Europa als Wissensraum definierte und definiert sich bis heute besonders über die europäische Wissenschaftslandschaft und ihrer Institutionalisierung in Universitäten. Spätestens seit dem 18. Jahrhundert unterlagen diese einem fortlaufenden Prozess der Professionalisierung und der Bildung von Disziplinen, in dessen Verlauf das deutsche Modell der modernen Forschungsuniversität zum Vorbild avancierte. Auch wenn die Umsetzung dieses Modells europaweit jeweils anders verlief, lag dem Aufbau moderner Universitäten ein Bündel von Merkmalen zugrunde, das Walter Rüegg unter der Trias „Säkularisierung, Bürokratisierung, Spezialisierung“ zusammengefasst hat. [...]
Klagen um „Europäisierungsmißstände“ im Osmanischen Reich des 19. und frühen 20. Jahrhunderts könnten aus der Feder des osmanischen Schriftstellers und Bürokraten Ahmet Hikmet Müftüoglu stammen, dessen Kurzgeschichte Yegenim (Mein Neffe) dieser Essay im Folgenden behandelt. Doch findet man diesen Begriff in Wirklichkeit in einer Rede des deutschen Orientalisten Carl Heinrich Becker, die er 1916 unter dem Titel „Das türkische Bildungsproblem“ in Bonn an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität hielt. [...]
Im Laufe des 19. Jahrhunderts änderten sich die Anstellungsverhältnisse von Erzieherinnen und Lehrerinnen in Deutschland. Es galt weiterhin die zwischen dem späten 16. und 18. Jahrhundert in vielen Ländern sukzessiv verfügte Unterrichtspflicht , doch kam es nun überdies zu einer zunehmenden staatlichen Regulierung des Bildungswesens insgesamt. Infolgedessen wurde auch die Ausbildung von Lehrern und Lehrerinnen stärker reglementiert. So musste für jeden Arbeitsvertrag einer Erzieherin schulpflichtiger Kinder, ob in einer Familie oder als Lehrkraft einer privaten Mädchenschule angestellt, ebenfalls eine erfolgreich abgelegte staatliche Prüfung nachgewiesen werden. Mitte des 19. Jahrhunderts fehlte es allerdings an entsprechenden Ausbildungseinrichtungen. So gab es beispielsweise im Königreich Sachsen bei der Einführung der Lehrerinnenprüfung am 17. Juni 1859 nur einen Ort, das Lehrerinnenseminar in Callnberg, an dem Interessentinnen eine entsprechende Ausbildung absolvieren konnten. [...]
Im Jahre 1928 lancierte die Redaktion der „Deutsch-Französischen Rundschau“ eine Enquête, in der bekannte und einschlägig ausgewiesene Wissenschaftler und Schriftsteller dazu befragt wurden, wie sich aus ihrer Sicht die deutsch-französischen Beziehungen praktisch verbessern ließen. Die Initiative ging von den Berliner Gründern der Deutsch-Französischen Gesellschaft (DFG) aus, die Ende 1927 ins Leben gerufen wurde.[...]
Die Folgen der französischen Vorherrschaft in Westdeutschland um 1800 sind ganz unterschiedlich bewertet worden. Manchmal schien der Verlust ‚nationaler‘ Selbstbestimmung entscheidend, so daß sie als düstere Jahre der Unterdrückung beschrieben wurden; manchmal stand der Aufbruch im Vordergrund, den die Modernisierung von Recht, Verwaltung und Wirtschaft, das Ende korporativer Autonomien und der Zuwachs an individuellen Mobilitätschancen zu ermöglichen schien. [...]
Eine Untersuchung der Säuberung in den Universitäten in Frankreich nach der Befreiung durch die Alliierten und der Entnazifizierung in Deutschland nach der bedingungslosen Kapitulation ermöglicht die Frage nach den Kontinuitäten und Brüchen dieser Institution sowie der Eliten in zwei nachhaltig erschütterten europäischen Ländern: eines durch zwölf Jahre nationalsozialistischer Diktatur und die Niederlage von 1945, das andere durch die Niederlage von 1940, die deutsche Besatzung, das Vichy-Regime und die Kollaboration. Auf beiden Seiten des Rheines stand damit ein Nachdenken über das Scheitern der Eliten, die Verantwortung des Systems zur Ausbildung dieser Eliten und die Reform der Universität zur Debatte. Der aktuelle Forschungsstand erlaubt eine erste vergleichende Herangehensweise. Er regt trotz der zeitlichen Verschiebung aufgrund vielfältiger Übereinstimmungen in der Vorgehensweise, den Zielen und auch den Misserfolgen sogar dazu an.
In der historiografiegeschichtlichen Forschung hielt sich lange Zeit die Vorstellung, die französische Geschichtswissenschaft habe sich im 19. Jahrhundert nicht nur hinsichtlich ihrer Forschungs- und Darstellungsmethoden, sondern auch bei ihren institutionellen Formgebungen am ,Deutschen Modell‘ orientiert, das heißt Strukturen der deutschen Geschichtswissenschaft importiert. Empirische Studien belegen aber eher die Eigenständigkeit der französischen historischen Disziplin, die insbesondere im tertiären Bildungssektor große Unterschiede zu ihrem deutschen Pendant aufwies. Letztlich war der französische Rekurs auf das deutsche System von den eigenen Interessen und Vorstellungen bezüglich der Weiterentwicklung der Disziplin geprägt. Der Verweis auf Deutschland fungierte als Katalysator in der Reformdiskussion, als Diskurs.[...]
Seit circa 1900 wurde an der Universität Heidelberg das autoritär-professorale Dozieren durch die emanzipatorische Lehrmethode des „diskutativen Prinzips“ abgelöst, das heißt durch kontroverse Debatten und fruchtbaren Gedankenaustausch zwischen den Gelehrten und ihren Studenten, durch das sogenannte „ewige Gespräch“, das bald als „Geist von Heidelberg“ idealisiert wurde. Diese neue Methode wird hier unter besonderer Berücksichtigung der pädagogisch-didaktischen Bemühungen des Professors der Nationalökonomie, Alfred Weber, mittels folgender Dokumente demonstriert: Seminarprotokolle, einschlägige Briefe, Berichte über Diskussionsabende und Erinnerungen von Studenten. Inspiriert durch die Jugendbewegung und durch Schulreformer wie Gustav Wyneken, war das Ziel dieser Lehrmethode die Heranbildung eines „Neuen Menschen“: eines kritischen, selbstverantwortlichen, politisch engagierten und stets zum Widerstand gegen Indoktrinierung und übermächtige Gewalten bereiten Individuums.[...]
In den frühen siebziger Jahren bemühten sich junge Romanisten, Historiker und Politologen, die Romanistik um eine historisch-sozialwissenschaftliche Komponente zu erweitern. Dadurch sollte den Romanistikstudenten der Zugang zu den romanischen Ländern, insbesondere Frankreich erleichtert und so ein Beitrag zur deutsch-französischen Verständigung geleistet werden. Die Reformbewegung setzte sich kritisch mit der damals herrschenden Landeskunde auseinander, der sie Faktizismus, Beliebigkeit und Theorielosigkeit vorwarf. Ihr stellte sie das Konzept einer historisch fundierten, sozialwissenschaftlich orientierten Landeswissenschaft entgegen, die sich vor allem mit den Problemen der Industriegesellschaft beschäftigen sollte. Dieses Konzept stieß auf den heftigen Widerstand von Philologen, die eine Entphilologisierung und Banalisierung der Romanistik fürchteten.[...]
Seit seiner Entstehung in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts ist das moderne Bildungswesen sowohl in Frankreich als auch in Deutschland stets Gegenstand umfassender Reformdiskussionen und Reformversuche gewesen. Diese Debatten fragen nach den sachlichen Inhalten und pädagogischen Metho¬den, nach dem Kreis der Lehrenden und Lernenden, nach der Beaufsichtigung und Kontrolle durch Kirche oder Staat oder Gemeinde, aber auch nach den Aufgaben des Bildungswesens als Ausbildungs- und Sozialisierungsanstalt, folglich nach seiner Einbettung in Staat und Gesellschaft, und nicht zuletzt auch nach seiner Instrumentalisierung durch Politik und Macht, wenn die Erziehung Mittel zum Zweck politischer Indoktrinierung wird. Zu diesen Fragen existiert bereits eine umfassende Forschungsliteratur.[...]