnen klar, dass ein christlicher Lebenswandel auch anders aussehen konnte als in den aus Europa bekannten Gebräuchen und Verhaltensweisen.[19] In der Folge modifizierten sie ihre Ansprüche zwar nicht in Bezug auf Ideale wie Demut, Ordnung und Eintracht oder religiös aufgeladene moralische Vorstellungen, wie zum Beispiel die Sexual- und Familienethik, wohl aber in Bezug auf Kleidung, Lebenswandel in der Welt und ähnliches. Das „Christliche“ und das „Europäische“ traten auseinander.

Den Mitgliedern dieser Frömmigkeitsbewegung wurde im außereuropäischen Kulturkontakt die europäische Prägung ihrer Auffassungen bewusst. Gleichzeitig wurden sie in der engen Zusammenarbeit von Menschen aus unterschiedlichen deutschsprachigen Regionen und in der Kooperation mit Missionaren und Missionarinnen anderer europäischer Gesellschaften der nationalen und regionalen Unterschiede gewahr. So bildete sich ein Bewusstsein als Europäer, das Gemeinsamkeiten wie Unterschiede, Einheit und Vielfalt, umfasste.

Kooperation

In der Mission herrschte eine enge europäische Kooperation nicht nur in Ausbildung und Aussendung von Missionaren, sondern es gab zwischen den Missionsgesellschaften der verschiedenen europäischen Länder und unterschiedlicher evangelischer Konfessionen auch Kooperationen vor Ort.[20] Dazu gehörten der Empfang neu ankommender Missionare durch Kollegen einer anderen Gesellschaft, ihre Einführung in lokale Gepflogenheiten, Absprachen über Missionsgebiete, der wechselseitige Austausch von Missionaren und gemeinsame Aktionen. So verlieh die Basler Mission in Südindien zum Beispiel ihren Mitarbeiter Gottfried Weigle 1847 aufgrund seiner großen Übersetzungsfähigkeiten an die Bible Society Madras und stellte ihn dafür von seinem Missionsdienst frei. Sein Kollege Hermann Gundert wurde zehn Jahre später zum Schulinspektor ernannt.

Gundert und Weigle sowie Weigles Stiefbruder Herrmann Mögling arbeiteten Ende der 1840er-/Anfang der 1850er-Jahre gemeinsam mit Missionaren der London Missionary Society und der CMS an einer Neuübersetzung der Bibel in die Landessprache. Abgrenzungen und gegenseitige Vorwürfe von Fehlübersetzungen wurden überwunden in dem Bewusstsein der gemeinsamen Aufgabe und der Vorteile, die aus der internationalen und interkonfessionellen Zusammenarbeit resultieren konnten. Am Ende kannte man einander besser und verstand einander besser – im Positiven wie im Negativen. Insgesamt überwog aber hier wie bei anderen Fällen das durch die Kooperation entstandene Verständnis zur Aufhebung von wechselseitigen Vorurteilen.

Dies galt sowohl in den Missionsgebieten als auch bei der Zusammenarbeit der Missionsgesellschaften. Zwischen CMS und Basler Mission kam es während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als der Kooperationsvertrag noch in Kraft war, wiederholt zu wechselseitigen Missverständnissen und (Vor)verurteilungen, die zumeist darauf beruhten, dass man über die Theologie oder Spiritualität im anderen Land gelesen und gehört hatte und dies auf den Kooperationspartner bezog. So verfolgten die Basler die Entwicklung des britischen Oxford Movement mit großer Unruhe und warfen schließlich der CMS rationalisierende und katholisierende Tendenzen vor. Bei einem persönlichen Treffen stellte sich bald heraus, dass die CMS das Oxford Movement ablehnte und zwischen den verschiedenen Gruppen innerhalb der Church of England unterschieden werden musste. Persönliche Treffen und Aussprachen konnten solche Missverständnisse immer aus dem Weg räumen. Auf diese Weise trugen die Erfahrungen der Kooperation in der Mission zur Überwindung der auch in Theologie und Frömmigkeit spaltenden Nationalisierung Europas bei. Die Basis bildete die Gewissheit von gemeinsamen „richtigen“ Auffassungen von Theologie und Glauben, insbesondere der Konzeptionen von Bekehrung und Konversion. Gegenseitige nationale Überheblichkeit, die Überzeugung, selbst den noch etwas richtigeren Glauben zu vertreten, blieb davon freilich unberührt.

Strategien

Mission bestand nur selten im predigenden Missionar, der mit Tropenhelm und Bibel bewaffnet auf Straßen und Märkten lautstark seine Botschaft verkündigte und dann weiterreiste. Viel häufiger waren langwierige Verfahren der Einrichtung von Schulen, Bibelgruppen und später Gemeinden, des Kirchenbaus von klein auf.[21] Dazu war die Zustimmung von lokalen und nationalen Autoritäten nötig, und auch die Kooperation mit den verschiedenen Akteuren vor Ort.[22] Auch dies brachte die Missionare in Kontakt mit unterschiedlichen Gruppen von Europäern und Europäerinnen, Kolonialbeamten, Militärangehörigen und ihren Familien, Landbesitzern und Händlern. Von den einen grenzten sie sich ab, zu den anderen suchten sie Nähe, sowohl um deren Unterstützung zu erlangen, als auch um sie wie die Einheimischen zum „echten“ Glauben zu bekehren.

Infolge dieser vielfältigen Kontakte unterschieden die Missionen schon früh zwischen „guten“ und „schlechten“ Europäern.[23] Zu den „guten“ gehörten alle, die die Mission ermöglichten und unterstützten, zu den „schlechten“ diejenigen, die sie hinderten oder nach Ansicht der Evangelicals und Erweckten unmoralische oder negative Bräuche in den außereuropäischen Ländern verbreiteten, seien dies Sklavenhaltung und Menschenhandel, Prostitution oder Branntwein. Diese Einschätzung änderte sich durch die Missionserfahrung nicht, vielmehr wurde sie mit vielfachen Beispielen unterlegt und verfestigt. Die Unterscheidung zwischen „guten“ und „schlechten“ Europäern ist jedoch aus einem Grunde wichtig: Die Mission versuchte, sich von den „schlechten“ Europäern abzugrenzen und ein neues, ihrer Ansicht nach christlich geprägtes Bild von Europa und den Europäern in den Missionsgebieten zu etablieren.


III

Die engen Kooperationen von Missionsgesellschaften aus unterschiedlichen europäischen Ländern bestanden bis in die 1850er-Jahre hinein, danach fand auch im Missionsbereich eine stärkere Nationalisierung statt. Die offiziellen Kooperationen, insbesondere in Europa und bei der Ausbildung und Übernahme von Missionaren, wurden häufig beendet oder liefen, wie im Fall von CMS und Basler Mission, stillschweigend aus. Gleichzeitig wurde auch die faktische Missionsarbeit stärker nationalisiert, und die Missionsberichte und Zeitschriften verwiesen ebenfalls häufiger als zuvor auf Nationalitäten. Gegen Ende des Jahrhunderts nahmen zudem zeitgenössische Kultur- und Zivilisierungstheorien einen stärkeren Einfluss auf Darstellung wie Wahrnehmung von Mission. Das „Europäische“ bestand nun oft stärker als zuvor in der Abgrenzung und Abwertung von afrikanischer oder asiatischer Kultur und Lebensweise. Diese Veränderungen waren zum einen durch politische und religiöse Entwicklungen in Europa bedingt, zum anderen durch eine Enttäuschung von Hoffnungen, die viele Erweckte und Evangelicals in die zu missionierenden Menschen in Afrika und Asien gesetzt hatten. Ihre Missionsstrategien waren oft nicht aufgegangen, ihre Zukunftserwartungen hatten sich nicht erfüllt, ihre „europäischen“ Werte sich als nicht allumfassend christlich erwiesen.

Dieser Entwicklung gegenüber stand eine Internationalisierung der Erweckungsbewegung und des Evangelicalism in (Missions-)Konferenzen, in der Entstehung internationaler Vereine wie des YMCA und weiterer neuer Organisationsformen. In den Missionsgebieten kamen erste Diskussionen zur Vereinigung verschiedener Missionskirchen auf. Inzwischen war die Mission jedoch nicht mehr von Europa dominiert, sodass für diese Zeit zunehmend von einer Globalisierung gesprochen werden kann.

Der Nationalisierung der Mission stand ebenfalls gegenüber das Festhalten an Kooperationen, insbesondere in den Missionsgebieten, das Beharren auf der Befolgung „christlicher“ Werte durch Konvertitinnen und Konvertiten – mehr denn zuvor – und die Fortführung von Einheitskonzeptionen, sowohl in Bezug auf Europa als auch im Blick auf die Welt als Ganzes. Die Überzeugung der Einheit und Gleichheit aller Menschen wurde wie bestimmte Werthaltungen als christlich wahrgenommen und konnte deshalb nicht aufgegeben werden. Die evangelische Mission wies von Beginn an viele Paradoxien auf; diese verstärkten sich Laufe des Jahrhunderts. Dabei verschränkte die Missionsbewegung nationale, europäische und globale Perspektiven.



[1] Essay zu den Quellen: Church Missionary Record / Der evangelische Heidenbote (1833/1830).

[2] Zur Missionsgeschichte als Verflechtungsgeschichte vgl. Habermas, Rebekka, Mission im 19. Jahrhundert – Globale Netzwerke des Religiösen, in: Historische Zeitschrift 287 (2008), S. 629–679; dies.; Hölzl, Richard (Hgg.), Mission global. Eine Verflechtungsgeschichte seit dem 19. Jahrhundert, Göttingen 2014.

[3] Zur Diskussion um die Antisklavereibewegung vgl. als Überblick: Drescher, Seymour, Trends in der Historiographie des Abolitionismus, in: Geschichte und Gesellschaft 16 (1990), S. 187–211; ders., Abolition. A History of Slavery and Antislavery, Cambridge 2009; Festa, Lynn, Humanity without Feathers, in: Humanity 1 (2010), S. 3–27. Vgl. ebenfalls Haskell, Thomas L., Capitalism and the Origins of the Humanitarian Sensibility, in: The American Historical Review 90 (1985), S. 339–361; Brown, Christopher Leslie, Moral Capital. Foundations of British Abolitionism, Chapel Hill 2006, S. 333–450.

[4] Zum Begriff vgl. Gäbler, Ulrich, Evangelikalismus und Réveil, in: ders. (Hg.), Der Pietismus im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert (Geschichte des Pietismus; 3), Göttingen 2000, S. 27–84.

[5] Church Missionary Record 1 (Januar 1830), H. 1, S. 1. Im Folgenden stammen alle Quellenzitate, soweit nicht anders vermerkt, aus den hier mit abgedruckten Quellenausschnitten. Zur Geschichte der CMS im 19. Jahrhundert liegt keine neuere Monografie vor. Vgl. aber Stock, Eugene, The History of the Church Missionary Society. Its Environment, its Men and its Work, 4 Bde., London 1899–1916; Ward, Kevin; Stanley, Brian (Hgg.), The Church Mission Society and World Christianity, 1799–1999 (Studies in the History of Christian Missions), Grand Rapids 2000.

[6] Vgl. Bebbington, David W., Evangelicalism in Modern Britain. A History from the 1730s to the 1980s, London 1989, S. 4.

[7] Vgl. Becker, Judith, Conversio im Wandel. Basler Missionare zwischen Europa und Südindien und die Ausbildung einer Kontaktreligiosität, 1834–1860 (VIEG; 238), Göttingen 2015, S. 266–269.

[8] Im Heidenboten geschah dies noch seltener als im Church Missionary Record. Die Argumentation zur Sklaverei ähnelte sich in den beiden Zeitschriften, wurde aber seltener angeführt. Das Unrecht wurde auch im Heidenboten ausführlich beschrieben, vgl. Heidenbote 1830, S. 65f. mit Church Missionary Record 1830, S. 153. Beide Zeitschriften brachten sehr ähnlich lautende Berichte von in Basel ausgebildeten CMS-Missionaren.

[9] Church Missionary Intelligencer 1 (Juli 1849), H. 3, S. 51f.: The True Strength of Empires – A Lesson from History. Zur Beziehung englischer Missionen zum Empire vgl. Porter, Andrew, Religion versus Empire? British Protestant Missionaries and Overseas Expansion, 1700–1914, Manchester 2004; Stanley, Brian, The Bible and the Flag. Protestant Missions and British Imperialism in the Nineteenth and Twentieth Centuries, Leicester 1990.

[10] Church Missionary Intelligencer 1 (Juli 1849), H. 3, S. 52: „The kingdom has departed from the nation that taught falsehood, and from the nation that taught nothing; and England is the inheritor of their greatness.“

[11] Ebd.

[12] Der evangelische Heidenbote 1 (Januar 1830), H. 1, S. 3.

[13] Zur Geschichte der Basler Mission vgl. Schlatter, Wilhelm, Geschichte der Basler Mission 1815–1915. Mit besonderer Berücksichtigung der ungedruckten Quellen, 3 Bde., Basel 1916; Jenkins, Paul, Kurze Geschichte der Basler Mission, Basel 1989; Christ-von Wedel, Christine; Kuhn, Thomas K. (Hgg.), Basler Mission. Menschen, Geschichte, Perspektiven 1815–2015, Basel 2015.

[14] Der evangelische Heidenbote 1 (Januar 1830), H. 1, S. 3f.

[15] Der evangelische Heidenbote 1 (Januar 1831), H 1, S. 3.

[16] Zum Geschichtsbewusstsein in der Missionsbewegung vgl. Becker, Judith, Die Christianisierung fremder Völker – ein Zeichen für die nahende Endzeit?, in: dies.; Braun, Bettina (Hgg.), Die Begegnung mit Fremden und das Geschichtsbewusstsein (VIEG Beihefte; 88), Göttingen 2012, S. 183–204; dies., Zukunftserwartungen und Missionsimpetus bei Missionsgesellschaften in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Breul, Wolfgang; Schnurr, Jan Carsten (Hgg.), Geschichtsbewusstsein und Zukunftserwartung in Pietismus und Erweckungsbewegung (AGP; 59), Göttingen 2013, S. 244–270.

[17] Die Gegenüberstellung von „falscher“ und „echter“ Aufklärung, bei der die Vernunftorientierung in Philosophie und Theologie als „falsch“ verstanden wurde, während man die „echte“ Aufklärung als Vermittlung christlicher Glaubensgrundsätze im Sinne der Erweckung bzw. des Evangelicalism interpretierte, war ein weit verbreiteter Topos. Vgl. z.B. die Polemik in Jung-Stilling, Johann Heinrich, Das Heimweh. 1.–3. Teil (Johann Heinrich Jung genannt Stilling: Sämmtliche Werke), Stuttgart 1841; ders., Das Heimweh. 4. Band, Stuttgart 1826.

[18] Zur Wertewandelsforschung in Bezug auf Europa vgl. Joas, Hans; Wiegandt, Klaus (Hgg.), Die kulturellen Werte Europas, Frankfurt 52010.

[19] Vgl. dazu Becker, Judith, What was European about Christianity? Early Nineteenth Century Missionaries' Perceptions, in: dies.; Stanley, Brian (Hgg.), Europe as the Other. External Perspectives on European Christianity (VIEG Beihefte; 103), Göttingen 2014, S. 29–52. Die Bedeutung von Erfahrungen in den Kontaktzonen für Europa heben ebenfalls hervor: Price, Richard, Making Empire. Colonial Encounters and the Creation of Imperial Rule in Nineteenth-Century Africa, Cambridge u.a. 2008; van der Veer, Peter, Imperial Encounters. Religion and Modernity in India and Britain, Princeton 2001. Die strukturellen Parallelen zwischen Großbritannien und Indien betont Viswanathan, Gauri, Outside the Fold. Conversion, Modernity, and Belief, Princeton 1998.

[20] Die Kooperationen werden in den Zeitschriften erwähnt und vor allem in Schlatters Rückblick auf die Geschichte der Basler Mission ausführlich dargestellt, vgl. Schlatter, Geschichte, Bd. 1.

[21] Vgl. dazu auch: Cox, Jeffrey, The British Missionary Enterprise Since 1700 (Christianity and Society in the Modern World), New York 2008.

[22] Vgl. zur Beziehung zu den Autoritäten und insbesondere dem Empire: Porter, Andrew, Religion versus Empire? British Protestant Missionaries and Overseas Expansion, 1700–1914, Manchester 2004; Stanley, Brian, The Bible and the Flag. Protestant Missions and British Imperialism in the Nineteenth and Twentieth Centuries, Leicester 1990.

[23] Vgl. zu „guten“ und „schlechten“ Europäern auch, wenngleich ohne Blick auf Mission: Frevert, Ute, Eurovisionen. Ansichten guter Europäer im 19. und 20. Jahrhundert (Reihe: Europäische Geschichte), Frankfurt am Main 2003.



Literaturhinweise

  • Becker, Judith, What was European about Christianity? Early Nineteenth Century Missionaries’ perceptions, in: dies.; Stanley, Brian (Hgg.), Europe as the Other. External Perspectives on European Christianity (VIEG Beihefte; 103), Göttingen 2014, S. 29–52.
  • Becker, Judith (Hg.), European Missions in Contact Zones. Transformation through Interaction in a (Post-)Colonial World (VIEG Beihefte; 107), Göttingen 2015.
  • Cox, Jeffrey, The British Missionary Enterprise since 1700 (Christianity and Society in the Modern World), New York 2008.
  • Habermas, Rebekka; Hölzl, Richard (Hgg.), Mission global. Eine Verflechtungsgeschichte seit dem 19. Jahrhundert, Göttingen 2014.
  • Price, Richard, Making Empire. Colonial Encounters and the Creation of Imperial Rule in Nineteenth-Century Africa, Cambridge u.a. 2008.

Church Missionary Record / Der evangelische Heidenbote (1833/1830)

Church Missionary Record (Auszug)[1]

[Formal aktualisierte Version: 2021]

„[...] The commencement of a publication, exhibiting the Society's proceedings in a distinct and separate form, seems to be a suitable occasion for giving a brief sketch of each Mission, from its commencement to the present year, as the events connected with it are brought under notice. The first of these is the

WEST-AFRICA MISSION.

This Mission was commenced in 1804. The spiritual darkness of the inhabitants of Africa, the wrongs which this country had inflicted on them by its participation in the inhuman Slave-Trade, the guilt contracted by that nefarious traffic, and the duty of attempting something towards a reparation of the injuries which we had heaped on them, were powerful and constraining reasons why the Society should direct its first efforts to this part of the world. [...]

The painful, though necessary measure, of retiring from the territories of the Native Tribes, was greatly compensated by the important sphere of Missionary Labour presented by the Colony of Sierra Leone; where the objects of the Society could be prosecuted beyond the influence of the Slave-Traders. To this point, therefore, the Missionaries successively retired; and to this spot the efforts of the Society in Africa have since been almost entirely confined. Sierra Leone having been made the depôt for those Natives who were rescued from slavery by his Majesty's cruizers, great numbers of Africans, of many different tribes and dialects, have been brought hither, liberated from the slave-chain, distributed into villages, and humanely maintained and clothed by Government till able to support themselves. The ignorance and superstition of the people, and that depression of the whole man which is the direct consequence of slavery, have thrown no inconsiderable difficulties in the way of the Mission: in dependence, however, on the grace of God, the Society's Missionaries and Schoolmasters entered on their work; and, by His blessing on their exertions, a decided and beneficial change in the habits and manners of the people has been generally produced; and, as far as man can judge, very many have experienced the power of true religion on their hearts.

The Colony of Sierra Leone was divided into 14 parishes; for each of which it was the object of the Society, according to an arrangement with His Majesty's Government, to provide an efficient Minister; but the sickness and mortality which have prevailed in the Colony have rendered this impracticable: [...] the regions around have been left almost untouched; and, though some considerable tracts of country have been placed under the authority of Great Britain by the Chiefs and people, and an advantageous opening thereby made for the introduction of the Gospel among some neighbouring tribes, the Society, from these causes, has not had it in its power to avail itself of these opportunities of extending its labours.

The difficulties, with which the Missionaries have had to contend, have been further increased by their having been charged for some years with the duties of the Chaplaincy at Freetown. By an arrangement made with the Government in 1824, the Society pledged itself to the preparation and maintenance of all the Clergy within the Colony, whether stationed at Freetown or in the country parishes. This arrangement, which, under more favourable circumstances, might have been the means of supplying the Colony with duly-qualified and spiritual Teachers, eventually proved burdensome to the Missionaries, as their number decreased; [...]

While the Society has thus endeavoured, by the appointed instrument, the PREACHING OF THE GOSPEL, to promote the spiritual interest of Africa, it has not been unmindful of the important subsidiary aid afforded by CHRISTIAN EDUCATION; and has, from time to time, taken measures for affording the benefits of such an education to the children in the Colony. The children, those excepted who lived with their parents, were placed under the care of the Society's Labourers, from the time of their being landed from the slave-ships; they were taught to pray, to keep holy the Lord's-day, and to reverence the Name and Word of God; and, while some have received early religious impressions in the Society's Schools, which have been matured in afterlife, many have become respectable and well-behaved members of society, even where evident proofs of real conversion to God have not been subsequently afforded. [...]

Besides the education of the great body of African Children in the knowledge of the Gospel, it has ever been a principal object of the Society's solicitude to train up Native Labourers, whose constitutions, inured to the climate, and whose acquaintance with the native languages, would qualify them, should God call them by His grace, to become the instruments of conveying the Gospel to their countrymen. With this object in view, a Christian Institution was commenced at Leicester Mountain, near Freetown, in 1815; in 1820, it was removed to Regent [...]

An opportunity subsequently occurring of purchasing some land and buildings at Fourah Bay, about a mile and a half from Freetown, which were in many respects desirable for the Institution, the purchase was made [...]

[Zitat von Missionar Wilhelm aus Freetown:] [...] Let us go on sowing the seed, the precious seed, and praying for the blessing on which the harvest depends. [...] It will one day appear, that there were yet thousands and again thousands who were made willing, in the day of His power, gladly and thankfully to receive it. At the Marriage-Supper of the Lamb the tables will be furnished with guests: His Father's house will be filled.”

Der evangelische Heidenbote (Auszug)[2]

„Das ist eine ungemein betrübte Zeit! [...] Wenn die Menschen anfangen, sich nicht mehr zu begnügen mit dem, was da ist, und über die Wege Gottes und das Thun der Menschen zu murren; wenn jeder voll Eigendünkel nur über Andere herrschen, und keiner gehorchen will; wenn sie die ehrwürdigen Bande der bürgerlichen Ordnung und Gesetzmäßigkeit mit Gewalt zerreißen, und jeder ungestraft thut, was ihm wohlgefällt; wenn sie sich gegen ihre rechtmäßige Obrigkeit empören, und kein Mittel unversucht lassen, um Eintracht und Frieden aus den Familien und aus dem Lande hinauszujagen, und dem Geist der Zügellosigkeit und frecher Lasterhaftigkeit alle Thore aufzuschließen: so ist das wahrlich eine betrübte Zeit. [...]

Aber welch ein Schicksal muß die evangelische Missionssache in solchen Tagen erwarten? Was ist für das Reich Jesu Christi und seine Verbreitung auf der Erde unter solchen Umständen zu hoffen, oder vielmehr zu befürchten? Diese ernste Frage, die jedem Christenherzen nahe liegt, hat uns das Wort Gottes und die Geschichte der Kirche Christi auf eine klare und vollkommen beruhigende Weise schon längst beantwortet.

Die böse Zeit kann und darf das Reich Gottes und seine Verbreitung auf der Erde nicht hindern.

Es war eine höchst betrübte Zeit, in welcher der Sohn Gottes auf dieser Erde erschien, um mitten in der Finsterniß das unvergängliche Saatkorn des ewigen Lebens zu pflanzen. [...] Als im Laufe des fünften Jahrhunderts die ganze abendländische Welt unter den Füßen der wilden Barbaren erbebte, und diese einer Sündfluth ähnlich sich verheerend über alle westlichen Länder Europa's ausgoßen, so wurde mitten unter dieser Völkerverwirrung die Kirche Christi in diesen Ländern gepflanzt, und faßte so tiefe Wurzeln in denselben, daß die kommenden Jahrhunderte der Finsterniß sie nicht mehr auszurotten vermochten. Am Schluße des zehnten Jahrhunderts war von den Räuberzügen der wilden Normannen fast ganz Europa eine heulende Wildniß geworden, und die Auflösung aller Dinge war so allgemein, daß ein jeder mit dem letzten Tage jenes Jahrhunderts das Ende der Welt erwartete, und selbst die Regierungsbefehle der Kaiser und Könige damals immer mit der ernsten Weisung geschlossen wurden: dieß soll geschehen, weil der letzte Tag der Welt sich naht. Und siehe, gerade um diese Zeit wurde in Dänemark, in Schweden, in Norwegen bis nach Grönland hinauf, in Polen und Rußland das Reich Christi unter den Einwohnern bleibend angepflanzt, das Heidenthum für immer verdrängt, und an seiner Stelle das Christenthum zur herrschenden Landesreligion erhoben. Die Kirche Christi lag im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts in ganz Europa in moderner Fäulniß da, und weder die Fürsten noch die Gewalthaber der Kirche wußten einen Rath, um ihr wieder aufzuhelfen: da erweckte Gott in einer stillen Klosterzelle seinen Knecht Luther [...] Als am Schlusse des jüngstverflossenen Jahrhunderts die falsche Aufklärung der civilisirten Völker Europa's ihr blutiges Haupt trotzig empor hob, unter einem mächtigen Volke alle Bande der Ordnung und des Friedens für immer aufgelöst zu haben schien, und selbst in unserem deutschen Vaterlande der freche Unglaube das Evangelium Christi allenthalben zu verhöhnen und in Fesseln zu schlagen begann: siehe, da erhob sich unter dem sichtbaren Schutze des Herrn ein Christenbund um den andern, unsere Bibel- und Missionsgesellschaften, und mit ihnen eine große Reihe heilsamer Förderungs-Anstalten der Kirche Christi, gingen mitten aus dem Verderben der Zeit in der Kraft Christi hervor, und faßten unter seinem allmächtigen Beistand ein Werk der Menschenrettung in die Hände, das selbst der Hölle Pforten nicht mehr zu überwältigen vermögen.

Darum, getrost ihr Alle, die ihr dem Herrn mit aufrichtigem Herzen anhanget! [...]

In der bösen Zeit liegen nämlich manche wichtige Vortheile verborgen, die nur weislich ausgekauft und benutzt werden dürfen, um kräftige Förderungsmittel für das Reich Christi zu werden. [...]

Freiheit ist aufs Neue das allgemeine Loosungswort der Völker in unsern Tagen geworden. Damit ist nun, wenn es der wahren Freiheit gilt, das Reich Gottes wohl einverstanden, das mit Recht ein Reich der Freiheit genannt zu werden verdient. Auch kennt das evangelische Missionswerk keine seligere Aufgabe, als diejenige ist, die Freiheit von der Gewalt des Teufels, des Todes und der Sünde, welche uns der hochgelobte Sohn Gottes am Stamme des Kreuzes mit seinem Blut erkaufte, den Völkern der Erde zu verkündigen, und die Sclavenketten der Unwissenheit und Sünde zu zerbrechen, womit Satanas sie gebunden hat bis auf diese Stunde. [...]“


[1] Church Missionary Record 1 (Januar 1830), H. 1, S. 1–4.

[2] [Christian Gottlieb Blumhardt,] Der evangelische Heidenbote (Januar 1833), H. 1+2, , S. 3–5 (= erste Textseiten).


Für das Themenportal verfasst von

Judith Becker

( 2016 )
Zitation
Judith Becker, Europa in der Mission. Begründung, Strategien, Europäisierung in der evangelischen Mission im 19. Jahrhundert, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2016, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1673>.
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