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  • von Helke Rausch

    Das „lange 19. Jahrhundert“ war europaweit ein Jahrhundert zunehmend aufgeregter Gedächtnisdiskurse. Als ihr bevorzugter Gegenstand erschienen Denkmalfiguren, mit deren Inszenierung politische Voten manifestiert und Deutungsmonopole behauptet werden sollten. Der öffentliche Raum, in dem sie standen, war zwar frei zugänglich, aber keineswegs frei von sozialen und politischen Vermachtungen. In den westeuropäischen Staaten und dort in eingeschränkterem Rahmen selbst im autoritären Deutschen Kaiserreich wirkte er daher bald als Repräsentations-, bald als Kampfarena politischer Nationalkulturen. Damit verkörperten die öffentlichen Denkmalfiguren nicht nur spezifische und im Detail vielfach heterogene Nationsideen. Sie wurden auch selbst zu Vehikeln in der Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen Definitionen der Nation und bei der Erfindung nationaler Meistererzählungen. [...]

  • von Christian Lübke

    In kultureller Hinsicht gab es im Frühmittelalter eine klare Zweiteilung Europas, wobei dem Fränkischen und Byzantinischen Reich das „Barbaricum“ mit seinen akephalen, aus gleichberechtigten Segmenten bestehenden Gesellschaften gegenüberstand, das weite Teile des östlichen und nördlichen Europa umfasste. Seit dem 9. Jahrhundert verliert diese Trennung jedoch mehr und mehr an Bedeutung: Auch im östlichen Europa bilden sich zentralisierte Gesellschaften mit eindeutigen Herrschaftsstrukturen heraus. Aus Gesellschaften ohne Staat werden dauerhafte, teilweise bis heute existierende Staaten. In diesem Zusammenhang werden die alten Gentilreligionen durch das zentralistisch und hierarchisch organisierte Christentum abgelöst und in der Folge bildet sich die Trennung zwischen römisch-katholischer und orthodoxer Kirche heraus. Der weitere Landesausbau wurde nunmehr auf fürstliche Initiative hin systematisch betrieben.

  • von André Kaspi

    Die USA sehen Frankreich und Deutschland 1945 nicht im gleichen Licht. Frankreich ist ein verbündetes Land, das die amerikanischen Soldaten besonders freundschaftlich empfangen hat. Aber es ist auch ein unbequemer Verbündeter. De Gaulle geht es um den Erhalt der nationalen Unabhängigkeit, und mit diesem Ziel widersetzt er sich gegebenenfalls auch den USA, wie zum Beispiel in den Auseinandersetzungen um Stuttgart und Clipperton. Das besiegte Deutschland soll vom Nationalsozialismus geheilt und nach demokratischem Modell wieder aufgebaut werden. In beiden Fällen sind die USA zu einer europäischen Großmacht geworden, wohlwissend, dass sich Europa, der alte Kontinent, im Niedergang befindet und nie wieder die gleiche Stellung wie vor 1939 einnehmen wird.

  • von Armin Heinen

    Wenige Themen US-amerikanischer Kultur wecken in Europa so viele Emotionen wie die Todesstrafe. Wollten die USA dem Europarat beitreten, so würde ihr Gesuch abgelehnt, und selbst der Beobachterstatus wäre umstritten. Der Beitrag untersucht die Geschichte der Todesstrafe als gemeinsame Geschichte einer US-amerikanisch-europäischen, westlichen Zivilisation, zeigt, dass selbst innerhalb der USA ganz unterschiedliche Traditionslinien zu beobachten sind, und entwickelt die These einer „Neuerfindung“ der USA und Europas seit dem Ende der 1960er bzw. 1980er Jahre. In beiden Fällen geht es um die „Erfindung von Tradition“, aber während die USA an das Referenzmodell der „Siedlergemeinschaft“ anknüpft, ist die Erfahrung totalitärer Staatsmacht für Europa maßgebend geworden. So stehen sich heute das „alte Amerika“ und das „neue Europa“ in der Frage der Todesstrafe „verständnislos“ gegenüber.

  • von Wilfried Nippel

    Der „Untergang des Römischen Reiches“ wird immer wieder gern beschworen, wenn es um das vermeintlich unausweichliche Schicksal großer Imperien geht oder vor einem kulturellen Verfall gewarnt werden soll. Bewusste oder unbewusste Reminiszenzen an das Werk von Edward Gibbon, The History of the Decline and Fall of the Roman Empire (6 Bände, 1776-1788) – das einzige Geschichtswerk aus der Zeit der Aufklärung, das bis heute immer noch und wieder gelesen wird – sind dabei geläufig.[...]

  • von Jürgen Osterhammel

    Kaum ein anderer Sozialtypus, der im frühen 19. Jahrhundert entstand, hat sich so wenig verändert in die Gegenwart hinein erhalten wie der des öffentlich auftretenden Musikvirtuosen. Bereits in früheren Jahrhunderten gab es musikalische Zelebritäten, von denen ganz Europa sprach und zu denen man von weither reiste, um von ihnen zu lernen. Sie waren zumeist Komponisten und Meister der musikalischen Theorie. Weniger den Berühmtheiten, die durch ihren Gesang oder ihr Instrumentalspiel faszinierten, galt die Verehrung der Musikwelt als den Schöpfern neuer Kunst.[...]

  • von Etienne François

    Neben der Diskussion um das Vorhandensein bzw. Nicht-Vorhandensein einer europäischen Öffentlichkeit gehört das Problem eines möglichen europäischen Gedächtnisses mit zu den am intensivsten von Publizisten und Politikern, Historikern und Sozialwissenschaftlern in allen europäischen Ländern diskutierten Fragen.[...]

  • von Harald Dehne

    Der strahlende Glanz, der das rasante Wachstum der Hauptstadt des Deutschen Reiches seit 1871 begleitete, vermochte den besorgniserregenden Anstieg der Zahl von unterstützungsbedürftigen Arbeiterfamilien nicht zu verbergen. Wie jede Kommune zur Armenpflege verpflichtet, versuchte der Berliner Magistrat die schlimmste Not zu lindern, aber alle städtischen Fürsorgebestrebungen wären ein Tropfen auf dem heißen Stein geblieben ohne die vielfältige Wohltätigkeit engagierter Bürger der Stadt.[...]

  • von Ina Merkel

    Zu Beginn der 90er Jahre stieß ich bei Recherchen im Deutschen Rundfunkarchiv auf den ungewöhnlichen Aktentitel: „Zeitgeist-Sammlung“. Dahinter verbargen sich mehrere Ordner mit Zuschauerbriefen. Die Mitarbeiter des Büros für Zuschauerpost beim Fernsehen der DDR hatten in Eigeninitiative jeweils 150 exemplarische Zuschriften eines Jahres, das waren etwa 5 Prozent aller Posteingänge, aufgehoben, anstatt sie nach 5 Jahren zu kassieren, wie es die Vorschriften vorsahen.[...]

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