Der Begriff „Energiewende“ ist eine deutsche Besonderheit und lässt sich kaum präzise in andere Sprachen übersetzen. Ausgehend von einem Schaubild aus dem Buch von Florentin Krause, Hartmut Bossel und Karl-Friedrich Müller-Reißmann „Energie-Wende. Wachstum und Wohlstand ohne Erdöl und Uran“ (1980) befasst sich der Aufsatz mit der Entstehung der „Energiewende“-Idee in der Bundesrepublik Deutschland. Er fragt, welche spezifisch nationalen Kontexte und welche transnationalen Einflüsse die Herausbildung des Konzepts beförderten. Zur Konturierung westdeutscher Besonderheiten werden dabei immer wieder vergleichende Schlaglichter auf das Vereinigte Königreich geworfen.
Nach jahrelangen Importverhandlungen kamen die UdSSR und Österreich 1968 zu einem Vertragsabschluss. Damit war ein neues Kapitel der Ost-West-Beziehungen und der europäischen Energiegeschichte aufgeschlagen. Möglich wurde dies auch, weil sich das neutrale Österreich nicht an der Sanktionspolitik der NATO beteiligte, die die Lieferung von Rohren in die UdSSR erschwerte. Als das Embargo Ende 1966 aufgehoben wurde, hatte Österreich bereits die Eckpunkte des Liefervertrags ausverhandelt. Davon profitierten nicht nur Industriebetriebe in Österreich und in der BRD, sondern auch die UdSSR, die in der Folge ihre Transportinfrastruktur entsprechend ausbaute und neue Erdgasfelder in Sibirien erschließen konnte. Während die transnationale Perspektive vor allem die Rolle der Nationalstaaten bei der Vertragsanbahnung abbildet, nimmt die Perspektive der Energieversorger die europäischen Integrationsprozesse jenseits der großen Verträge und entlang der gebauten Infrastruktur in den Blick.
Der Essay untersucht anhand von Frage- und Anmeldebögen zum Muttersprachlichen Unterricht die gelebte Multiethnizität, die Bildungserwartungen und die Agency migrierter jugoslawischer Familien in Hamburg. Den weiteren Kontext bildet die deutsche und europäische Bildungspolitik der 1970er-Jahre, die nach einem adäquaten Umgang mit den Auswirkungen der Arbeitsmigration suchte. Abschließend diskutiert der Essay die aktuelle Forschungsfrage einer spezifisch sozialistischen Globalisierung und die besondere Position Jugoslawiens, das enger mit dem (west-)europäischen Integrationsprozess verbunden war, als dies heute erinnert wird.
Die Kinder- und Jugendliteratur der DDR war von einer Publikationspraxis bestimmt, die sie deutlich von jener westlicher Länder unterschied: Über eine Buchveröffentlichung entschied nämlich nicht ein Verlag, sondern eine „angemessene“ Verknüpfung von Politik, Ideologie und Kultur. Was angemessen war, darüber entschied der Staat. Druckgenehmigungsverfahren und dazugehörige Gutachten waren das probate Mittel der Überprüfung und Absicherung des Staates in Gestalt des Ministeriums für Kultur, um das politisch geforderte Gesellschaftsbild durchzusetzen. So war es keine Seltenheit, dass Manuskripte von Autor:innen umgeändert wurden, damit sie diesem Anspruch entsprachen. Was den Fall der DDR jedoch besonders macht – denn Lektorate gab und gibt es in jedem Verlag –, sind die Akteure und ihre Motivation, mit eingereichten Manuskripten umzugehen. Dies galt für nationale und internationale Literatur. Am Beispiel des Kinderbuch-Klassikers „Pippi Langstrumpf“ wird im Folgenden paradigmatisch dargestellt, wie Gesellschafts- und Kulturpolitik in der Publikationspraxis Hand in Hand gingen. Zu betonen ist, dass hier ein Einzelfall untersucht wird, der nicht als Blaupause für die gesamte Literaturpraxis in der DDR aufgefasst werden darf.
1952 einigten sich österreichische Priester und Laien bei einer Studientagung in Mariazell auf eine neue Gangart zwischen der katholischen Kirche und der Politik. Ihr Hauptanliegen, "eine freie Kirche in einer freien Gesellschaft" zu schaffen, war geprägt von ihren Erfahrungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und der Unterdrückung religiöser Freiheit in den östlichen Nachbarstaaten Österreichs. Die österreichische Kirche kämpfte zu jener Zeit für einen für einen größeren Entfaltungsraum der Kirche als eigenständiger gesellschaftlicher Faktor, etwa durch die Mitsprache bei Bildungs-, Sozial- und Eherechtsfragen. In diesem Zusammenhang formulierten die katholischen Vertreter ihre Vorstellungen von Freiheit, Menschenrechten und Emanzipation und betonten die Leistungen und Forderungen der katholischen Kirche in diesen Bereichen. Der hier vorgestellte Beitrag soll das bei den Beratungen entstandene "Mariazeller Manifest" und seinen ideologischen Überbau in die nationalen und internationalen Diskurse zum Verhältnis von Staat und Kirche in den 1940er und 1950er Jahren einbetten.
Am 9. November 2014 jährte sich der Fall der Berliner Mauer zum 25. Mal und ließ angesichts des „von Jahrfünft zu Jahrfünft sich steigernde[n] Feierkult[s] um den Jahrestag des Mauerfalls“ ein besonderes Jubiläum erwarten. Zwar lenkt das Mauerfalljubiläum die öffentliche Aufmerksamkeit alljährlich auf die Öffnung der innerdeutschen Grenze, aber die Feierlichkeiten zum 25-jährigen Jubiläum sollten nicht nur an das Ereignis im Jahr 1989 erinnern, sondern selbst zum Ereignis werden. Ziel war es, ein dezidiert europäisch ausgerichtetes Jubiläum zu gestalten, weshalb unter anderem Michail Gorbatschow und Lech Wałęsa als Ehrengäste geladen waren und Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede beim zentralen Festakt die Verdienste der osteuropäischen Demokratiebewegungen als Wegbereiter der „Wende“ besonders hervorhob. Für große Aufmerksamkeit sorgte aber vor allem eine aufwendig inszenierte Lichtinstallation aus etwa 8.000 illuminierten Ballons, die den Verlauf der Berliner Mauer über eine Strecke von rund 15 Kilometern nachzeichneten. [...] In die vermeintlich von Leichtigkeit und Euphorie geprägten Jubiläumstage mischten sich auch die von Begeisterung bis Empörung reichenden Reaktionen auf eine weitere Kunstaktion, die das historische Jubiläum nicht primär zur Erinnerung an die Vergangenheit, sondern zur politischen Gegenwartskritik nutzte. Dieser Beitrag stellt die Aktion anhand einer Videoquelle vor und erläutert daran zum einen, wie die performative Umdeutung erinnerungskultureller Praktiken als politisches Instrument genutzt wurde, und zum anderen, welche Bedeutung dem Mauerfalljubiläum im Speziellen und Jubiläen im Allgemeinen in der deutschen und europäischen Erinnerungskultur zukommt.
Historical research generally considers the Seventies as a turning point in European history. The hypothesis that a value change took place during that decade arose out of research by the American political scientist Ronald Inglehart. Based on the results of a European Values Survey conducted in six European states (France, West Germany, Belgium, the Netherlands, Italy, and Britain), Inglehart claimed that Western industrialized countries were undergoing a silent revolution founded on an unprecedented value change that was moving the societies and especially the younger generations towards post-materialist and individualistic attitudes . This theory has been very thoroughly discussed by a number of scientists in an international debate lasting almost fifty years . In the late Nineties, debate in the European Union regarding the European constitution and its values helped to revive the debate, and national historiographies frequently imply parallels and connections between the present and the past of the Seventies . In the same decade the national transformation of Germany with its process of institutional unification also awaked interest in this debate. It was no accident that this transformational theory became prevalent, especially among the German academic community. Historians and sociologists confronted each other, challenging the validity of a theory that had caught the attention of so many social and political actors during the Seventies, serving not only as a key for interpretation, but also actively influencing the historical development of Western society.
Dieser Artikel analysiert neu zugängliche Quellen aus den vatikanischen Archiven zur deutschen Außenpolitik in der Nachkriegszeit. Im Mittelpunkt steht der Austausch von Briefen und Unterlagen zwischen Aloysius Muench, dem apostolischen Nuntius in Bonn, und Domenico Tardini, dem Pro-Staatssekretär für außerordentliche kirchliche Angelegenheiten im Vatikan. Beide Kleriker fungierten als Mittelsmänner zwischen Konrad Adenauer und Papst Pius XII., die in den 1950er-Jahren eine gemeinsame Politik im Kalten Krieg verfolgten. Die Öffnung der Archivbestände zum Pontifikat Piusʼ XII. im Jahr 2020 erlaubt nun jedoch, einen Blick hinter die Kulissen dieser Beziehung zu werfen. Dieser Artikel zeigt, dass Adenauer den Vatikan regelmäßig über seine außenpolitischen Absichten und Sorgen informierte und dabei auch streng geheime nachrichtendienstliche Informationen teilte. Im Fokus dieses Beitrags stehen strategische Diskussionen mit dem Vatikan im Vorfeld der Stalin-Noten von 1952, in denen die Sowjetunion eine deutsche Wiedervereinigung unter der Bedingung außenpolitischer Neutralität in Aussicht stellte. Die Quellen zeigen nun jedoch, dass Adenauer und der Vatikan sich schon im Frühjahr 1951 des bevorstehenden diplomatischen Vorstoßes Stalins bewusst waren und dass beide sofort Schritte einleiteten, um diesen von vornherein zu unterminieren. Adenauer informierte Pius XII. dabei u.a. über angebliche Geheimverhandlungen zwischen Frankreich und der Sowjetunion, da er befürchtete, dass eine sozialistische Regierung in Paris die sowjetischen Vorschläge annehmen könnte. Gemeinsam mit dem Vatikan und den USA sollten daher Schritte unternommen werden, um Druck auf die französische Regierung auszuüben, eine deutsche Wiederbewaffnung zu ermöglichen und die Gefahr einer erzwungenen weltpolitischen Neutralität Deutschlands abzuwenden. Insgesamt zeigen die Quellen in den vatikanischen Archiven nicht nur, dass Adenauer den Heiligen Stuhl als seinen vielleicht engsten außenpolitischen Ansprechpartner betrachtete, sondern auch, dass Pius XII. seinerseits bestrebt war, die westdeutsche Wiederbewaffnung herbeizuführen und die Entstehung eines wiedervereinigten, aber neutralen Deutschlands zu verhindern.
Bereits unmittelbar nach Kriegsende nutzten deutsche Politiker:innen Deutungen über die Schuld und Verantwortung am NS-Regime und den begangenen Massenverbrechen, um die eigenen Vorhaben vor der Bevölkerung und den Besatzungsmächten zu legitimieren. Während der angespannten Versorgungslage, insbesondere in der Hungerkatastrophe 1946 und 1947, verfolgten sie auf diese Weise das Ziel, gegenüber den Besatzungsmächten an Autorität und Handlungsspielräumen zu gewinnen. Eine Verantwortung für das NS-Regime und sein 12-jähriges Bestehen schrieben sie insbesondere den Alliierten zu. Die deutsche Bevölkerung stellten sie dagegen als Opfer dar.
Im Zentrum dieses Essays steht die Frage, in welcher Form die Funktionäre der Union der Afrikanischen Studenten und Arbeiter Rassismuskritik übten und was sich daraus zur politischen Rolle und Selbstverortung dieser afrikanischen Studenten in der DDR ablesen lässt. Die fünf eng bedruckten Seiten des Schreibens mit dem Titel „Besorgnisse der afrikanischen Studenten und Arbeiter in der DDR“ sind Zeugnis einer Gratwanderung – und Ausdruck einer Legitimationskrise der UASA selbst. Mit Bezug auf die DDR lässt sich mit dem Schreiben die Frage weiterverfolgen, wie und wo Menschen aus dem europäischen und außereuropäischen Ausland Teil der DDR-Gesellschaft waren und diese prägten
Mitte der 1980er-Jahre erschienen in der Volksrepublik Polen in unregelmäßigen Abständen kleine Auflagen eines schreibmaschinengeschriebenen mehrseitigen Newsletters. Die kurzen Textezirkulierten inoffiziell, etwa indem sie von ihren Lesern (und wenigen Leserinnen) per Hand abgeschrieben oder – falls es möglich war – fotokopiert und an interessierte Bekannte weitergereicht wurden. [...].
Der für die europäischen Nachkriegsgesellschaften charakteristische Widerstreit zwischen tradierten und modernen Orientierungs- und Ordnungsmustern manifestierte sich auch im Rahmen der Etablierung der Hose in der europäischen Damenmode nach 1945. Mit ihrem Eingang in die Damenfreizeitmode entwickelte sich eine Kleiderpraxis, die mit den herkömmlichen Wahrnehmungsmustern von Weiblichkeit brach und die Symbolik sowie den Bezugsrahmen der vestimentären Geschlechterkonstruktion in Frage stellte. Dagegen veranschaulicht sich in den Entwürfen der zeitgenössischen Tages- und Festmode das von wertkonservativen Einstellungen gekennzeichnete Bestreben, die in der Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeit aus den Fugen geratenen Geschlechterverhältnisse und -rollen wieder in gewohnte Bahnen zu lenken.[...]
Als die Soziologin Eva Reichmann 1981 gefragt wurde, wie sie denn ihr Selbstverständnis beschreiben würde, sagte sie als erstes: „das ist eine sehr komplizierte Sache.“ Und in der Tat war es für sie, als liberale Jüdin, die 1939 aus Deutschland vertrieben worden war, außerordentlich schwierig, sich eindeutig zu einem Land zu bekennen, geschweige denn sich mit ihm zu identifizieren. Die Gewalterfahrung der Juden in Europa zwischen 1933 und 1945 fügten – auch im Fall von Eva Reichmann – den persönlichen Biografien der Überlebenden eine schwere Hypothek hinzu. [...]
Zwischen den 1960er- und den 1980er-Jahren wandelten sich die Prämissen der westeuropäischen Stadtplanung grundlegend. Galten in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg die Flächensanierung von Altbauquartieren, der Bau von Groß-siedlungen und eine strikte Funktionstrennung als geeignete Maßnahmen, um die Lebensqualität zu verbessern, setzte sich ab den 1960er-Jahren das Leitbild einer erhaltenden Erneuerung und der Durchmischung durch [...]
Interactions of music with the visual arts represent a promising field of studies within cultural, media and visual history. Indeed, its perspectives for different avenues of historical inquiry are considerable, and visual aspects of music have significant potential to contribute to scholarly understanding of the interplay between sounds, images, and perceptions. [...]
„Aber in Erinnerung an diese erste Frau und im endlich beginnenden Nachdenken, was meine Gefühle gegenüber Frauen betraf, fing ich an, diese Alternative in Erwägung zu ziehen, mit einer Frau zu leben. Ich bildete mir aber ein, in dieser Stadt die einzige Lesbe zu sein – die Lesbe, das war mir damals noch nicht so klar – die einzige Frau zu sein, die so empfindet.“ [...]
Wenn die Einwohner und Einwohnerinnen fast aller europäischer Staaten Ende März jeden Jahres ihre Uhren um eine Stunde vorstellen, dürften die wenigsten dies als Akt der europäischen Integration wahrnehmen. Angesichts der wiederkehrenden Debatten um die Auswirkungen auf die „innere Uhr“ erscheint die Zeitumstellung als von vielen ungeliebte technische Routine. Der Vorstoß der französischen Regierung aus dem Jahr 1975 mit einem Memorandum eine „Koordinierung auf Europäischer Ebene zur Einführung eines Sommerzeitsystems“ zu erreichen und die Partner der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) davon zu überzeugen, mit der Sommerzeit „im täglichen Leben ihre Einheit und Solidarität bekunden“ zu können, ist kein prägender Baustein der europäischen Identität geworden. [...]
Sexualität und Geschlechterrollen zählten zu jenen soziokulturellen Feldern, die in der BRD und in Österreich in den Nachkriegsjahren besonders heftig diskutiert wurden. Mehr oder weniger Konsens bestand darüber, dass die NS-Geschlechterimages und die mit ihnen einhergehende pro- und antinatalistische Sexualideologie nur mehr zwecks Abgrenzung aufgerufen werden konnten. Sollte man also bei der Etablierung eines ‚neuen‘ Männer- und Frauenbildes und entsprechender Sexualformen an die Tradition der Weimarer Republik oder sogar des Kaiserreichs in der BRD bzw. an den Ständestaat oder die Erste Republik in Österreich anknüpfen? [...]
Energiekrisen begleiten die Moderne. Sie sind zugleich Ausdruck und Folge sich verändernder Produktions- und Verbrauchsmuster in der Moderne. Aus rein ökonomischer Sicht basieren Energiekrisen meist auf einem einfachen Wirkmechanismus, bei dem Verknappung zu Preisanstieg führt. So sind die in der publizistischen Öffentlichkeit viel diskutierten Ölkrisen, die Europa und die Welt in den 1970er-Jahren und erst jüngst wieder in ihrem Bann hielten, treffender mit dem Begriff der Ölpreiskrisen zu beschreiben. [...]
Deutschland ist neben der Tschechischen Republik eines von wenigen Ländern Europas, in dem die chirurgische Kastration (Orchiektomie) im Rahmen der Behandlung von Sexualstraftätern bis heute per Gesetz erlaubt ist. Erlassen wurde das Gesetz über die freiwillige Kastration und andere Behandlungsmethoden (KastrG) im August 1969; Anwendung fand die Orchiektomie seitdem nur selten, nicht zuletzt, weil chemische, hormonelle und psychotherapeutische Behandlungsmethoden zunehmend an Bedeutung gewannen. Dennoch: Dass die Bundesrepublik die chirurgische Kastration für Sexualstraftäter überhaupt anbietet, wurde im August 2010 vom Europäischen Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) beanstandet.