Rassismuskritik im Realsozialismus. Zu einem Beschwerdeschreiben afrikanischer Studenten in der DDR

Im Zentrum dieses Essays steht die Frage, in welcher Form die Funktionäre der Union der Afrikanischen Studenten und Arbeiter Rassismuskritik übten und was sich daraus zur politischen Rolle und Selbstverortung dieser afrikanischen Studenten in der DDR ablesen lässt. Die fünf eng bedruckten Seiten des Schreibens mit dem Titel „Besorgnisse der afrikanischen Studenten und Arbeiter in der DDR“ sind Zeugnis einer Gratwanderung – und Ausdruck einer Legitimationskrise der UASA selbst. Mit Bezug auf die DDR lässt sich mit dem Schreiben die Frage weiterverfolgen, wie und wo Menschen aus dem europäischen und außereuropäischen Ausland Teil der DDR-Gesellschaft waren und diese prägten

Rassismuskritik im Realsozialismus: Zu einem Beschwerdeschreiben afrikanischer Studenten in der DDR[1]

Von Eric Burton

Im Januar 1965 ging ein Schreiben mit dem Titel „Besorgnisse der afrikanischen Studenten und Arbeiter in der DDR“ an eine Reihe von Adressaten, darunter der Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, der Chef der Leipziger Bezirksbehörde der Volkspolizei, das Ministerium des Innern und sogar der Staatsrat der DDR mit seinem Vorsitzenden Walter Ulbricht.[2] Mit dem Schreiben drückten die drei leitenden Funktionäre vom Komitee der Union der Afrikanischen Studenten und Arbeiter (UASA), die das Schreiben unterzeichnet[3] hatten, gleich im ersten Satz ihre Sorge „[a]ngesichts des immer gespannteren Verhältnisses zwischen den afrikanischen Studenten und Arbeitern […] und der deutschen Bevölkerung – besonders der Leipziger Bevölkerung“ aus. Das Schreiben erlaubt einen fokussierten Blick in die – in Wissenschaft wie Erinnerungskultur nach 1990 jahrelang ausgeblendete – Geschichte von Verflechtungen zwischen dem globalen Süden und dem staatssozialistischen Osteuropa.[4] Im Zuge der Dekolonisierung, der Entstalinisierung und der Rivalität zwischen Ost und West um die Gunst gerade unabhängig gewordener Staaten nahmen die Ost-Süd-Beziehungen an Fahrt auf. In vielerlei Hinsicht war es ein Neubeginn, aber zugleich offenbarten sich auch Überreste und neue Ausformungen eines kolonialistischen Bewusstseins. Im Zentrum dieses Essays steht die Frage, in welcher Form die UASA-Funktionäre Rassismuskritik übten und was sich daraus zur politischen Rolle und Selbstverortung dieser afrikanischen Studenten in der DDR ablesen lässt. Die fünf eng bedruckten Seiten sind Zeugnis einer Gratwanderung – und Ausdruck einer Legitimationskrise der UASA selbst.

Mit Bezug auf die DDR lässt sich mit dem Schreiben die Frage weiterverfolgen, wie und wo Menschen aus dem europäischen und außereuropäischen Ausland Teil der DDR-Gesellschaft waren und diese prägten. Hier gehen die Einschätzungen weit auseinander. Hieß es von der Kirchenmitarbeiterin Gabriele Lubanda 1990 etwa, dass „[a]lle Schichten der DDR-Bevölkerung bis hin in kleine Stadt- und Landgemeinden […] AusländerInnen in Betrieben, Geschäften, Gaststätten, Wohngebieten“ begegneten,[5] so vertreten mancher HistorikerInnen die Auffassung, dass Begegnungen im Alltag sehr selten oder zumindest streng reguliert waren und die internationale „Solidarität“ in der DDR vor allem symbolisch ausgeübt, nicht aber persönlich erfahren worden sei.[6] Diese Frage ist nicht zuletzt deshalb relevant, weil Annahmen über eine Isolation oder „Abschottung“ staatssozialistischer Gesellschaften in wissenschaftlichen und medialen Diskursen immer wieder als Erklärung für Fremdenfeindlichkeit und Rassismus angeführt worden sind und werden.[7] Problemdeutungen und Handlungspotenziale der Betroffenen sind dabei nur selten Gegenstand der Diskussion.

Das „Besorgnisse“-Schreiben von 1965 wurde zu einem Zeitpunkt verfasst, als bereits über 3.000 ausländische Studierende in der DDR weilten, davon fast zwei Drittel (1.969) aus „nichtsozialistischen Ländern“ (also exklusive Kuba, Mongolei und Nordvietnam), und von diesen wiederum 765 aus afrikanischen Staaten südlich der Sahara; hinzu kamen hunderte Personen in Berufsausbildungen und anderen Arrangements.[8] Bis 1989 stieg die Zahl auf 13.410 Studierende aus 119 Ländern, davon fast 40 Prozent aus Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas.[9] In den frühen 1960er-Jahren stieg die Zahl von Studierenden aus außereuropäischen Ländern auch in anderen Staaten auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs rasant an: Es war das „goldene Zeitalter“ von Stipendien, als Regierungen und internationale Organisationen im Kontext von Kaltem Krieg und Dekolonisierung Bildungsangebote als kultur- und entwicklungspolitisches Instrument einsetzten.[10] Die Fragen nach Institutionen, Erfahrungen und Handlungsstrategien sind also auch für andere staatssozialistische Länder ebenso wie für europäische kapitalistische Gesellschaften von Schweden über die Bundesrepublik Deutschland und Österreich bis nach Italien zu stellen, wo die Anzahl von Studierenden aus dem globalen Süden ebenfalls schnell zunahm.

Das Schreiben der UASA ist nicht nur aufgrund seiner inhaltlichen Brisanz, sondern auch wegen der multiplen archivalischen Fundorte bereits mehrfach zitiert und analysiert worden.[11] Adressiert an eine ganze Reihe von Institutionen, sind Kopien in mehreren Archiven überliefert. Die multiplen Fundorte sind zugleich Anzeichen für die zahlreichen und zersplitterten Zuständigkeiten im Bereich der Bildungsmigration – oder des „Ausländerstudiums“, wie es in der DDR hieß. Universitäten, das Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen, das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, die Freie Deutsche Jugend, die Deutsch-Afrikanische Gesellschaft (die u.a. für die Betreuung der Studentenorganisationen zuständig war) sowie zahlreiche weitere Institutionen waren in der DDR involviert, wenn auch die offizielle Verantwortung von der Immatrikulation bis hin zu „Nachkontakten“ nach dem Abschluss bei der jeweiligen Ausbildungsinstitution lag.[12] Hinzu kamen Befreiungsbewegungen, Parteien, Ministerien, Gewerkschaften oder Jugendorganisationen aus dem globalen Süden, die als Sendeinstitutionen ebenfalls auf das Verhalten und Denken der Studierenden einzuwirken versuchten. Auch in deren Archiven finden sich zahlreiche Spuren dieser Verflechtungsgeschichte, die nach wie vor aber meist auf der Grundlage von DDR-Quellen erzählt wird. Dieses Archiv globaler Verflechtungen der DDR hat jedoch einen beträchtlichen Umfang und ist bisher nur ansatzweise erschlossen.

Die erste Gruppe ausländischer Studierender – elf GewerkschafterInnen aus Nigeria – war bereits 1951 in Leipzig eingetroffen, um einen studienvorbereitenden Kurs an einer Arbeiter- und Bauernfakultät zu absolvieren.[13] Leipzig etablierte sich daraufhin als Portal und Zentrum für ausländische Studierende. Zum Erlernen der deutschen Sprache verbrachten angehende ausländische Studierende zuerst mehrere Monate am Leipziger Herder-Institut, das aus dieser Arbeiter- und Bauernfakultät hervorging; manche studierten daraufhin an anderen Orten der DDR, viele verblieben an der Karl-Marx-Universität Leipzig, wo es mit (zum Teil gerade eingerichteten) Studien in Tropischer Landwirtschaft oder Veterinärmedizin Angebote gab, die von postkolonialen Regierungen besonders nachgefragt waren.

Die Berührungspunkte mit der Leipziger Bevölkerung waren jedoch keinesfalls auf Sprachlabor, Hörsaal, Mensa und Studentenheim beschränkt – und Spannungen traten vor allem außerhalb der akademischen Begegnungsräume auf. Besonders problematisch waren dem Schreiben zufolge einerseits gewaltbereite Gruppen, die Afrikaner im öffentlichen Raum angriffen und z.T. brutal zusammenschlugen; zwei Studenten seien dem Schreiben zufolge fast an den Verletzungen gestorben.[14] Andererseits traten Probleme gehäuft im Umgang mit bestimmten „Betriebskreisen“ auf. Erwähnt wurden neben „dem unfreundlichen Verhalten einiger Verkäuferinnen und Verkäufer, Schaffner und Kellner, Postangestellter“ vor allem die „Parteilichkeit und Brutalität der Organe der Deutschen Volkspolizei“ sowie Mitglieder des Leipziger Taxiverbands, die sich weigerten, Afrikaner zu befördern – vor allem wenn sich letztere in Begleitung deutscher Frauen („Mädchen“) befanden.[15] Ein Bericht des Ministeriums für Hoch- und Fachschulwesen, der infolge des UASA-Schreibens angefertigt wurde, bestätigte die Häufung der Vorfälle – oder zumindest die behördliche Registrierung solcher – seit Ende 1964. Vor allem afrikanische, aber auch arabische und lateinamerikanische Studierende wurden diskriminiert, geschlagen und beleidigt. Sie erhoben auch Vorwürfe gegen Angehörige der Volkspolizei, die keine Maßnahmen ergriffen oder selbst direkt involviert waren. Wiederholt waren deutsche Frauen, die mit Afrikanern ausgingen, rassistischen und frauenfeindlichen Beschimpfungen ausgesetzt, so die Feststellung im Bericht des Ministeriums.[16]

Ganz dem offiziellen Antirassismus der DDR-Führung entsprechend, waren derartige Vorfälle und jegliches in „Rassenarroganz verankert[e] Überheblichkeitsgefühl“, wie es im UASA-Schreiben hieß, entweder auf die reaktionäre Haltung individueller Personen oder auf westliche Infiltration zurückzuführen. Die SED-Herrschaft in der DDR (wie in anderen kommunistisch geführten Staaten des Warschauer Pakts) baute auf antiimperialistischen und antirassistischen Motiven in leninistischer Tradition auf. Das „sozialistische Lager“ einerseits und die „nationalen Befreiungsbewegungen“ bzw. „jungen Nationalstaaten“ im globalen Süden andererseits galten als natürliche Verbündete im weltweiten Kampf gegen den Imperialismus, der in der kapitalistischen Sphäre verortet wurde. Dabei handelte es sich keinesfalls nur um Rhetorik. Antikoloniale Befreiungsbewegungen von Algerien bis Südafrika wurden seit den späten 1950er-Jahren in vielfältiger Weise von der DDR unterstützt.[17] Die antikoloniale und antirassistische Haltung der DDR war zudem ein wichtiges symbolisches Kapital auf der internationalen Bühne im Umgang mit postkolonialen Staaten, deren Stimmen in der UN und anderen Foren seit der Bandung-Konferenz 1955 an Gewicht gewonnen hatten. Die Verbündung mit der postkolonialen Welt galt der DDR-Führung als Option, um die diplomatische Isolation infolge der westdeutschen Hallstein-Doktrin von 1955 zu durchbrechen. In der Außendarstellung galt es daher, jeden Anschein von Rassismus zu vermeiden, und auch innerhalb der DDR wurden rassistische Straftaten zwar „ausgewertet“ und geahndet, aber nicht öffentlich diskutiert.

Die UASA-Führung manövrierte angesichts dieser Rahmenbedingungen zwischen der Anerkennung des offiziellen Antirassismus einerseits und dem Aufzeigen gravierender – und zunehmender – Alltagsprobleme andererseits, was sich im Oszillieren zwischen verschiedenen Stilen bemerkbar macht. Das Schreiben beginnt mit einer Präambel und Vorannahmen im Stil einer Resolution, womöglich in Anlehnung an Resolutionen der UN, von Solidaritätskomitees und transnationalen Organisationen, die auf dem Feld des globalen Kalten Krieges und der Dekolonisierung agierten. Der offiziöse Ton verweist auf den diplomatischen und internationalen Überbau, der bei den lokalen Vorkommnissen immer mitverhandelt wurde.[18] Auch andere Studentenorganisationen in der DDR und anderswo, die zum Teil tatsächlich proto-diplomatische Funktionen einnahmen und in einem größeren europäischen Rahmen agierten[19], eigneten sich diesen Stil an, um als politisch ernstzunehmende und repräsentative Akteure zu gelten.

In einer Aussprache im Anschluss an die Übermittlung des Beschwerdebriefes nahmen DDR-Vertreter den engagiert diskutierenden Leipziger Völkerkundestudenten Ansa Kwami Asamoa, der das Schreiben mitunterzeichnet hatte, als „geistige[n] Vater des Schreibens“ wahr.[20] Das galt insbesondere für die Typologie von vier verschiedenen Integrationsformen, die dem eröffnenden, resolutionsartigen Teil des Schreibens folgte. Diese Typologie ist einem sachlichen und wissenschaftlichen Stil verpflichtet. Hier heißt es, dass die ersten beiden Möglichkeiten – „Auslöschung“ oder segregierende „Abtrennung […] mit Diskriminierung“ – „der sozialistischen Ordnung der DDR fremd“ seien. Auch die vierte Option, die „Assimilation“, sei nicht zielführend, weil sie einerseits einer „Auslöschung“ gleichkomme und weil die Studierenden sich andererseits lediglich temporär in der DDR aufhielten. Hier spiegelte sich die entwicklungspolitisch und nationalstaatlich geprägte raison d’être dieser transkontinentalen Bildungsarrangements: Studierende wurden stets als VertreterInnen und wertvolle Ressource ihres Herkunftslandes gesehen und waren dazu angehalten, nach dem Ende des Studiums oder der Berufsausbildung zum „Aufbau“ in diese Länder zurückzukehren.[21] Das Schreiben ist von diesem Verständnis eines zeitlich strikt begrenzten Gastaufenthalts ebenfalls geprägt.

Das Fazit aus den Ausführungen zur Typologie war daher: Einzig eine „Teilanpassung“ sei angebracht, diese sei aber auch auf das Entgegenkommen der DDR-Bevölkerung angewiesen. Diese Ausführung in demonstrativ wissenschaftlich-logischem Gewand diente als Grundlage für die Lösungsvorschläge, wie die angespannte Lage zu entschärfen sei. Rationalität und aus der Typologie abgeleitete, somit „objektive“ Ansätze, waren wohl bewusst gewählt, um sich bei DDR-Stellen Gehör zu verschaffen und nicht dem Vorwurf einer ‚Überreaktion‘ auszusetzen. Wiederholt waren Anliegen von Einzelpersonen in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre als Missverständnisse oder subjektive Überempfindlichkeit weggewischt bzw. mit dem Verweis auf die Schädigung des Ansehens der DDR heruntergespielt worden. Ein afrikanischer Student wurde 1961 für seine öffentliche Rassismuskritik auf einer Wandzeitung sogar aus der DDR ausgewiesen.[22]

Die Beschreibung der Probleme und möglicher Ursachen erfolgte dann in einem differenzierenden, defensiven und teils sogar entschuldigenden Ton, der im Kontrast zum Selbstbewusstsein des quasi-diplomatischen Eröffnungsteils und der Typologie zur Integration steht. So räumten die UASA-Funktionäre in ihrem Schreiben nicht nur ein, dass vereinzelte Afrikaner „ihrer reaktionären Orientierung wegen bewußt provozieren, um ihr antisozialistisches Mütchen zu kühlen“, sondern meinten gar: „Es ist uns peinlich, daß das Verhalten einiger Afrikaner oft nicht vertretbar ist.“ Die Verfasser grenzten sich von diesen als „reaktionär“ abqualifizierten Afrikanern ab – und wollten deren Interessen anscheinend auch nicht repräsentieren.

Auffällig sind rhetorische Versatzstücke, die aus dem offiziellen Diskurs der Regierungspartei SED entlehnt sind („staatsfeindliche Elemente“, „ideologische Unklarheiten“, „hochgeachtete Parteimoral“). Hier dürfte es sich um strategische Aneignungen gehandelt haben, wie sie auch in Eingaben der DDR-Bevölkerung üblich waren. Ebenso ist aber Tatsache, dass ein Teil der afrikanischen Studierenden in der DDR das marxistisch-leninistische Weltbild durchaus schätzte; manche kamen bereits mit kommunistischen Überzeugungen ins Land und hielten auch nach Erfahrungen mit dem Realsozialismus daran fest. Die UASA-Funktionäre teilten die offizielle Ansicht, dass Rassismus zu den im Sozialismus überwundenen Übeln gehörte – oder zumindest gehören sollte. So erklärt sich auch, dass im Schreiben Rückstände des „berüchtigten Hitlerismus“ lediglich auf Teile der allgemeinen Bevölkerung bzw. auf den unteren Ebenen von Institutionen verortet werden, während den Führungsebenen der Staatsorgane – an die sich das Schreiben ja richtete – nach wie vor Vertrauen entgegengebracht wird. Die Hierarchien im Arbeiter- und Bauernstaat wurden genauso wenig infrage gestellt wie das Bild der DDR als ethnisch homogenes Gastgeberland (und nicht Migrationsgesellschaft).

Die Rassismuskritik war angesichts der Hinweise auf „Rassenarroganz“ und „Hitlerismus“ durchaus mutig, aber letztlich reformistisch, nicht radikal. Der insgesamt zurückhaltende Ton deutet auf eine nur begrenzt widerständige, vielmehr unterstützungsbedürftige Position der UASA-Funktionäre hin. Tatsächlich stand die UASA-Führung Anfang 1965 nicht nur aufgrund der zahlreichen rassistischen Vorfälle mit dem Rücken zur Wand. Die Gründung der UASA 1960 – bereits mit dem Mitunterzeichner des Schreibens, Sheku Magona, als Präsident – hatte die zuständigen DDR-Stellen beunruhigt: Eine panafrikanische Organisation widersprach dem Grundsatz, dass alle ausländischen Studierenden nur in ihren jeweiligen Nationalen Hochschulgruppen (NHG) organisiert sein sollten. Eigenständige Organisationen, noch dazu in nicht vorgesehenen und nationsübergreifenden Verbänden, bargen unerwünschtes subversives Potenzial. Auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs wurden politische Tätigkeiten afrikanischer Studierender überwacht und eingeschränkt.[23] 1961 erkannte die DDR die UASA dennoch an, in der Hoffnung, dass sich diese als einzige panafrikanische Organisation dazu eignen würde, eine gewisse Kontrolle über die Studierenden auszuüben und die „progressiven Kräfte“, die der SED-Regierung freundlich gesinnt waren, besonders zu fördern.[24] Um die DDR-Offensive für diplomatische Anerkennung in Afrika und Asien nicht zu gefährden, musste die Kritik der Studierenden an den Regierungen der Entsendeländer verhindert werden – trotz Zensur- und Kontrollbemühungen gelang das nicht immer. Quinn Slobodian und Sara Pugach haben in ihren Publikationen daher den aktivistischen und widerständigen Charakter afrikanischer Studentenorganisationen in den Vordergrund gestellt; auch und gerade mit Bezugnahme auf das Schreiben des UASA-Komitees.[25] Das Schreiben der UASA-Funktionäre über die Zunahme rassistischer Zwischenfälle stellte nicht ohne Grund auch den Bezug zur „internationalen Öffentlichkeit“ und der „imperialistischen Presse“ her. In einem späteren Treffen erklärten die UASA-Funktionäre gleichwohl, das Schreiben gezielt nur an Stellen geschickt zu haben, bei denen ein Durchsickern an westliche Medien ausgeschlossen werden konnte.[26]

Schon seit Jahren wurde die UASA-Führung aus den eigenen Reihen kritisiert. Studierende aus Togo etwa attackierten Präsident Magona im Frühjahr 1963 scharf, „weil er mit der FDJ und der DAfriG zusammen[ge]arbeitet“ habe und „ein gekaufter Mann“ sei.[27] Zu diesem Zeitpunkt wurde u.a. debattiert, ob die „Sofia-Ereignisse“ auf dem III. UASA-Kongress angesprochen werden sollten. „Sofia“ bezog sich auf den Exodus von fast allen afrikanischen Studierenden aus Bulgarien, nachdem die dortigen Behörden die Gründung panafrikanischer Organisationen unterdrückt hatten; hinzu kamen zahlreiche rassistische Übergriffe.[28] Die Ereignisse wurden in der westlichen und afrikanischen Presse breit thematisiert, die Medien in den Ländern des Warschauer Pakts sahen sich zu Gegendarstellungen gezwungen, womit auch Diskussionen unter ausländischen Studierenden in den Ländern selbst im Keim erstickt werden sollten. In der DDR hatten DAfriG-Vertreter Magona – nach dessen Bitte um Unterstützung – geraten, „Sofia“ nicht auf die Tagesordnung des UASA-Kongresses zu setzen, um eine Spaltung und öffentliche Kritik zu vermeiden.[29] Ende 1964 brandete die Kritik am UASA-Exekutivkomitee als „SED-Puppen“ und „Handlanger der DDR“ wieder auf.[30] Neben den Übergriffen in der DDR sorgten auch Nachrichten über eine erneute Welle von Vorfällen in Rumänien und Bulgarien für Zündstoff.[31] Auf einem für Ostern angesetzten UASA-Kongress wollte das Komitee daher unbedingt bereits umgesetzte Maßnahmen präsentieren, nicht zuletzt, weil eine neue Leitung gewählt werden sollte. Ohne die Unterstützung der DDR-Institutionen sahen Magona und andere Komiteemitglieder sich nicht mehr imstande, „Herr der Lage zu bleiben.“[32]

Die im Schreiben vorgetragenen Lösungsansätze bewegten sich folglich in einem Spannungsfeld von Kritik, Repräsentationsfunktion und Patronagebedürftigkeit. Erstens bat das Komitee um einen eigenen Klubraum, um Veranstaltungen und Treffen durchführen zu können. Zwei weitere Vorschläge betrafen die Vermittlung interkultureller Kenntnisse: einerseits eine Einführung in die „Bräuche und Sitten der Deutschen“ am Herder-Institut, wo alle ausländischen Studierenden vor dem Studium Deutsch lernten, andererseits Vorträge über „Sitten und Bräuche“ sowie sozioökonomische Verhältnisse in afrikanischen Ländern für eine möglichst breite DDR-Hörerschaft in Betrieben, Organisationen und Bezirken. Vorträge sollten sowohl von DDR-Fachleuten als auch von UASA-Mitgliedern gehalten werden.

In ähnlicher Stoßrichtung schlugen die Autoren auch vor, das Afrikabild in Filmen differenzierter und moderner zu gestalten. Statt nur Bilder der „Kolonialbarbarei“ zu reproduzieren, mit denen das antikoloniale Narrativ der DDR operierte, sollten die „Errungenschaften nach der Unabhängigkeit“ ebenfalls Beachtung finden. Bilder vom florierenden Universitätsleben in städtischen Zentren Ghanas oder Nigerias sollten dafür sorgen, dass verletzende Fragen wie „Fressen Sie noch Menschen?“ oder „[W]ohnen Sie zu Hause immer noch auf Bäumen?“ bald der Vergangenheit angehörten. Dieses Anliegen war keinesfalls neu. Schon bei anderen Gelegenheiten hatten afrikanische Studierende und GewerkschafterInnen ihre Unzufriedenheit mit einseitigen und politisch instrumentalisierenden Afrikabildern – oder gar Fotos von Personen in DDR-Publikationen ohne deren Einwilligung – ausgedrückt.[33] Mitunterzeichner Asamoa hatte schon 1961 in einer Besprechung zwischen ausländischen Studierenden und Universitätsangehörigen vorgeschlagen, „der Bevölkerung in der DDR zu helfen, falsche Vorstellungen zu beseitigen, da wir am eigenen Leibe den Kolonialismus und Kapitalismus erlebt haben“.[34] Der fünfte und letzte Vorschlag war eine Diskussion mit VertreterInnen verschiedener DDR-Institutionen und Betriebskreise vom Leipziger Oberbürgermeister bis hin zum Leipziger Taxibund und den „Arbeiter[n] der DDR“, um die Probleme zu erörtern.

Bis Februar 1965 reagierten lediglich die Leipziger Karl-Marx-Universität und die FDJ-Kreisleitung auf das Schreiben.[35] Am 22.1.1965 trafen sich VertreterInnen der Universität mit UASA-Präsident Magona und zwei weiteren Funktionären, Mubarak und Asamoa. Asamoa betonte, dass das Problem vor allem im Hang zu Verallgemeinerungen liege. Hans Möhle, der als einziger Professor an der Sitzung teilnahm und als Wortführer der Universitätsseite auftrat, betonte, jegliche Assimilationsabsicht liege der DDR fern – das Verhältnis der Studierenden zur Bevölkerung sei als eines von Gästen zu Gastgebern anzusehen. Ausstellungen zu afrikanischer Kultur befürwortete er, ein „Afrikanerklub“ als Kulturzentrum sei ebenfalls eine gute Idee, dürfe jedoch nicht zur „Isolierung der Afrikaner“ von anderen Studierenden und der DDR-Bevölkerung führen.[36]

Reaktionen von außerhalb Leipzigs ließen bis März 1965 auf sich warten, wenngleich die Angelegenheiten in Ministeriums- und Parteikreisen durchaus als dringlich beschrieben und die geschilderten Ereignisse bestätigt wurden. Die Reaktionen auf den höheren Ebenen belegen einerseits, dass ein Bewusstsein für Rassismus als Problem innerhalb der Gesellschaft auf DDR-Seite kaum ausgeprägt war. In der Abteilung Internationale Verbindungen des SED-Zentralkomitees wurden in typischer Manier vor allem „Missverständnisse“ und westliche Infiltration als Ursachen der Spannungen ausgemacht – jedoch wurde auch befürwortet, dass Überbleibsel von Vorurteilen in der Bevölkerung abgebaut werden sollten.[37] In Rostock und Leipzig trafen sich Vertreter des zuständigen Bildungsministeriums mit den UASA-Funktionären und legten ihnen u.a. nahe, sie sollten alle afrikanischen Studierenden dazu anhalten, exzessives Trinken und dubiose Lokale zu meiden, was nicht nur einer Täter-Opfer-Umkehr, sondern auch einer faktischen Anerkennung von No-go-Areas gleichkam.[38]

Andererseits wurden durchaus Maßnahmen ergriffen, um eine Verhaltensänderung in der DDR-Bevölkerung zu bewirken. Zu den beschlossenen Schritten gehörten u.a. eine Aussprache mit dem Chef des Rostocker Taxiverbandes, dessen Mitglieder afrikanische Fahrgäste oft beschimpften. Eine weitere war die Entsendung von „Brigaden“ in verschiedene Gewerkschaftsgruppen, um die Wichtigkeit internationaler Solidarität zu vermitteln – und zu verdeutlichen, dass Solidarität nicht nur in der bekannten Form von Spenden und symbolischen Bekundungen, sondern auch in persönlichen Beziehungen praktiziert werden sollte. FDJ und DAfriG sollten ebenfalls aktiv werden, um den Antirassismus stärker in der Bevölkerung zu verankern.[39] Die Polizei in Leipzig hielt – nach mehreren Treffen mit afrikanischen Studierenden – Restaurantpersonal und Taxifahrer dazu an, ihr Fehlverhalten künftig zu unterlassen.[40] Die Beschwerden wurden also ernstgenommen. Allerdings ist anzunehmen, dass mit diesen Maßnahmen eine dichotome Rollenverteilung von Solidarität Gebenden (die DDR) und Nehmenden (die ausländischen „Gäste“) festgeschrieben wurde, ohne dass auf die politischen und ökonomischen Interessen der DDR in den vielfältigen Beziehungen mit afrikanischen Regierungen und Organisationen eingegangen wurde. Auffällig ist auch, dass Schritte, die auf eine Veränderung der Denk- und Verhaltensweisen in der DDR-Bevölkerung abzielten, ohne die von der UASA-Führung angebotene Beteiligung durchgeführt werden sollten.[41] Die Deutungshoheit über Rassismus und Problembearbeitung sollte bei den DDR-Stellen verbleiben; nicht direkt aufgegriffen wurde der Vorschlag des UASA-Komitees, das Afrikabild in den Massenmedien zu revidieren.

Der proklamierte Antirassismus war wohl nur teilweise ausschlaggebend für die Handlungsbereitschaft auf DDR-Seite. Afrikanische und asiatische Studierende waren als Protoeliten ihrer Länder – als zukünftige Kabinettsmitglieder und Führungsschicht der dynamisch wachsenden postkolonialen Bürokratien – diplomatisches und handelspolitisches Kapital für die DDR, das mit Studienabbrüchen oder negativen Erfahrungen jedoch schnell verfließen konnte; schlimmstenfalls konnten diese in verhärteten antikommunistischen Positionen münden. Öffentliche Rassismusvorwürfe, gerade von einer Organisation wie der UASA, gefährdeten das globale Ansehen der DDR, insbesondere in jenen postkolonialen Ländern, in denen die DDR auf diplomatische Anerkennung hoffte.

Die UASA blieb in den folgenden Jahren und auch mit einem neu gewählten Komitee nahe an den Vorgaben der DDR-Führung, sich auf den Studienerfolg der Mitglieder zu konzentrieren. Wo Vorträge über „Bräuche und Sitten“ afrikanischer Gesellschaften gehalten wurden, kam es mitunter zu Kontroversen unter afrikanischen Studierenden. So musste Ansa Asamoa bei einem Vortrag 1966 zum Thema „Ghana gestern und heute“ feststellen, dass seine Ausführungen zu Diskussionen unter den anwesenden westafrikanischen Studierenden führten, ob es sich bei den von ihm thematisierten Wissenspraktiken in Ghana um „Mummenschanz und Zauberei“ oder „afrikanische Wissenschaft“ handelte.[42] Wie sollte der DDR-Bevölkerung ein Bild „afrikanischer“ Kultur vermittelt werden, wenn es schon im Falle Ghanas zu Deutungsschwierigkeiten kam? Insgesamt entfaltete die UASA in den kommenden Jahren nur noch eine begrenzte Aktivität. 1969 stellte die UASA-Führung „Passivität unserer afrikanischen Studenten bezüglich der Mitarbeit in der Union fest“ – und bezeichnete die DDR ganz im Sinne der SED-Führung als „Bollwerk gegen Imperialismus, Kolonialismus und Rassismus“.[43] Trotzdem war das Schreiben von 1965 keinesfalls das letzte Beispiel für Handlungsbedarf in der DDR.

Im Juni 1975 etwa richtete sich der damalige Generalsekretär der UASA, der Nigerianer M. Sule, an das Direktorat für Internationale Beziehungen der Karl-Marx-Universität, um darauf hinzuweisen, dass afrikanische Studierende wiederholt auf der Straße oder bei Veranstaltungen angegriffen worden waren. „Als Gäste in der DDR“, so Sule, „dürfen und möchten sich die afrikanischen Studenten frei und sicher, ohne Angst und Kränkungen aufhalten“.[44] Der Vertreter der Universität antwortete beim folgenden Treffen im Juli widerwillig, er sei nur für konkret benennbare Ereignisse im Universitätsbereich zuständig und „nicht dafür, was auf den Straßen von Leipzig passiere“, ausländische Studierende seien in der DDR „politisch als auch in jeder anderen Beziehung geschützt“.[45] Wiederum wurden einige Maßnahmen ergriffen; so gab es beispielsweise eine Aussprache mit dem einmal mehr involvierten Leipziger Taxiverband.

Wie ist das UASA-Schreiben aus dem Jahr 1965 einzuordnen? Es ist eine Sonde in die globalen Verflechtungen des „anderen“, staatssozialistischen Europa, das lange entweder als abgeschottet oder als reines Opfer einer westlichen Globalisierung beschrieben wurde.[46] Die zahlreichen im Schreiben erwähnten Kontaktbereiche – und zwar bereits 1965, als im Vergleich zu späteren Jahrzehnten noch relativ wenige ausländische Studierende und ArbeiterInnen in der DDR weilten – lassen Narrative einer abgeschotteten DDR-Gesellschaft ebenso wenig überzeugend erscheinen wie jene von einer umfassenden Separierung der Gäste; darüberhinaus werden aber auch Widersprüche sichtbar, die das neu aufgespannte Feld der Ost-Süd-Beziehungen prägten. Es handelt sich bei dem Schreiben nicht um eine antikommunistische Verdammung der DDR, sondern um eine behutsame Erörterung, in der mögliche Ursachen für diskriminierende Verhaltensweisen benannt und konkrete Handlungsstrategien zur Bearbeitung der Probleme unterbreitet werden. Die UASA-Funktionäre bewiesen Selbstbewusstsein, als sie sich mit einem Schreiben, in dem sie weit über das üblicherweise öffentlich Sagbare hinausgingen, direkt an einige der höchsten Institutionen in der DDR wandten. Das Schreiben ist jedoch auch Ausdruck einer Legitimationskrise der UASA-Führung vor ihren Mitgliedern angesichts der zunehmenden rassistischen Übergriffe und ihrer Nähe zu DDR-Institutionen.

Die praktische Umsetzung der proklamierten Werte von Antirassismus und Antikolonialismus wurde von afrikanischen Studierenden in der DDR eingefordert und mit vorangetrieben. Im Falle der UASA-Funktionäre geschah das innerhalb der engen politischen Grenzen des Realsozialismus. Sie forderten die „fortschrittliche[n] Funktionäre der Staatsorgane“ dazu auf, gemeinsam mit der UASA zu intervenieren – und tatsächlich wurden eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet. Die Wurzeln blieben jedoch unangetastet und wurden auch im Beschwerdeschreiben nicht explizit erwähnt: ein gesamteuropäisches Erbe rassistischen und kolonialistischen Denkens, das weiter als bis zum im Schreiben erwähnten „Hitlerismus“ zurückreicht und in kapitalistischen wie staatssozialistischen Gesellschaften – mit je eigenen Ansätzen und in unterschiedlichem Grad – bisweilen zurückgewiesen wurde, aber auch fortwirkte. Nicht zuletzt angesichts aktueller Debatten über den Umgang mit der Kolonialvergangenheit und eine „Entprovinzialisierung“ der Zeitgeschichte durch postkoloniale Perspektiven[47] scheint es lohnend, die europäische Geschichte mit einem detaillierten Blick auf Initiativen und Handlungsspielräume von AkteurInnen aus dem globalen Süden weiter zu bereichern und zu hinterfragen.



[1] Essay zu der Quelle: Komitee der Union der afrikanischen Studenten und Arbeiter (UASA): Besorgnisse der Afrikanischen Studenten und Arbeiter in der DDR, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2021, https://www.europa.clio-online.de/quelle/id/q63-60620.

[2] Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU), BVfS Leipzig, AKG 00237, Schneider (Leiter der Bezirksverwaltung), Einzelinformation, Leipzig, 19.1.1965. Weitere Adressaten waren die FDJ-Bezirksleitung Leipzig, das Prorektorat der Karl-Marx-Universität, das Herder-Institut und die Deutsch-Afrikanische Gesellschaft.

[3] Ich beziehe mich auf ein Exemplar des Schreibens, das im Universitätsarchiv Leipzig (UAL) überliefert ist; andere Exemplare des Schreibens sind anscheinend nur von Magona unterzeichnet worden. Alle Zitate aus dem Schreiben sind dieser Version entnommen: UAL, DIB 260, UASA-Komitee, Besorgnisse der afrikanischen Studenten und Arbeiter in der DDR, o. O., 9.1.1965.

[4] Sebastian Pampuch, Politiken der Erinnerung und wissenschaftliche Praxis. Postkoloniale Verflechtungen des „anderen Deutschland“ als auffälliges Desiderat der Europäischen Ethnologie, in: Johanna Rolshoven / Ingo Schneider (Hg.): Dimensionen des Politischen. Ansprüche und Herausforderungen der Empirischen Kulturwissenschaft, Berlin 2018, S. 227–245.

[5] Gabriele Lubanda, AusländerInnen in der DDR, in: Verband binationaler Familien und Partnerschaften (Hg.), IAF-Informationen 1, Frankfurt am Main, 1990, S. 22, zit. nach Ulrich van der Heyden, Das gescheiterte Experiment. Vertragsarbeiter aus Mosambik in der DDR-Wirtschaft (1979–1990), Leipzig 2019, S. 209.

[6] So etwa: Quinn Slobodian, Socialist Chromatism. Race, Racism and the Racist Rainbow in East Germany, in: ders. (Hg.), Comrades of Color. East Germany in the Cold War World. New York 2015, S. 23–39, hier S. 32.

[7] Siehe kritisch zu dieser Engführung: Max Czollek, Gegenwartsbewältigung, München 2020, S. 121–138.

[8] Bundesarchiv Berlin (BArch), DR 3/24072, Statistik Studienjahr 1965/66. Nordafrikanische Staaten wurden in der Statistik als arabische Länder gezählt.

[9] BArch, DR 3/24072, Statistik Studienjahr 1988/89.

[10] Ludovic Tournès / Giles Scott-Smith, Introduction, in: dies. (Hg.), Global Exchanges. Scholarships and Transnational Circulations in the Modern World, New York 2018, S. 1–29, hier S. 15.

[11] Ausführliche Analysen finden sich in: Damian Mac Con Uladh, Guests of the Socialist Nation? Foreign Students and Workers in the GDR, 1949-1990, PhD dissertation, University College London 2005, S. 190–192; Sara Pugach, Agents of Dissent: African Student Organizations in the German Democratic Republic, in: Africa 89/S1 (2019), S. S90-S108. Kürzere Verweise auf das Schreiben finden sich in: Eric Burton, African Manpower Development during the Global Cold War. The Case of Tanzanian Students in the Two German States, in: Andreas Exenberger / Ulrich Pallua (Hg.), Africa Research in Austria. Approaches and Perspectives, Innsbruck 2016, S. 101–34, hier S. 120; Anja Schade, Solidarität und Alltag der DDR aus der Sicht exilierter Mitglieder des African National Congress, in: Frank Bösch / Caroline Moine / Stefanie Senger (Hg.), Internationale Solidarität. Globales Engagement in der Bundesrepublik und der DDR, Göttingen 2018, S. 186–209, hier S. 205.

[12] Erst 1967 wurde das „Ausländerstudium“ zentral durch das Komitee für Angelegenheiten ausländischer Studierender in der DDR unter MHF-Vorsitz koordiniert. Siehe Susanne Ritschel, Kubanische Studierende in der DDR: Ambivalentes Erinnern zwischen Zeitzeuge und Archiv, Hildesheim 2015, S. 52–53.

[13] Sara Pugach, Eleven Nigerian Students in Cold War East Germany: Visions of Science, Modernity, and Decolonization, in: Journal of Contemporary History 54/3 (2019), S. 551–572.

[14] Der Todesfall eines ghanaischen Studenten löste auch in der UdSSR Proteste afrikanischer Studierender aus und führte im Dezember 1963 zu den ersten öffentlichen Demonstrationen auf dem Roten Platz seit Jahrzehnten – über die in westlichen und afrikanischen Medien breit berichtet wurde. Siehe Julie Hessler, Death of an African Student in Moscow: Race, Politics, and the Cold War, in: Cahiers du monde russe 47/1–2 (2006), S. 33–64, hier: S. 47–48.

[15] Siehe hierzu auch: Sara Pugach, African Students and the Politics of Race and Gender in the German Democratic Republic, 1957–1990, in Quinn Slobodian (Hg.), Comrades of Color: East Germany in the Cold War World, New York 2015, S. 131–156, hier S. 138–139.

[16] BArch, DR 3/1937, Informationsbericht über die Situation unter den ausländischen Studierenden, insbesondere in Auswertung von Vorfällen in der Öffentlichkeit (streng vertraulich), Leipzig, 4.2.1965.

[17] Siehe z.B. Hans-Georg Schleicher, The German Democratic Republic (GDR) in the Liberation Struggle of Southern Africa, in: Arnold J. Temu / Joel das Neves Tembe (Hg.), Southern African Liberation Struggles. Contemporaneous Documents 1960-1994, Dar es Salaam 2014, S. 449–561.

[18] Quinn Slobodian, Dissident Guests: Afro-Asian Students and Transnational Activism in the West German Protest Movement, in: Wendy Pojmann (Hg.), Migration and Activism in Europe Since 1945, New York 2008, S. 33–56; ders., Bandung in Divided Germany: Managing Non-Aligned Politics in East and West, 1955–63, in: The Journal of Imperial and Commonwealth History 41/4 (2013), S. 644–662.

[19] Eric Burton, Introduction: Journeys of Education and Struggle: African Mobility in Times of Decolonization and the Cold War, in: Stichproben. Wiener Zeitschrift für kritische Afrikastudien 18/34 (2018), S. 1–17.

[20] UAL, DIB 260, Fischer, Aktennotiz, Leipzig, 22.1.1965. Asamoa war in der ghanaischen Hochschulgruppe (und später auch in Ghana) aktiv, seine Nationalität wird in DDR-Quellen gelegentlich mit „Togo“ angegeben. Sara Pugach hingegen folgt der (m. E. nicht zutreffenden) Vermutung von Beamten im Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen, dass ein togolesischer Philosophiestudent das Schreiben verfasst habe – und sieht Echos von Aimé Césaires und Frantz Fanons Rassismuskritik in der Argumentation: S. Pugach, Agents of Dissent, S. S101–S102. Zur internationalen Rezeption von Frantz Fanon siehe: Kathryn Batchelor / Sue-Ann Harding (Hg.), Translating Frantz Fanon across Continents and Languages, London et al. 2017.

[21] Zum „patriotisch-entwicklungspolitischen Imperativ“ siehe: Eric Burton, In Diensten des Afrikanischen Sozialismus: Tansania und die globale Entwicklungsarbeit der beiden deutschen Staaten, 1961–1990, Berlin/Boston 2021, S. 198–203.

[22] D. Mac Con Uladh, Guests of the Socialist Nation, S. 193. Siehe auch den Fall des nigerianischen Studenten Gilbert Ofodile im Jahr 1964: BStU, MfS, ZAIG 868, Verhalten des nigerianischen Studenten Ofodile, Info Nr. 243/64, Bl. 1–4, https://www.ddr-im-blick.de/jahrgaenge/jahrgang-1964/report/verhalten-des-nigerianischen-studenten-ofodile-1/.

[23] Q. Slobodian, Bandung in Divided Germany, S. 653.

[24] Ebd.

[25] Für eine Reihe von Beispielen siehe Q. Slobodian, Bandung in Divided Germany, S. 653; S. Pugach, Agents of Dissent; Julia Sittmann, Illusions of Care: Iraqi Students Between the Ba’thist State and the Stasi in Socialist East Germany, 1958–89, in: Cold War History 18/2 (2018), S. 187–202.

[26] UAL, DIB 260, Fischer, Aktennotiz, Leipzig, 22.1.1965. So wurde das Schreiben nicht an den als unzuverlässig angesehenen Leipziger Taxiverband geschickt.

[27] BArch Berlin, DR 3/2299, DAfriG, Protokoll über eine Besprechung zwecks Durchführung des 3. Unionskongresses (nicht bestätigter Entwurf), Berlin, 30.3.1963.

[28] Eric Burton, Decolonization, the Cold War, and Africans’ Routes to Higher Education Overseas, 1957–65, in: Journal of Global History 15/1 (2020), S. 169–191, hier S. 185–187.

[29] BArch Berlin, DR 3/2299, Situationsbericht zu den Auswirkungen der Vorgänge in Sofia auf die afrikanischen Studenten in der DDR, o. O., 1.3.1963; Q. Slobodian, Bandung in Divided Germany, S. 654.

[30] BArch, DR 3/1937, Informationsbericht über die Situation unter den ausländischen Studierenden, insbesondere in Auswertung von Vorfällen in der Öffentlichkeit, S. 9.

[31] UAL, DIB 260, Fischer, Aktennotiz, Leipzig, 22.1.1965.

[32] So hieß es in der Zusammenfassung einer Besprechung im Anschluss an das Schreiben: UAL, DIB 260, Fischer, Aktennotiz, Leipzig, 22.1.1965.

[33] Eric Angermann, Agency and Its Limits: African Unionists as Africa’s “Vanguard” at the FDGB College in Bernau, in: Eric Burton / Anne Dietrich / Immanuel R. Harisch / Marcia C. Schenck (Hg.), Navigating Socialist Encounters. Moorings and (Dis)Entanglements between Africa and East Germany during the Cold War, Berlin/Boston 2021, S. 115–138, hier S. 122–123; Christian Alvarado, “In the Spirit of Harambee!” Kenyan Student Unions in the German Democratic Republic and Yugoslavia, 1964–68, in: E. Burton et al. (Hg.), Navigating Socialist Encounters, S. 87–114, hier S. 105–112. Für ein instruktives Beispiel aus der Sowjetunion siehe: J. Hessler, Death of an African Student in Moscow, S. 47–48.

[34] UAL, DIB 42, Sauer, Aktennotiz: Sitzung mit den Vorsitzenden der Hochschulgruppen der ausländischen Studierenden am 20.10.1961, Leipzig, 27.10.1961.

[35] BArch, DR 3/1937, Informationsbericht über die Situation unter den ausländischen Studierenden, insbesondere in Auswertung von Vorfällen in der Öffentlichkeit (streng vertraulich), Leipzig, 4.2.1965.

[36] UAL, DIB 260, Fischer, Aktennotiz, Leipzig, 22.1.1965.

[37] D. Mac Con Uladh, Guests of the Socialist Nation, S. 190–191.

[38] S. Pugach, African Students, S. 138–139.

[39] S. Pugach, Agents of Dissent, S. S103–S104.

[40] Sebastian Pampuch, Postcolonial exile in a divided Germany: biographical case studies (Arbeitstitel des laufenden Promotionsprojekts).

[41] Ebd.

[42] UAL, DIB 290, o. A., Lage unter den ghanesischen Studierenden, Leipzig, 24.11.1966.

[43] UAL, R 280, Bd. 5, African Students Bulletin in the German Democratic Republic, 1969, S. 11.

[44] UAL, DIB 67, Sule (Generalsekretär Grundeinheit Leipzig der Union der Afrikanischen Studierenden und Arbeitenden) an Schmidt (Direktorat für Internationale Beziehungen), Leipzig, 9.6.1975.

[45] UAL, DIB 67, Protokoll über Beratung mit Vertretern der Union der afrikanischen Studierenden und Arbeitenden in der DDR am 13.6.1975, Leipzig, 4.7.1975.

[46] James Mark / Tobias Rupprecht, The Socialist World in Global History: From Absentee to Victim to Co-Producer, in Matthias Middell (Hg.), The Practice of Global History: European Perspectives, London 2019, S. 81–115.

[47] Andreas Eckert, Postkoloniale Zeitgeschichte?, In: Zeithistorische Forschungen 3 (2020): S. 530–543.


Literaturhinweise:

  • Damian Mac Con Uladh, “Guests of the Socialist Nation? Foreign Students and Workers in the GDR, 1949-1990”, PhD dissertation, University College London, 2005.
  • James Mark / Tobias Rupprecht, The Socialist World in Global History. From Absentee to Victim to Co-Producer, in: Matthias Middell (Hg.), The Practice of Global History. European Perspectives, London 2019, S. 81-115.
  • Sebastian Pampuch, Politiken der Erinnerung und wissenschaftliche Praxis. Postkoloniale Verflechtungen des ‚anderen Deutschland‘ als auffälliges Desiderat der Europäischen Ethnologie, in: Johanna Rolshoven / Ingo Schneider (Hg.), Dimensionen des Politischen. Ansprüche und Herausforderungen der Empirischen Kulturwissenschaft, Berlin 2018.
  • Sara Pugach, Agents of Dissent. African Student Organizations in the German Democratic Republic, in: Africa 89/S1 (2019), S. 90-108.
  • Quinn Slobodian (Hg.), Comrades of Color. East Germany in the Cold War World, New York 2015.

Komitee der Union der afrikanischen Studenten und Arbeiter (UASA): Besorgnisse der Afrikanischen Studenten und Arbeiter in der DDR[1]

Besorgnisse der afrikanischen Studenten und Arbeiter in der DDR

Angesichts des immer gespannteren Verhältnisses zwischen den afrikanischen Studenten und Arbeitern in der DDR auf der einen und der deutschen Bevölkerung – besonders der Leipziger Bevölkerung – auf der anderen Seite, das in häufig zwischen den genannten Parteien vorkommenden Schlägereien und Provokationen aller Art seinen Ausdruck findet; eingedenk der Tatsache, daß das Ignorieren dieser Entwicklung jederzeit einen furchtbaren Konflikt auslösen könnte, ein Ereignis, das die imperialistische Presse nur durch die antikommunistische Brille sehen würde;

geleitet von der Überzeugung, daß das Problem durch fortschrittliche Funktionäre der Staatsorgane und der Union der afrikanischen Studenten und Arbeiter in der DDR gelöst werden kann, hält das Komitee der Union der afrikanischen Studenten und Arbeiter in der Republik es für dringend notwendig, sich an die zuständigen Staatsorgane der Deutschen Demokratischen Republik zu wenden.

Das Komitee der afrikanischen Studenten und Arbeiter in der DDR ist sich der Tatsache bewußt, daß, wo verschiedene Kulturen bzw. Sitten und Gebräuche in Berührung kommen, deren Träger in Schwierigkeiten geraten (abgesehen natürlich von den Vorteilen dieser Begegnung), was eine Reihe von Mißverständnissen, Konflikten, Spannungen usw. hervorruft. Wir wissen ferner, daß eine Minderheitsgruppe innerhalb der territorialen und politischen Grenzen einer vorherrschen Bevölkerung vor den folgenden Hauptmöglichkeiten steht:

  1. Auslöschung der betreffenden Minderheitsgruppe;
  2. Abtrennung in Verbindung mit Diskriminierung;
  3. Teilanpassung und
  4. Assimilation.

Die erste Möglichkeit (Auslöschung der Minderheitsgruppe) kann das Ergebnis der 4. (Assimilation) sein, während die 3. zur 4. führt, wenn die betreffende Minderheitsgruppe dort nicht nur provisorisch ansässig ist. […]

[…]

Die erste (im negativen Sinne) und zweite der obengenannten Möglichkeiten sind der sozialistischen Ordnung der DDR fremd. Wir glauben, die DDR erwartet nicht von uns, daß wir völlig assimiliert werden, denn sie und wir wissen, daß es sich um Studenten handelt, die hier nur vorübergehend wohnhaft sind. Wir sind jedoch der Ansicht, daß Teilanpassung auf unserer Seite verbunden mit Verständnis seitens der deutschen Bevölkerung unerläßlich ist.

Es ist uns peinlich, daß das Verhalten einiger Afrikaner oft nicht vertretbar ist. Nach einer intensiven Untersuchung hat das Komitee festgestellt, daß die betreffenden Afrikaner zum großen Teil nicht mit den Bräuchen und Sitten der Deutschen bekannt sind, was dazu führt, daß es ihnen besonders schwer fällt, sich an die Lebensweise der Deutschen anzupassen. Die neuen Studenten werden deshalb nach unserer Feststellung am meisten in die obengenannten Schlägereien verwickelt. Das heißt aber nicht, daß wir den Einfluß des Alkohols, der auch oft eine Rolle dabei spielt, außer acht lassen. Es ist uns auch bekannt, daß es sich zum Teil in den genannten bedauerlichen Fällen um Afrikaner handelt, die ideologische Unklarheiten haben. Einige dieser Gruppe einschließlich einiger alter Studenten ziehen z.B. die seit Ende des 2. Weltkrieges abgelaufene historische Entwicklung in Deutschland nicht in Betracht; sie wissen deswegen nicht, daß es gewisse staatsfeindliche Elemente in der DDR gibt, die noch mit dem berüchtigten Hitlerismus verknüpft sind, und vor allem können sie den vorhandenen Klassenkampf nicht objektiv genug analysieren. Das Resultat davon ist, daß sie ideologisch unklar bleiben, was dazu führt, daß sie Opfer von Provokationen und anderen asozialen Geschehens [sic] werden. Wir möchten auch behaupten, daß eine geringe Zahl von Afrikanern anzutreffen ist, die ihrer reaktionären Orientierung wegen bewußt provozieren, um ihr antisozialistisches Mütchen zu kühlen. Das Komitee der afrikanischen Studenten ist jedoch der vollen Überzeugung, daß die große Mehrheit der Afrikaner in der Republik fortschrittlich ist und daß auch den schwarzen Schafen unter uns geholfen werden kann.

Eine weitere Schwierigkeit für viele Afrikaner ist das Ergebnis historischer und psychologischer Faktoren. Man kann z.B. zugestehen, daß die Kolonialbarbarei, unter der die Afrikaner jahrelang gelitten haben, abgesehen von den Erniedrigungen aller Art, denen die schwarze Rasse ausgesetzt war und ist, unter den Afrikanern ein Mißtrauen verbunden mit Empfindlichkeit gegenüber den Weißen ausgelöst hat. Späße verletzen leider deswegen einige empfindlich.

Was die deutsche Seite anbelangt, so sehen wir die Wurzel des Problems hauptsächlich im Klassenkampf, obwohl wir auch historische und psychologische Faktoren wie Vorurteile in Rechnung stellen. Es ist zu beklagen, daß einige deutsche Bürger, befangen in einem in Rassenarroganz verankerten Überheblichkeitsgefühl, sich oft auf Kosten von Afrikanern amüsieren. Andere staatsfeindliche Elemente provozieren Afrikaner bewußt, damit diese das Ansehen der DDR in der internationalen Öffentlichkeit schädigen. Die Afrikaner begegnen ferner anderen Gruppen, die als Parteigenossen oder gute Bürger auftreten. Sie provozieren uns bewußt, um 1. die hochgeachtete Parteimoral vor uns als Ausländer [sic] zweifelhaft erscheinen zu lassen und 2. Unterstützung für ihre Hetze gegen Afrikaner auf raffinierte Art zu finden. Wie oft überfallen die Genannten in Gruppen einzelne Afrikaner und schlagen sie brutal zusammen! Vor einigen Wochen wurden zwei afrikanische Studenten auf diese Weise beinahe umgebracht, was große Empörung unter den afrikanischen Studenten ausgelöst hat.

Wir möchten auch die Aufmerksamkeit der verehrten Funktionäre darauf lenken, daß die Beziehungen zwischen den Afrikanern und gewissen Betriebskreisen sehr gespannt sind, abgesehen von dem unfreundlichen Verhalten einiger Verkäuferinnen und Verkäufer, Schaffner und Kellner, Postangestellter usw. Unter anderem möchten wir betonen, daß der Leipziger Taxiverband eines unserer größten Probleme darstellt. Es handelt sich hier um Arroganz und Eifersucht und vielleicht auch Haß. Einzelne halten es vielleicht für schändlich, Afrikaner zu fahren, während manche uns überhaupt nicht bedienen, wenn sie Mädchen in unserer Begleitung sehen. Unzufrieden sind wir auch mit dem Verhalten einiger derjenigen, die uns überhaupt fahren. Andere sind aber auch sehr höflich.

Es ist uns auch besonders peinlich, daß sich manche afrikanische und deutsche Studenten nicht verstehen; schlimmer ist jedoch, daß wir auch nicht wissen, wie dieses Problem gelöst werden kann.

Was das Komitee der Union der afrikanischen Studenten und Arbeiter in der DDR grenzenlos erschüttert, sind die häufigen Berichte von Afrikanern, in denen die Parteilichkeit und Brutalität der Organe der Deutschen Volkspolizei gegenüber Afrikanern zum Ausdruck kommen. Diese Entwicklung hat dazu geführt, daß manche unserer Studenten kein Vertrauen mehr zu Polizei haben. Das Komitee ist jedoch der Ansicht, daß untere Beamte in den Organen der Polizei dafür verantwortlich sind und daß die Leiter der erwähnten Organe nichts damit zu tun haben.

Wir verzichten darauf, in diesem Dokument konkrete Beispiele für die erwähnten Provokationen zu geben, denn wir sind der Meinung, es ist methodisch gesehen besser, wenn wir sie mündlich zum Ausdruck bringen. Um die obengenannten Probleme schnell und objektiv lösen zu können, möchte unsere Union die folgenden Vorschläge machen:

  1. Damit die neuen Studenten aus Afrika sich an das fremde Leben in der Deutschen Demokratischen Republik schnell und leicht anpassen können, ist es unseres Erachtens nach notwendig, daß das Herder-Institut für Ausländerstudium zu Leipzig einige Stunden innerhalb des Lehrplans der Einführung der neuen Studenten in die Bräuche und Sitten der Deutschen widmet. Mitglieder des Komitees der afrikanischen Studentenunion erklären sich bereit, den Studenten periodisch Vorträge zu diesem Zweck zu halten – wenn möglich während des vorgeschlagenen „Einführungsunterrichts“, damit alle Studenten erfaßt werden.
  2. In dem Wunsch, daß das aus acht Mitgliedern bestehende Komitee der afrikanischen Studenten und Arbeiter in der DDR mit diesen fast dreitausend Studenten leichter verkehren kann; daß das bisher nur ungenügend entwickelte gesellschaftliche Leben unserer Studenten – was besonders an Wochenenden, zu Weihnachten und Silvester, während der Ferien deutlich wird – besser wird; daß periodisch Vorträge und Fora und Beratungen stattfinden, abgesehen von Kulturprogramm usw., möchten wir die Staatsorgane bitten, uns einen ständigen Treffpunkt oder besser gesagt einen Klubraum zur Verfügung zu stellen. Ähnliche Treffpunkte von afrikanischen Studenten in den westlichen Ländern tragen viel zur Lösung vieler Probleme der Studenten bei.
  3. Damit sich die deutsche Bevölkerung mit einigen Sitten und Bräuchen Afrikas bekanntmachen und einiges über die sozialökonomischen Verhältnisse und die politische Lage auf dem Kontinent seit der Kolonisation erfahren kann, schlagen wir vor, daß Betriebe, öffentliche Organisationen, Bezirke usw. Fora und Vorträge veranstalten, wo deutsche Fachleute wie Afrikanisten, Völkerkundler, Historiker und afrikanische Studenten Vorträge halten.
  4. Wir möchten auch die DEFA dringend bitten, einen großen Beitrag zur Lösung der Probleme zu leisten. Oft haben Filme, die hier gezeigt werden, nur die Übel der Kolonialbarbarei zum Inhalt, während die Errungenschaften nach der Unabhängigkeit entweder völlig vernachlässigt oder nur ungenügend behandelt werden. Die psychologische Wirkung dieser sozusagen einseitigen Behandlung auf die Bevölkerung ist negativ. Es ist z.B. nicht überraschend, wenn Afrikaner oft gefragt werden: „Sagen Sie mal, wohnen Sie zu Hause immer noch auf Bäumen?“ oder „Fressen Sie noch Menschen?“. Es wäre vielleicht nicht schlecht, wenn die DEFA die miserablen Lebensverhältnisse der Afrikaner in Angola und dann das Universitätsleben in Ghana oder Nigeria in Filmen zeigte. Der Kontrast zwischen diesen beiden Lebensformen könnte den deutschen Freunden zeigen, daß die Afrikaner auch nicht außerhalb der dialektischen Welt leben.
  5. Zum Schluß schlagen wir vor, daß eine baldige Versammlung stattfindet, an der der Oberbürgermeister von Leipzig, Vertreter des Innenministeriums, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, der Deutsch-afrikanischen Gesellschaft, des Leipziger Taxiverbandes, des Herder-Institutes zu Leipzig, des Lehrerverbandes, der Organe der Deutschen Volkspolizei, der Freien Deutschen Jugend und der Union der afrikanischen Studenten und Arbeiter in der DDR teilnehmen, wo das Problem erörtert werden kann.

In der Hoffnung, daß die Bedeutung dieses Dokumentes nicht unterschätzt wird, wünschen wir der Republik viele Erfolge in ihrer weiteren Entwicklung.

Das Komitee der afrikanischen Studenten und Arbeiter in der DDR

[gezeichnet: Präsident E Magona, [unleserlich], Asamoa Sekret. f. Afrika. Angelegenheiten]

6.1.65


[1] Quelle: Universitätsarchiv Leipzig, Direktorat für Internationale Beziehungen (DIB) 260.


Für das Themenportal verfasst von

Eric Burton

( 2021 )
Zitation
Eric Burton, Rassismuskritik im Realsozialismus. Zu einem Beschwerdeschreiben afrikanischer Studenten in der DDR, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2021, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-50101>.
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