Transnationale Diskurse um die Forderung des Frauenwahlrechts Mitte des 19. Jhds.

Die Flugschrift „Gleichstellung aller Rechte der Männer mit den Frauen; oder: Die Frauen als Wähler, Deputirte und Volksvertreter“ (Wien, 1848) entstand an einem Scheidepunkt in der Geschichte der Demokratie. Das, was in der Französischen Revolution vorexerziert worden war, wiederholte und verfestigte sich nun in einer Reihe weiterer europäischer Länder – Frauen waren integraler Bestandteil der Kämpfe um die Abschaffung von Vorrechten, und dennoch wurde ihnen eine Teilhabe an der politischen Gestaltung der Zukunft verwehrt.

Gegen die Maskulinisierung von Staatsbürgerschaft und Wahlrecht[1]

Von Corinna Oesch

Die Flugschrift „Gleichstellung aller Rechte der Männer mit den Frauen; oder: Die Frauen als Wähler, Deputirte und Volksvertreter“ (Wien, 1848), im Folgenden mit „Gleichstellung aller Rechte“ abgekürzt, ist bloß mit der Jahreszahl 1848 datiert. Als mögliches Datum post quem könnte die Kundmachung der Wahlordnung für den ersten österreichischen Reichstag am 9. Mai 1848 gelten, die allerdings nicht explizit von einem „allgemeinen“ Wahlrecht sprach. Ebenso wenig hatte die bereits am 25. April erlassene Pillersdorfsche Verfassung die Staatsbürgerschaft explizit an ein männliches Geschlecht geknüpft. Einen Tag nach dem 9. Mai erfolgte die Kundmachung für die Wahl zur konstituierenden deutschen Nationalversammlung, die ein „allgemeines“, das heißt ein gleiches, unbeschränktes Wahlrecht für Männer verlautbarte.[2] Die Flugschrift bezog sich jedoch nicht auf den deutschen Staatenbund, sondern auf das Kaisertum Österreich. Auch die Ende Mai nach Protesten und der Sturmpetition vom 15. Mai 1848 erlassene Wahlordnung für die konstituierende Reichsversammlung sprach nicht von einem „allgemeinen“ Wahlrecht und schloss Frauen nicht explizit aus.[3] Es ist jedoch wahrscheinlich, dass die Debatten und Demonstrationen dieser Zeit einen Anstoß zum Verfassen der Flugschrift „Gleichstellung aller Rechte“ gaben. Ein anonym verfasstes Flugblatt aus dem revolutionären Wien von 1848, das in satirischem Ton für Frauen eine „vollkommene, unumschränkte Freiheit und Gleichstellung mit den Männern“ forderte, könnte als Reaktion auf die Flugschrift „Gleichstellung aller Rechte“ gelesen werden. Ein Abdruck dieses Flugblattes erschien in Fortsetzungen in einer Zeitung Mitte Juli 1848, jedenfalls nach der Wahl zum konstituierenden Reichsrat im Juni und Juli des Jahres.[4]

Das bedeutendste politische Umfeld für Revolutionärinnen in Wien stellte der Wiener demokratische Frauenverein dar. Wenige Tage nach der brutalen Niederschlagung demonstrierender Erdarbeiter:innen in Wien am 28. August 1848 gegründet, erklärte er sich mit ihnen und ihren Forderungen nach Lohnerhöhungen solidarisch und stellte sich damit auf die Seite der radikalen Demokratie. Im Sommer 1848 war es zu einer Ausdifferenzierung der revolutionären Bewegung gekommen. Die sogenannte Praterschlacht am 23. August symbolisiert in diesem Prozess den Bruch des revolutionären Bündnisses zwischen Bourgeoisie und Proletariat.[5] Der Wiener demokratische Frauenverein stand in engem Austausch mit anderen demokratischen Vereinen in Wien, war im Zentralausschuss der Wiener demokratischen Vereine vertreten und organisierte gemeinsame politische Interventionen.[6] Die Teilhabe von politisch organisierten Frauen in Wien als Partnerinnen von Männern im Raum der Politik kann gemäß Gabriella Hauch als ein Einzelfall im europäischen Revolutionsspektrum von 1848 gewertet werden.[7] Als „politisch, sozial und human“ beschrieb der Verein seine Agenda. Seine Ziele waren neben einer allgemeinen und höheren Schulbildung für Mädchen eine politisch-demokratische Erziehung, die Gleichberechtigung der Frauen und Hilfe für die Opfer der Revolution.[8] Wenn der Veröffentlichung der Flugschrift „Gleichstellung aller Rechte“ auch keine Reaktionen von Seiten der politischen Macht folgten, könnte sie doch einen mobilisierenden Effekt für die Gründung dieses ersten politischen Frauenvereins in Österreich gehabt haben.

Die Flugschrift ist in zumindest vier Exemplaren erhalten.[9] Der im Titel genannte Begriff „Gleichstellung“[10] war eines der damals gängigen Synonyme für „Emanzipation“ und verwies nicht zuletzt auf die „bürgerliche“, z.T. auch „bürgerliche und politische“ Gleichstellung der Juden.[11] Für die Interpretation des Textes ist neben einer historischen Kontextualisierung auch seine rhetorische Verfasstheit und das visuelle Erscheinungsbild der Flugschrift einzubeziehen. Im Titel springt etwa die Schlagzeile „Rechte der Männer“ durch dicke Lettern ins Auge, so als ob es den Bittstellerinnen ein Anliegen gewesen wäre, in der Frage der Geschlechtergerechtigkeit gerade die Aufmerksamkeit von Männern zu erregen oder durch deren Hervorhebung auf den Mangel von Rechten der Frauen hinzuweisen. Die Begriffe „alle“ und „allgemein“ hoben die Bittstellerinnen sowohl durch Wiederholung hervor (zehn Mal im Text) als auch durch Spreizung der Schrift (an fünf Stellen im Text). Auch die gewählte Positionierung des Wortes „allgemein“ in der Mitte des Textes, nämlich im fünften von insgesamt zehn Absätzen, verweist auf die herausragende Bedeutung, die sie diesem an die französische Leitidee des suffrage universel angelehnten Begriff in ihren Ausführungen einräumten. Dieser Absatz enthält zugleich die Kernaussage des Textes, nämlich dass es falsch sei, ein Stimmrecht allgemein zu nennen, wenn von dessen Ausübung wenigstens die Hälfte der Untertanen ausgeschlossen ist, denn allgemein kann ein Wahlrecht nur genannt werden, wenn tatsächlich alle daran teilhaben können. Das Stilmittel der Wiederholung sowie die zentrale Position dieser Botschaft zeigen, wie eindringlich die Bittstellerinnen gegen den Ausschluss der Frauen Einspruch erhoben. Als weitere rhetorische Figuren setzten die Bittstellerinnen chiastische Parallelismen ein. Heißt es im ersten Teil des Titels „Gleichstellung aller Rechte der Männer mit den Frauen“, so werden die beiden Attribute im zweiten Absatz des Textes in umgekehrter Reihenfolge genannt: „Gleichstellung der Rechte der Frauen mit jenen der Männer“. In ähnlicher Weise kehrt der Titel im Untertitel in modulierter Form wieder: die „Gleichstellung aller Rechte der Männer mit den Frauen“ wird zu „Die Frauen als Wähler, Deputirte und Volksvertreter“. Einerseits kehrt also das Begriffspaar „Männer / Frauen“ im Untertitel in umgekehrter Reihenfolge und leicht abgewandelt als „Frauen / Wähler“ wieder, andererseits konkretisiert der Untertitel das Bild, das der erste Titel auf einer abstrakten Ebene entwirft. Die spiegelbildliche Anordnung von Begriffen lässt auch die Idee anklingen, dass Männer und Frauen ein Ebenbild erzeugen. Sinn dieser Stilmittel ist es, Frauen auch auf einer sprachlichen Ebene Männern gleichzustellen; daher werden die Begriffe „Männer“ und „Frauen“ wie Synonyme behandelt und austauschbar. Die Allgemeinheit ist im Text mit vier weiteren Begriffen benannt: viermal mit „Volk“, dreimal mit „Unterthanen“, zweimal mit „Nation“ und einmal mit „Einwohnerschaft“. Der Begriff „Volk“ wird sowohl mit dem Bild einer Volkserhebung gegen eine Willkürherrschaft verknüpft als auch mit politischer Repräsentation, wobei letztere zugleich mit „Nation“ verbunden wird. Die Begriffe „Unterthanen“ und „Einwohnerschaft“ werden wie Synonyme behandelt (vgl. Absatz 3).

Die Flugschrift als Petition

Die Flugschrift ist Trägermedium einer Petition. Eine Bittschrift beruht auf einem ungleichen Machtverhältnis zwischen der Person, die sie verfasst hat, und der Person, an die sie adressiert ist. Vordergründiger Adressat ist hier Kaiser Ferdinand I. von Österreich. Während Olympe de Gouges in Paris ihre Schrift „Les droits de la femme“ 1791 an die Königin richtete und damit auch die Machtungleichheit zwischen Mann und Frau im Herrscherhaus selbst zum Thema machte[12], waren die Bittstellerinnen in Wien 1848 bemüht, in formaler Hinsicht und im Ton der Etiquette des Hofes zu entsprechen. Die Adressierung „Euer Majestät!“ erinnert auch an Widmung und Titel, die Bettina von Arnim 1843 ihrem kunstvoll komponierten Werk „Dies Buch gehört dem König“ gab. Darin legte sie Catharina Elisabeth Goethe, der Dichtermutter, einen Appell an den neuen preußischen Regenten in den Mund, in seinem Reich eine liberale Politik, humane Prinzipien und Maßnahmen gegen die große Armut einzuführen, warnte ihn aber auch vor einer Revolte.[13] Dem Ansinnen eines offenen Briefes, zugleich Weckruf an die Mitmenschen zu sein, entspricht auch die Flugschrift von 1848. Dort, wo in einer Petition die Namen der Petentinnen stehen, bleibt es allerdings bei der Anonymität der Bezeichnung „Bittstellerinnen“. Wer auch immer diese Bittschrift initiierte, war sich bewusst, dass damit Geschlechternormen überschritten wurden und Konsequenzen für dieses Verhalten zu befürchten waren. Was Frauen drohte, die 1848 den Männerraum der Politik betraten, zeigt das Beispiel Karoline von Perin (18061888), die dem Wiener demokratischen Frauenverein vorstand. Sie zählte zur 14köpfigen Revolutionsprominenz, deren Auslieferung nach der Kapitulation Wiens am 31. Oktober 1848 gefordert wurde.[14] Am 4. November wurde sie verhaftet, in der Haft misshandelt, verlor die Vormundschaft über ihre Kinder und musste Wien ohne Geldmittel verlassen, nachdem ihr Lebens- und Revolutionsgefährte hingerichtet worden war.[15]

Das Petitionsrecht – allen voran die englische Bill of Rights – markiert einen Beginn in der Geschichte der Demokratisierung in Europa. In Frankreich vollzog sich der Übergang von einem ständischen Recht der Bitte mit Anspruch auf Erledigung durch die Staatsautorität hin zu einem Grundrecht, das allen physischen und juristischen Personen eingeräumt wurde, zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert.[16] Im Vormärz gab es nur ein sehr eingeschränktes und vor allem noch kein verfassungsrechtlich verankertes Petitionsrecht. Die Petitionsfreiheit, insbesondere die Aufhebung des Verbots politischer Petitionen, war ein erklärtes Ziel der Revolutionen von 1848/49.[17] In Österreich wurde das Petitionsrecht in der provisorischen Pillersdorfschen Verfassung am 25. April 1848 erstmals festgelegt, in der Phase der Restauration wieder außer Kraft gesetzt und erst 1867 in der österreichischen Reichshälfte der Habsburgermonarchie wieder eingeführt.[18] Aufgrund seines Protestcharakters, dem zahlenmäßigen Anstieg derartiger Schreiben und der Möglichkeit einer Massenorganisierung kommt dem Mittel der Petition eine zentrale Funktion in der Revolution von 1789 und der von 1848/49 zu. Bereits im Vormärz begann sich das Medium der Petition zu wandeln. Die hier vorliegende Bittschrift steht für diesen Übergang hin zu einer neuen Praxis des Petitionierens. Sie geschah nicht mehr isoliert, sondern im Kollektiv und über den „Umweg“ der Öffentlichkeit.[19] Genutzt wurden neue Wege der Verbreitung und das Sammeln von Unterschriften. Neu war schließlich auch, dass die Petition auf Angelegenheiten des Staates in seiner Gesamtheit abzielte und als Agitations- und Druckmittel eingesetzt wurde.[20] Auch wenn die hier vorliegende Flugschrift in formaler Hinsicht Züge einer Bittschrift trägt – das ungleiche Machtverhältnis wird durch Bezeichnungen wie „Euer Majestät“, „Unterthanen“, „Bittstellerinnen“ und Floskeln wie „untertänig“, „ergebenst“, „Sr. Majestät unseres allergnädigsten Kaisers, in tiefster Ergebenheit“ inszeniert, zeigt sich auch an diesem Beispiel der Wandel des Petitionierens weg von einer persönlichen Bitte hin zu einer die Allgemeinheit betreffenden Protestnote, im damaligen Sprachgebrauch meist als „Adresse“ oder „Protestation“ bezeichnet.[21] Denn die Gewährung der „unterthänigsten Bitte“ wird zugleich als eine „unwiderlegbare Wahrheit“, als „Ansprüche“, als „Begehren“ und als in Anspruch genommene „unläugbare[n], unveräußerliche[n], angeborne[n] und unvertilgbare[n] Rechte“ dargestellt. Dabei zählt die Einhaltung der Form der Petition zu ihren Grundsätzen, denn es geht regelrecht darum, dass unter keinen Umständen eine Formverletzung das Ziel verfehlen lässt, den Inhalt wahrzunehmen. Enthalten ist in der Flugschrift auch der Versuch, als Sprachrohr der öffentlichen Meinung aufzutreten, heißt es darin doch, dass die Gleichstellung der Rechte der Frauen mit jenen der Männer zu den politischen Zeitfragen gehören dürfte, dass die Ansicht, Frauen stünden geistig niedriger als Männer, heutzutage als veraltet zu gelten habe, und dass Frauen, die eine ähnliche Petition zu unterschreiben beabsichtigen, dies an besagter Adresse tun können. Die Adresse selbst verweist auf ein Geschäftsbüro des „Universal-Telegraphen“. Es handelt sich dabei nicht um eine Zeitung, sondern um eine vom Mechaniker Joachim Sammer in Wien spätestens im Februar 1848 erfundene bewegliche Vorrichtung für Ankündigungen aller Art bei Tag und bei Nacht für den öffentlichen Raum sowie Innenräume.[22] Dass die damit verknüpfte Geschäftsidee einer Plakatstellenvermietung auch zur Verbreitung der Flugschrift selbst genutzt wurde, liegt nahe, ist jedoch nicht belegt. Eine Werbeanzeige aus dem Jahr 1852 verdeutlicht, dass das auf mehrere Filialen in Wien erweiterte Büro nun auch aufgesucht wurde, um „Auskünfte und Vermittlungen über alle Vorkommenheiten und nur denkbaren Gegenstände“[23] zu erhalten. Die Bittschrift in einem Geschäftsbüro aufzulegen gab den Bittstellerinnen die Möglichkeit, auf anonymem Wege Unterschriften zu sammeln. Zu diesem Zweck eine Petitionsversammlung von Frauen einzuberufen, hätte gegen die herrschende Geschlechterordnung verstoßen, zu sehen am Beispiel der Gründungsversammlung des Wiener demokratischen Frauenvereins am 28. August 1848, die von Männern gestürmt und mit Gewalt gesprengt wurde und bei einer anderen Gelegenheit nachgeholt werden musste.[24] Der „Universal-Telegraph“ reagierte auf ein Bedürfnis nach schneller Verbreitung von Information und Kommunikation von unten und bot seine Dienste auch politisch ausgegrenzten Gruppen an. Ohne Versammlung keine Bewegung, könnte das Fazit lauten. Fehlende Bildung, fehlende Zeitressourcen und das herrschende Geschlechterregime verhinderten, dass diese Flugschrift ein breites Echo fand. Erst rund zwanzig Jahre später, ab 1865, entstanden dauerhafte Organisationen der Frauenbewegung in Europa. Auch diese Aktivistinnen des bürgerlich-liberalen Flügels setzten bevorzugt das Mittel des Petitierens ein, um ihren Forderungen im Parlament Gehör zu verschaffen. Im Gegensatz zu 1848 fanden sich in den Jahrzehnten um 1900 auch Bündnispartner unter den Abgeordneten, die ihre Forderungen unterstützten.[25] Die Petitionspraxis der organisierten Frauen zeigt dabei eine doppelte Bewegung: im Parlament nicht repräsentierte Forderungen einzubringen und zugleich das Nichtrepräsentierte – die Frauen – als politische Subjekte herzustellen.

Die Frauenwahlrechtsforderungen der Flugschrift im transnationalen Kontext

Frühen Dokumenten mit Forderungen nach Frauenrechten ist gemeinsam, dass sie Widersprüche in der Formulierung von Menschenrechten, einer staatlichen Verfasstheit oder im Zugang zum Wahlrecht aufzeigen und damit die Grundlegung von Menschenrechten als Männerrechte hinterfragen. In der Flugschrift „Gleichstellung aller Rechte“ werden fünf Widersprüche aufgezeigt, gegen die Einspruch erhoben wird. Der bereits erwähnte grundlegende erste Widerspruch, der benannt wird, liegt in der Bezeichnung des Stimmrechts als allgemein, obwohl Frauen davon ausgenommen bleiben. Der Einwand, die Nation sei nicht vollständig repräsentiert, wenn das weibliche Geschlecht von Wahlen ausgeschlossen bleibt, steht in der Tradition der Argumentation, die Interessen einer sozialen Gruppe können von niemand anderem vertreten werden. Der zweite Einspruch bezieht sich auf unverheiratete, besitzende Frauen in Österreich, denen das Wahlrecht trotz Besteuerung versagt bleibe. Ihre Kritik nimmt – unausgesprochen – Bezug auf das in der angloamerikanischen Geschichte geprägte Konzept no taxation without representation. Der dritte Einwand lautete, Intelligenz sei keine Frage des Geschlechtes und eine Auffassung, wonach das weibliche Geschlecht geistig niedriger stehe als das männliche, sei veraltet und widerspreche den Ideen der Aufklärung. Dass die Bittstellerinnen allerdings nachfolgend als Argument für die Abschaffung der Geschlechterbarriere beim Wahlrecht anführten, Bildung sei kein Monopol der Männer mehr, ist entweder Ausdruck bewussten Ignorierens oder abgehobener Ignoranz gegenüber dem damals völlig ungleichen Zugang zu Bildung in Abhängigkeit von sozialer Herkunft und Geschlecht. In dieser Hinsicht entspricht das Dokument dem liberalen Zeitgeist des Bürgertums, der zwar eine Gleichstellung auf rechtlicher Basis forderte, aber die soziale Ungleichheit in der Gesellschaft unberührt ließ. Selbstständigkeit, Steuerleistung und Bildung waren in vielen Ländern Europas noch über Jahrzehnte zentrale Kriterien des Ein- und Ausschlusses vom Wahlrecht. An vierter Stelle wird dem Ausschluss von Frauen vom passiven Wahlrecht mit Verweis auf das selbstständige Regieren und segensreiche Regierungen von Kaiserinnen und Königinnen widersprochen. Eine derartige Argumention war aufgrund des weitverbreiteten Ausschlusses einer weiblichen Thronfolge transnational wenig gebräuchlich. Zuletzt betonten die Bittstellerinnen den grundlegenden Widerspruch zwischen der Idee der Aufklärung, jedem Menschen – und daher auch Frauen – stünden angeborene und unveräußerliche Rechte zu, und der Praxis, Frauen von Grundrechten auszuschließen. Damit stützten sich die Bittstellerinnen in ihrer Forderung nach dem Frauenwahlrecht sowohl auf das Individualitäts-Argument als auch – wie im ersten Einwand ausgeführt – auf das Argument der nicht durch andere vertretbaren sozialen Gruppe.[26]

Während die Bittstellerinnen des Flugblattes von 1848 das aktive und passive Wahlrecht von Frauen und Männern für eine gemeinsame Volksvertretung an ein und demselben Ort forderten, hatte sich Olympe de Gouges 1791 in ihrer Schrift „Les droits de la femme“ noch vorgestellt, dass sich Mütter, Töchter, Schwestern, Vertreterinnen der Nation als Nationalversammlung konstituieren würden, was einem exklusiv weiblichen Parlament gleichgekommen wäre[27], dem wohl als Pendant eine Nationalversammlung von Vätern, Söhnen, Brüdern, Vertretern der Nation hätte gegenüberstehen sollen. Damit hatte sie die Geschlechterdifferenz zum entscheidenden Kriterium für die Zusammensetzung einer von zwei gleichgewichtigen Körpern getragenen politischen Vertretung erklärt. Die Bittstellerinnen der Flugschrift „Gleichstellung aller Rechte“ setzten vorrangig auf das Argument der Geschlechtergleichheit, gingen dabei aber soweit, auch offensichtlichste Differenzen und Diskriminierungen zwischen den Geschlechtern in der Gesellschaft zu ignorieren. Olympe de Gouges‘ Schrift zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie nicht nur staatsbürgerliche Rechte für Frauen einforderte, sondern zugleich den Status der Frauen im zivilen Bereich thematisierte und auch hier Gesetzesänderungen vorschlug.[28] In der anonymen Flugschrift von 1848 hingegen gibt es so gut wie keine Auseinandersetzung mit diesem so wesentlichen Teil der Frauenfrage. „Selbstständig, wie der Mann“, bei allen Angelegenheiten des konstitutionellen Staates mitwirken zu dürfen, heißt es an einer Stelle. Dabei sahen die Bittstellerinnen darüber hinweg, dass eine Selbstständigkeit von Frauen trotz der im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch von 1811 in einigen Bereichen festgehaltenen Rechtsfähigkeit von Frauen – und dazu zählte vor allem das Recht, in der Ehe über eigenes Eigentum zu verfügen[29] – , keineswegs vorausgesetzt werden konnte und daher auch hier Forderungen nötig gewesen wären. Allenfalls die im Titel geforderte Gleichstellung aller Rechte der Männer mit den Frauen könnte als ein Hinweis darauf gelesen werden, dass den Bittstellerinnen nicht nur staatsbürgerliche, sondern auch zivile Rechte von Frauen ein Anliegen waren.

Ihre Fähigkeit, sich in gewählter Sprache auszudrücken und an gängige Diskurse anzuknüpfen, zeigt deutlich, dass die Bittstellerinnen der Flugschrift „Gleichstellung aller Rechte“ zur verschwindend kleinen Schicht von Frauen der damaligen Zeit gehörten, die einen Zugang zu Bildung hatten. Sie postulierten – wenn auch untertänig im Konjunktiv formuliert –, dass die Gleichstellung der Rechte der Frauen mit jenen der Männer eine der politischen Fragen der Zeit sei. In der Tat war es so, dass nicht erst die Revolution von 1848 Diskussionen über Frauenrechte initiierte, sondern die Frauenfrage in bestimmten Kreisen bereits in den Jahren davor angestimmt worden war. Innerhalb des deutschen Bundes gab wohl Louise Otto den Auftakt, andere folgten ihr.[30] Die politische Poesie, allen voran die Jungdeutschen Dichter, die auch von Frauen auf den Damentribünen verfolgten politischen Auseinandersetzungen in den Landtagen, aber auch Tendenzromane bereiteten den Aufbruch vor. Louise Otto verwies dazu explizit auf Eugène Suesʼ Fortsetzungsroman „Le Juif errant“, der kein antisemitisches Machwerk war, sondern eine antijesuitische und antiklerikale Stoßrichtung mit einer Kritik am Kapitalismus verwob.[31] Die Legendengestalt des Ewigen Juden erfuhr dabei eine Neuinterpretation als Sprecher der Arbeitenden und Unterdrückten, indem er zum Stammvater der ausgebeuteten Handwerker wurde, der in Herodias eine Leidensgenossin und in seinen Nachkommen eine Familie hatte, die vor den Jesuiten beschützt werden musste. Aus seiner Gesellschaftsanalyse heraus formulierte Sue konkrete Forderungen, die sich Louise Otto zu eigen machte, darunter das Recht auf Arbeit und existenzsichernde Frauenlöhne.[32] Einen zentralen Anstoß für die Frauenfrage bildeten darüber hinaus religiöse Oppositionsbewegungen der 1840er-Jahre, allen voran die Bewegung des Deutschkatholizismus, in der Frauen Handlungsräume außerhalb der Familie zugestanden wurden.[33] Die besondere Bedeutung des Deutschkatholizismus für die Frauenbewegung zeigt sich auch darin, dass diese freireligiöse Bewegung Frauen bereits 1850 das aktive und passive Gemeindewahlrecht inklusive eines Wahlrechts für Verheiratete zuerkannte.[34] Im katholisch geprägten Österreich wurde die Bewegung politischer Umtriebe verdächtigt und die Gründung von Gemeinden verboten.[35] Allerdings besuchte Johannes Ronge, ein Gründer des Deutschkatholizismus, im Sommer 1848 Wien und sprach vor 8-12.000 Anwesenden. Daraufhin bildete sich eine deutschkatholische Gemeinde mit ungefähr 6.000 Mitgliedern, und für September 1848 wurde die Gründung eines deutschkatholischen Frauenvereins angekündigt, der wohl dem Beispiel der deutschkatholischen Gemeinden in den deutschen Staaten folgend ebenfalls gleiche Rechte für Frauen intendierte.[36] Aufgrund der Anonymität der Flugschrift „Gleichstellung aller Rechte“ lässt sich jedoch keine direkte Verbindung zu Vordenker:innen religiöser, sozialer und politischer Dissidenz nachweisen.

In ihrer Forderung nach dem Recht auf Stimmabgabe für den Reichstag und sonstige Volksvertretungen (etwa auf der Ebene der Landtage oder Gemeinden) sowie nach dem Recht, als Abgeordnete gewählt zu werden, traten die Bittstellerinnen radikaler auf als manch andere frühe Vorkämpferin für politische Rechte von Frauen. So forderte etwa die im Königreich Sachsen lebende Louise Otto 1849 zwar ein Frauenstimmrecht, aber kein passives Frauenwahlrecht, „den Männern alle Staatsämter und Würden überlassend“[37], und sie begnügte sich mit der Forderung, dass Frauen bei jenen Gesetzen, die sie selbst betrafen, gehört werden müssten. Der Grund für ihre Zurückhaltung könnte darin gelegen haben, dass sie in ihrem gleichzeitigen Engagement für einen deutschen Nationalstaat ihre männlichen Mitstreiter nicht vor den Kopf stoßen wollte. Dass sie an gleicher Stelle die Natur der Frauen als anders geartet als jene der Männer beschrieb und ihnen „eine andere Stellung als den Männern im Staate“[38] anwies, vermag ebenfalls ihrem Ziel gedient haben, Frauen – und sich selbst – einen unanfechtbaren Platz in der nationalen Bewegung zu sichern. Allerdings bettete Louise Otto ihre Frauenstimmrechtsforderung in ein weitaus umfangreicheres frauen- und gesellschaftspolitisches Programm, in dem die Frauenbildung, das Recht auf Arbeit und ökonomische Unabhängigkeit, das Recht auf Mündigkeit im Staatsleben und die Gleichstellung in der Ehe zentrale Säulen waren.[39]

Viele Studien in Vergangenheit und Gegenwart verweisen auf den europäischen Charakter der Revolutionen von 1830 und 1848.[40] Dass sich in dieser Epoche erste Stimmen für Frauenrechte aussprachen, ist ebenfalls ein transnationales bzw. transimperiales Phänomen. Forderungen nach politischer, aber auch bürgerlicher Gleichstellung von Frauen erfolgten dabei in Auseinandersetzung mit anderen Emanzipationsprozessen. Der Parallelen zwischen diesen und eigenen Emanzipationsbestrebungen waren sich Revolutionärinnen und Vordenkerinnen einer Geschlechtergerechtigkeit durchaus bewusst.[41] Wie Gisela Bock aufgezeigt hat, gab es im Vergleich zu den USA einen spezifisch europäischen Weg zum Frauenwahlrecht. Während in den USA race und sex die bestimmenden Faktoren der Wahlrechtskämpfe waren, interagierten in Europa die Kämpfe um Aufhebung der Klassenschranken und der Geschlechterschranke. Dennoch verlief die Demokratisierung des Wahlrechts für Männer und Frauen in Europa zunächst gegenläufig. Kam es auf Seiten der Männer, ausgehend von den Revolutionen von 1789 und 1848, zu einer immer größeren Ausweitung des Wahlrechts, wurde Frauen das Wahlrecht als individuelles Recht im Demokratisierungsdiskurs nicht nur von Beginn an vorenthalten, sondern das Geschlecht wurde im Verlauf des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg insbesondere auf parlamentarischer Ebene in einem transnationalen Prozess zu einem expliziten Grund des Ausschlusses vom Wahlrecht.[42] Die Maskulinisierung der politischen Mitbestimmung war zugleich Teil einer weiteren Neukonzeption des Politischen, nämlich einer zunehmenden Anerkennung des individuellen Anspruchs auf politische Partizipation.[43] Tatsächlich galt aber im 19. Jahrhundert keineswegs ein individuelles Staatsbürgertum, sondern vielmehr das Konzept der virtuellen Repräsentation (virtual oder vicarious representation) von Frauen durch Männer oder − wie in England − von erwachsenen Söhnen durch ihre Väter, wenn sie im gleichen Haushalt lebten. Sie beruhte darauf, dass der Mann als Haushaltsvorstand zum Träger der Nation gemacht wurde.[44] Insbesondere in den nördlichen Staaten Europas, in einigen deutschen Bundesstaaten und in der Habsburgermonarchie war das männliche Geschlecht keine Voraussetzung für eine Stimmberechtigung zu Wahlen auf lokaler und regionaler Ebene, wenngleich Frauen und Männer keinen durchgängig gleichberechtigten Zugang zum Stimmrecht hatten und Frauen ihre Stimme meist nicht persönlich abgeben durften.[45] In der österreichischen Reichshälfte war es so, dass mit der beginnenden Konstitutionalisierung ab den 1860er-Jahren – ein erstes Gesetz von 1848 wurde aufgrund des nachfolgenden Neoabsolutismus nicht rechtskräftig – auch jene österreichischen Frauen ein Stimmrecht auf Gemeinde- bzw. Landtagsebene besaßen, die über Grundbesitz, Vermögen oder Einkommen verfügten, wenn auch zu lokal und regional unterschiedlichen und sich verändernden Bedingungen und mit einigen Ausnahmen, insbesondere in wichtigen Städten wie Wien oder Prag. Für den österreichischen Reichsrat besaß wiederum nur ein sehr kleiner Teil der Frauen – nämlich die Großgrundbesitzerinnen – im Rahmen des dort geltenden ungleichen und beschränkten Wahlrechts seit 1873 ein Stimmrecht. Der Prozess der Maskulinisierung von Wahlrecht und Staatsbürgerschaft erreichte hier 1907 mit der Einführung eines unbeschränkten und gleichen Männerwahlrechts für den österreichischen Reichsrat und damit einem expliziten Ausschluss von Frauen auf parlamentarischer Ebene seinen Zenit. In keinem Land Europas erhielten Frauen das Wahlrecht auf nationaler Ebene, bevor nicht die Klassenschranken für Männer gefallen waren, nur in Finnland fielen die Geschlechter- und Klassenschranken (1906) gleichzeitig.[46] Der (vermeintliche) Grundsatz der individuellen Repräsentation eröffnete den Frauen jedoch auch die Möglichkeit, ein persönliches Wahlrecht für sich zu fordern und gegen den Grundsatz Einspruch zu erheben, ihre Interessen würden durch Väter oder Ehemänner vertreten. Die Forderung, die Frau in ihrer Persönlichkeit und Individualität anzuerkennen, als einen freien Menschen, der das Recht auf Selbstbestimmung hat, war tatsächlich eines der zentralen Anliegen der ab den 1860er-Jahren aufkommenden organisierten Frauenbewegung.[47] Forderungen nach dem Frauenwahlrecht wurden von Seiten der Frauenbewegung länderübergreifend sowohl damit begründet, dass Frauen eigene Interessen hätten und daher nie von Männern vertreten werden könnten, als auch mit dem Argument der Gleichheit aller Menschen. Die von Gisela Bock angeführte frühe Feministin und Sozialistin Jeanne Deroin (1805–1894) verknüpfte bereits 1849 das Gruppenargument mit dem Individualitätsargument, indem sie eine bloß aus Männern bestehende gesetzgebende Versammlung für unfähig erklärte, Gesetze für eine aus Männern und Frauen bestehende Gesellschaft zu erlassen, und zugleich die Formel liberté, égalité, fraternité in einem geschlechterübergreifenden Sinne verwendete.[48] Ab den 1890er-Jahren brachten Stimmrechtlerinnen die Formel égalité dans la différence (Gleichheit in der Differenz) zu internationaler Geltung.[49]

Die Flugschrift „Gleichstellung aller Rechte“ entstand an einem Scheidepunkt in der Geschichte der Demokratie. Das, was in der Französischen Revolution vorexerziert worden war, wiederholte und verfestigte sich nun in einer Reihe weiterer europäischer Länder – Frauen waren integraler Bestandteil der Kämpfe um die Abschaffung von Vorrechten und dennoch wurde ihnen eine Teilhabe an der politischen Gestaltung der Zukunft verwehrt. Die Einführung eines gleichen, unbeschränkten Männerwahlrechts ging einher mit einem Ausschluss von Frauen aufgrund ihres Geschlechts. Ausgehend von der Naturalisierung der Geschlechterherrschaft durch den Gesellschaftsvertrag[50] und der Polarisierung der Geschlechtscharaktere[51] im 18. und 19. Jahrhundert in Europa wurde das Vorrecht der Männer auf den Bereich der Politik und des Öffentlichen fixiert. Aus den Vertragstheorien des 18. Jahrhunderts leiteten die Revolutionär:innen Freiheit und Gleichheit als natürliche und unveräußerliche Geburtsrechte ab. Den sich daraus ergebenden Widerspruch hinsichtlich ungleicher politischer, aber auch ökonomischer und ziviler Rechte griffen Frauen und andere gesellschaftliche Gruppen, die versklavt, aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer ethnischen oder religiösen Herkunft unterdrückt wurden oder dem dritten und vierten Stand angehörten, auf und erhoben dagegen Einspruch.[52] Die Flugschrift „Gleichstellung aller Rechte“ zählt zu einer Reihe von Gedankenexperimenten zur Geschlechtergerechtigkeit, die durch die Aufbruchsstimmung der Revolutionen in vielen Ländern Europas befördert wurden. Sie gehört zu den ältesten Dokumenten zur Geschichte des Frauenwahlrechts in Europa und steht für einen frühen Protest gegen die Maskulinisierung von Staatsbürgerschaft und Wahlrecht.



[1] Essay zur Quelle: „Gleichstellung aller Rechte der Männer mit den Frauen; oder: Die Frauen als Wähler, Deputirte und Volksvertreter“ (Flugschrift, Wien 1848), in: Themenportal Europäische Geschichte, 2022, URL: <https://www.europa.clio-online.de/quelle/id/q63-76669>.

[2] Kundmachung zum Behufe der Wahl von Abgeordneten und Stellvertretern, Flugschrift, Wien, 26.4.1848, Wienbibliothek, Rc-3761

[3] Ilse Reiter-Zatloukal, Texte zur österreichischen Verfassungsentwicklung 1848–1955, Wien 1997, S. 333; Gabriella Hauch, Frau Biedermeier auf den Barrikaden. Frauenleben in der Wiener Revolution 1848, Wien 1990, S. 140.

[4] Der Prophet. Tageblatt fürs Volk, Nr. 26, S. 101 f. (ca. Mitte Juli 1848). Das ungefähre Erscheinungsdatum lässt sich nur aus früheren datierten Ausgaben, dem Erscheinungsrhythmus und dem Inhalt der Zeitung ableiten.

[5] Gabriella Hauch, „Arbeit, Recht und Sittlichkeit“. Die Frauenbewegung als politische Bewegung 1848 bis 1918, in: dies. (Hrsg.), Frauen bewegen Politik. Österreich 1848–1938, Innsbruck 2009, S. 23–60, hier S. 24; dies., „Wir hätten ja gern die ganze Welt beglückt“. Politik und Geschlecht im demokratischen Milieu 1848/49, in: Hauch, Frauen bewegen Politik, S. 61–81, hier S. 68.

[6] Ebd., S. 65–67.

[7] Ebd., S. 66.

[8] Ebd., S. 70 f. Die Statuten des Vereins sind abgedruckt in: Gabriella Hauch, Frau Biedermeier, S. 235–239.

[9] Ein Exemplar wird in der österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB), ein weiteres im Kreisky-Archiv in Wien und zwei weitere werden in der Wienbibliothek aufbewahrt. Die beiden letzteren haben sich im Nachlass von Ludwig August Frankl, Journalist und Schriftsteller, Sekretär, später Präsident der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde, erhalten, der im Umfeld der 1848er Revolutionär:innen agierte: ÖNB F 018675-A; Kreisky-Archiv: Johanna Dohnal-Archiv 5/104; Wienbibliothek Ra-1047.

[10] Im Folgenden stammen alle Quellenzitate, soweit nicht anders vermerkt, aus der hier abgedruckten Quelle: Gleichstellung aller Rechte der Männer mit den Frauen, Flugschrift 1848, ÖNB F 018675-A.

[11] Gisela Bock, Begriffsgeschichten: „Frauenemanzipation“ im Kontext der Emanzipationsbewegungen des 19. Jahrhunderts, in: dies. (Hrsg.), Geschlechtergeschichten der Neuzeit. Ideen, Politik, Praxis, Göttingen 2014, S. 100–152, hier S. 103, S. 114.

[12] Olympe de Gouges, Les droits de la femme, Paris 1791, S. 1–3.

[13] Bonnie Anderson, Les femmes de 1848 dans les États allemands, in: Christine Fauré (Hrsg.), Encyclopédie politique et historique des femmes. Europe, Amérique du Nord, Paris 1997, S. 361–382, hier S. 367; Bettina von Arnim, Dies Buch gehört dem König, Berlin 1843.

[14] Hauch, Welt, S. 74–76.

[15] Hauch, Frau Biedermeier, S. 158–160.

[16] Elisabeth Frysak, Legale Kämpfe: Die petitionsrechtlichen Forderungen der österreichischen bürgerlichen Frauenbewegung zur Änderung des Ehe- und Familienrechts um die Jahrhundertwende, in: L'Homme 14/1 (2003), S. 65–82, hier S. 68.

[17] Johann Heinrich Kumpf, Petitionsrecht und öffentliche Meinung im Entstehungsprozess der Paulskirchenverfassung 1848/49, Frankfurt am Main / Bern / New York 1983, S. 33 f.

[18] Frysak, Kämpfe, S. 69.

[19] Henry Miller, Introduction: The Transformation of Petitioning in the Long Nineteenth Century (1780–1914), in: Social Science History 43 (Herbst 2019), S. 409–429.

[20] Kumpf, Petitionsrecht, S. 53 f.

[21] Ebd., S. 54–56.

[22] Wiener Zeitung, 15.5.1848, S. 647; Wiener Zeitung, 1.6.1851, S. 1619.

[23] Wiener Zeitung, 29.2.1852, S. 210. 1861 bedeckten Werbeanzeigen dieses und anderer Unternehmen die noch bestehenden Stadttore und Mauern in Wien bereits fast auf ihrer ganzen Länge: Wiener Brief, Temesvarer Zeitung, 24.2.1861, S. 251.

[24] Hauch, Frau Biedermeier, S. 145 f.

[25] Frysak, Kämpfe, S. 71 f. 1849 streifte der Abgeordnete Franz Freiherr von Hein im Verfassungsausschuss des Kremsierer Reichsrats das Thema des Frauenwahlrechts, allerdings bloß um Forderungen nach einer Demokratisierung des Wahlrechts im Sinne einer Ausweitung auf Arbeiter wie auf Frauen gleichermaßen ins Lächerliche zu ziehen. Gabriella Hauch, Ein- und Ausschluß. Die Kategorie „Geschlecht“ in politischen Handlungsfeldern, in: dies. / Maria Mesner (Hrsg.), Vom „Reich der Freiheit ...“: Liberalismus – Republik – Demokratie 1848–1998, Wien 1999, S. 53–72, hier S. 61 f.

[26] Gisela Bock, Wege zur demokratischen Bürgerschaft: transnationale Perspektiven, in: dies., Geschlechtergeschichten, S. 204–240, hier: S. 235.

[27] Gisela Bock, Frauenrechte als Menschenrechte. Olympe de Gouges’ „Erklärung der Rechte der Frau und der Bürgerin“. Beitrag zum Themenschwerpunkt „Europäische Geschichte – Geschlechtergeschichte“, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2009, <https://www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1505>.

[28] Ebd.

[29] Birgitta Bader-Zaar, Rethinking Women’s Suffrage in the Nineteenth Century, in: Kelly L. Grotke / Markus J. Prutsch, Constitutionalism, Legitimacy, and Power. Nineteenth-Century Experiences, Oxford 2014, S. 107–126, hier S. 111.

[30] Louise Otto, Die Theilnahme der weiblichen Welt am Staatsleben, in: Vorwärts! Volks-Taschenbuch für das Jahr 1847, hrsg. von Robert Blum, Bd. 5 (1847), S. 37–63, hier S. 39 f.; Anderson, Femmes, S. 367 f.

[31] Tobias Lagatz, Der Ewige Jude von Edgar Quinet und Eugène Sue auf dem Index Librorum Prohibitorum: Zerrbild seiner selbst und Spiegelbild der Zeit, Boston 2020, S. 104–115.

[32] Ebd., S. 116.

[33] Otto, Theilnahme, S. 42 f.; Susanne Schötz, Politische Partizipation und Frauenwahlrecht bei Louise Otto-Peters, in: Hedwig Richter / Kerstin Wolff (Hrsg.), Frauenwahlrecht. Demokratisierung der Demokratie in Deutschland und Europa, Hamburg 2018, S. 145–165, hier S. 197.

[34] Sylvia Paletschek, Frauen und Dissens. Frauen im Deutschkatholizismus und in den freien Gemeinden 1841–1852, Göttingen 2011, S. 172 f.

[35] Ebd., S. 59 f.

[36] Hauch, Frau Biedermeier, S. 166 f.; Neues Wiener Tagblatt, 27.10.1887, S. 4.

[37] Louise Otto, Mein Programm als Mitarbeiterin einer Frauenzeitung, in: Sociale Reform 1 (1849), S. 19–22.

[38] Ebd.

[39] Schötz, Partizipation, S. 200–202.

[40] Dieter Langewiesche, Europa zwischen Restauration und Revolution. 1815–1849, München 2007; Jonathan Sperber, The European Revolutions, 1848–1851, Cambridge 2005; Robert Evans, The Revolutions in Europe, 1848–49. From Reform to Reaction, Oxford 1999.

[41] Nancy A. Hewitt, Re-rooting American Women’s Activism: Global Perspectives on 1848, in: Karen Offen (Hrsg.), Globalizing Feminisms, 1789–1945, London / New York 2010, S. 18–25, hier S. 21.

[42] Bock, Wege, S. 223.

[43] Birgitta Bader-Zaar, „Wir streben nicht blindlings das Wahlrecht an, sondern in klarer Erkenntnis, dass das Wahlrecht Macht ist“ − Zur Geschichte des Frauenwahlrechts in der österreichischen Reichshälfte der Habsburgermonarchie, in: Bettina Bab (Hrsg.), Mit Macht zur Wahl: 100 Jahre Frauenwahlrecht in Europa (Ausstellung: 3.12.2006 bis 15.4.2007 im Frauenmuseum Bonn), Bd. 1: Geschichtlicher Teil, Bonn 2006, S. 108–117, hier S. 109.

[44] Bock, Wege, S. 223 f.

[45] Birgitta Bader-Zaar / Carola Riedmann, Stimmberechtigte Frauen vor 1918: Zum kommunalen, Landtags- und Reichsratswahlrecht für Frauen in der österreichischen Reichshälfte der Habsburgermonarchie, in: Blaustrumpf ahoi! (Hrsg.), „Sie meinen es politisch!“ 100 Jahre Frauenwahlrecht in Österreich: Geschlechterdemokratie als gesellschaftspolitische Herausforderung, Wien 2019, S. 65–79, hier S. 65; Bader-Zaar, Rethinking.

[46] Bock, Wege, S. 226–228; Corinna Oesch, Das Frauenwahlrecht. Eine historische Bestandsaufnahme, in: Isabella Feimer (Hrsg.), Frauen.Wahl.Recht, St. Pölten 2018, S. 13–28.

[47] Louise Dittmar schrieb bereits 1847 zwei philosophische Essays, in denen sie die Anerkennung der Persönlichkeit jedes Individuums, egal welchen Geschlechts, einforderte. Anderson, Femmes, S. 367; Helene Lange, Die ethische Bedeutung der Frauenbewegung, Berlin 1889 (Vortrag auf der 15. Generalversammlung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins), zit. nach Bock, Begriffsgeschichten, S. 119; Käthe Schirmacher, Frauenachtung, in: Mutterschutz. Zeitschrift zur Reform der sexuellen Ethik 1 (1905) 9, S. 347–358, hier S. 347.

[48] Bock, Wege, S. 235.

[49] Bock, Begriffsgeschichten, S. 124.

[50] Carole Pateman, The Sexual Contract, Stanford 1988; Barbara Holland-Cunz, Die Natur der Neuzeit. Eine feministische Einführung, Opladen / Berlin / Toronto 2014, S. 78–81.

[51] Karin Hausen, Die Polarisierung der „Geschlechtscharaktere“ – Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben, in: Werner Conze (Hrsg.), Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas. Neue Forschungen, Stuttgart 1976, S. 363–393.

[52] Bock, Begriffsgeschichten, S. 100 f.



Literaturhinweise:

  • Birgitta Bader-Zaar, Rethinking Women’s Suffrage in the Nineteenth Century, in: Kelly L. Grotke / Markus J. Prutsch (Hrsg.), Constitutionalism, Legitimacy, and Power. Nineteenth-Century Experiences, Oxford 2014, S. 107–126.
  • Gisela Bock, Wege zur demokratischen Bürgerschaft: transnationale Perspektiven, in: dies. (Hrsg.), Geschlechtergeschichten der Neuzeit. Ideen, Politik, Praxis, Göttingen 2014, S. 204-240.
  • Gabriella Hauch, Frau Biedermeier auf den Barrikaden. Frauenleben in der Wiener Revolution 1848, Wien 1990.
  • Barbara Holland-Cunz, Die Natur der Neuzeit. Eine feministische Einführung, Opladen / Berlin / Toronto 2014.
  • Henry Miller, Introduction: The Transformation of Petitioning in the Long Nineteenth Century (1780–1914), in: Social Science History 43 (Herbst 2019), S. 409–429.
  • Sylvia Paletschek, Frauen und Dissens. Frauen im Deutschkatholizismus und in den freien Gemeinden 1841–1852, Göttingen 2011.
  • Carole Pateman, The Sexual Contract, Stanford 1988.

„Gleichstellung aller Rechte der Männer mit den Frauen; oder: Die Frauen als Wähler, Deputirte und Volksvertreter“ (Flugschrift, Wien 1848)[1]

Gleichstellung aller Rechte der Männer mit den Frauen; oder: Die Frauen als Wähler, Deputirte und Volksvertreter

Wien, 1848.

Gedruckt in der Josephstadt, Langegasse Nr. 58.

Euer Majestät!

Als sich Oesterreich durch die Güte Euer Majestät neu zu gestalten begann, da ward a l l e n Unterthanen das Glück eines goldenen Weltalters angekündet. Die beseligende suße Stimme der Freiheit floß von den Lippen der begeisterten Söhne Oesterreichs, das Volk erhob das lang niedergehaltene Haupt, das Joch willkürlicher Herrschaft war zerbrochen – und jeder Staatsbürger erkannte und wußte die Bedürfnisse der Zeit und die Güte Euer Majestät zu ehren.

Die Gleichstellung der Rechte der Frauen mit jenen der Männer dürfte jetzt – wohl auch in die Reihe der – politischen Zeitfragen gehören, und die Ansprüche der Bittstellerinnen bei allen Angelegenheiten des constitutionellen Staates selbstständig, wie der Mann, mitwirken zu dürfen, geltend gemacht werden können. –

Es ist billig, daß allen weiblichen Unterthanen zugestanden werde, daß sie vollkommen gleiche Rechte mit der männlichen Einwohnerschaft behaupten, daß sie sowohl bei der Wahl der Abgeordneten zu dem Reichstage und sonstigen Volksvertretungen ihre Stimmen abgeben, und selbst als Abgeordnete gewählt werden können.

Die Bittstellerinnen basiren ihr Begehren ganz auf dieselben Grundsätze, nach welchen es den Männern zusteht, und sind nur so frei zu bemerken, daß eine Sache, die A l l e angeht, auch von A l l e n gut geheißen werden muß, und daß bei der Wahl derjenigen, denen Freiheiten und Rechte der Nation anvertraut werden, auch A l l e eine Stimme haben müssen.

Den Bittstellerinnen ist ihr Leben und ihre Freiheit eben so theuer und eben so kostbar als den Männern, und sie sind bei der Wahl derjenigen, welche über beide wachen und sie vertreten sollen, gleich sehr betheiligt. Das allgemeine Stimmrecht kann also, wenn es seinen Grundlagen nicht offenbar widersprechen will, das Verlangen der Bittstellerinnen durch aus nicht abweisen und es wäre falsch, das Stimmrecht a l l g e m e i n zu nennen, wenn von dessen Ausübung wenigstens die Hälfte der Unterthanen ausgeschlossen ist.

Für einen constitutionellen Staat ist auch die Repräsentation des Eigenthums, wo Besteuerung Statt findet, unbedingte Regel. Nun bemerken aber die Bittstellerinnen ergebenst, daß bei dem Eigenthum unverheiratheter Frauenzimmer offenbar Besteuerung ohne Repräsentation Statt findet, wenn die Rechte der Frauen mit jenen der Männer nicht gleich gestellt werden. Diese weiblichen Eigenthümer haben bei der Wahl derjenigen, welche über die Besteuerung ihres Eigenthums entscheiden sollen, weder eine Stimme noch irgend einen Einfluß, und es wäre unbillig, wenn ihnen das Wahlrecht noch länger vorenthalten werden sollte.

Was die Intelligenz des weiblichen Geschlechtes anbelangt, so zweifeln die Bittstellerinnen keinen Augenblick, daß unsre erleuchteten Zeitalter die Ansicht, als stehe das weibliche Geschlecht geistig niedriger gegen das männliche, mit jener Verachtung von der Hand weisen werde, mit welcher es auf alle veralteten Begriffe unserer Vorfahren herabblicken soll. Bildung ist derzeit wahrlich kein Monopol der Männer mehr. Unmöglich kann aber die Nation vollkommen repräsentirt sein, so lange nicht das weibliche Geschlecht bei der Wahl der Mitglieder mitzustimmen hat.

Eine so unwiderlegbare Wahrheit wird der Gerechtigkeit liebende Sinn Sr. Majestät unseres allergnädigsten Kaisers nicht verkennen und durch Gewährung unserer unterthänigsten Bitte gewiß zu würdigen wissen.

Ist nun somit das Wahlrecht der Bittstellerinnen hinlänglich dargethan, so behaupten sie weiter, es sei kein vernünftiger Grund vorhanden, warum sie nicht zu Deputirten gewählt werden können; denn was die Eigenschaften der Abgeordneten und Vertreter anbelangt: einen Kopf der denkt und ein politisches richtiges Urtheil fällen kann – und eine Zunge die vernünftig redet, so können sie den Männern auch in dieser Beziehung um so weniger einen Vorzug einräumen, als es bekannt ist, daß die Regierungen der Kaiserinnen und Königinnen jederzeit zu den segensreichen in der Weltgeschichte gerechnet werden; und ein Geschlecht, welches befähiget ist, ein Reich selbstständig zu regieren, sollte wohl auch geeignet sein, ein solches regieren zu helfen. Der Wunsch der Männer nach ausschließender Herrschaft könnte diese Frage ausweichend beantworten, aber die Bittstellerinnen sehen in diesen Tagen des Lichtes und der Freisinnigkeit vertrauungsvoll der gewünschten Entscheidung entgegen und sind der festen Ueberzeugung, daß der aufgehende Stern weiblicher Intelligenz sich mit dem herrlichen Sternbilde von Talenten werde einigen dürfen, das erhaben im großen Volks-Senate stehen wird, wenn es einmal der Geist der Zeit erleuchtet.

Gestützt auf diese unwidersprechlichen Gründe, vertrauend dem raschen Fortschreiten der Kultur, wagen es die Bittstellerinnen festen Sinnes und freudigen Herzens in tieffster Ergebenheit die unläugbaren, unveräußerlichen, angebornen und unvertilgbaren Rechte des weiblichen Geschlechtes in Anspruch zu nehmen.

Diejenigen Frauen, welche eine ähnliche Adresse zu unterschreiben beabsichtigen, belieben Ihre Namen vorläufig in das Geschäfts-Büreau des Universal-Telegraphen, Stadt, Wallnerstraße 262, einzusenden.


[1] Kreisky-Archiv: Johanna Dohnal-Archiv 5/104; Wienbibliothek Ra-1047; der Scan der Quelle darf mit freundlicher Genehmigung des Kreisky-Archivs veröffentlicht werden; Quelle zum Essay: Corinna Oesch, Gegen die Maskulinisierung von Staatsbürgerschaft und Wahlrecht, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2022, URL: <https://www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-98390>.


Für das Themenportal verfasst von

Corinna Oesch

( 2022 )
Zitation
Corinna Oesch, Transnationale Diskurse um die Forderung des Frauenwahlrechts Mitte des 19. Jhds, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2022, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-98390>.
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