„Noch niemals sind den Regierungen in Deutschland so viele Mittel dargeboten worden, das ganze Territorium auf eine Weise in Verteidigungszustand zu setzen, die mit dem gesellschaftlichen Verkehre so sehr im Einklange steht und demselben einen neuen Aufschwung gibt. Statt daß jede Vermehrung der Streitmacht, bei welcher die bewegende Kraft eine Hauptrolle spielt, in der Regel eine Vermehrung der Staatsausgaben zu Folge hat, findet diesmal beinahe das Gegenteil statt, und es ist gewiß nicht zuviel gesagt, wenn wir behaupten, daß seit Erfindung der Buchdruckerkunst sich nichts zugetragen habe, was der durch Eisenbahnen und Dampfwagen erzeugten Beschleunigung und Erleichterung des öffentlichen Verkehrs rücksichtlich der Folgen an die Seite gesetzt werden könnte.“ [...]
Genauso wie Kaiser Wilhelm II. waren viele Deutsche um 1900 von der überragenden Wichtigkeit des Verkehrs überzeugt. Das Wort Verkehr vereinte damals drei verschiedene Bedeutungen in sich. Denn es bezeichnete sowohl Verkehrsmittel im Sinne von Transport nach der heutigen Wortbedeutung als auch Kommunikation und Handel. Um 1900 begriffen die Deutschen Verkehr als ein weltweites Phänomen. Sie betrachteten ihn weniger im nationalen Kontext, sondern betonten die globalen und grenzüberschreitenden Zusammenhänge. Um 1900 war nicht nur von Verkehr, sondern auch von Weltverkehr die Rede. [...]
Die Klage über ihre soziale Unterschätzung war unter deutschen Ingenieuren an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert weit verbreitet, jedenfalls ihre Sprecher und Funktionäre ließen daran keinen Zweifel. Vor dem Nürnberger Bezirksverein Deutscher Ingenieure hat das Wilhelm Franz, Maschinenbauprofessor an der Technischen Hochschule (TH) Charlottenburg, 1908 bündig vorgetragen. Im Gegensatz zur wachsenden Bedeutung der Technik für Kultur und Gesellschaft seien die „Intellektuellen der Technik“, die Ingenieure, sozial unterprivilegiert und politisch einflusslos. Anders als die Juristen nähmen sie in der staatlichen Verwaltung und in den gesellschaftlichen Organisationen meist keine führenden, sondern nur untergeordnete Positionen ein. Das müsse sich ändern. [...]
Bei Die Lage der arbeitenden Klasse in England von Friedrich Engels (1820-1895), 1845 erschienen, handelt es sich um eine mehrere hundert Seiten lange Schrift, in welchem die Arbeits- und Lebensbedingungen des britischen Proletariats von Manchester über London bis nach Edinburgh beschrieben werden. Seine Bilanz der Notlage umfasst neben der Schilderung der städtischen Armut und der irischen Einwanderung auch die »Stellung der Bourgeoisie zum Proletariat«, so der Titel des letzten Kapitels. Von dem Kommunisten Wlademir Lenin (1870-1924) als ein »hinreißend geschriebene[s] Buch« bezeichnet, das die »überzeugendsten und erschütterndsten Bilder vom Elend des englischen Proletariats« entwerfe, kann Engels‘ Schrift zu Recht als ein Klassiker der Arbeiterliteratur gelten.[...]
1892 informierte ein Beitrag der Zeitschrift Aus allen Welttheilen die Leserinnen und Leser über die erste Einfuhr des Mahagoniholzes durch bürgerliche Kreise nach Europa. Die Erzählung des Artikels, dass dieses Überseeholz erstmals zu Beginn des 18. Jahrhunderts nach England importiert und als Möbelholz verwendet worden sei, ist allerdings anhand historischer Dokumente nicht belegbar. [...]
Am 31. Mai 1859 trat eine Gruppe gleich gesinnter Männer zusammen und gründete ein Central-Institut für Akklimatisation in Deutschland zu Berlin, eine Institution, „in der Pflanzen und Thiere, die nicht unserm Vaterlande angehören, heimisch gemacht werden“ sollten. Diese Männer waren nicht die ersten, die diese Idee verfolgten, aber sie gehörten zu ihren frühesten Vertretern. Mit Recht konnten sie sich als Vorreiter einer breiteren Entwicklung fühlen. Unverhohlen hofften sie, als Avantgarde in einem allgemeinen Fortschritt hin zu einer moderneren, produktiveren und politisch machtvolleren Gesellschaft zu wirken. Dabei waren sie einerseits eingebettet in eine breitere europäische Bewegung, spiegelten andererseits aber auch spezifisch deutsche bzw. preußische Verhältnisse wider. [...]
Mit dem Begriff ‚Zivilisierungsmission’ hat die transnationale Geschichte einen griffigen Ausdruck für den quasi-religiösen und aufklärerischen Drang europäischer Staaten und Akteure gefunden, ‚andere’ als weniger oder noch nicht ‚zivilisiert’ geltende Völker zu unterwerfen, zu beherrschen und zu erziehen. Dabei ging es weniger um die Verbesserung der Lebensbedingungen ‚unzivilisierter’ oder ‚unterentwickelter’ Völker, als um die eigene europäische Identität. Diese ließ sich im Gegensatz von Zivilisation und Barbarei, von Kulturvölkern und Naturvölkern, von entwickelten und unterentwickelten Gebieten, Regionen, Völkern oder Staaten und letztendlich von Fortgeschrittenen und Zurückgebliebenen besonders gut produzieren, bestätigen und verbreiten.[...]
Das Phänomen „Stadt“ erfährt im 1837 erschienenen 167. Band der Krünitzschen „Oekonomischen Encyklopädie“ gebührende Aufmerksamkeit. Der Artikel zum gleichnamigen Lemma umfasst rund 33 Seiten, in denen Urbanität nach rechtlichen, ökonomischen und historischen Kriterien typologisiert und anhand zahlreicher Beispiele diskutiert wird. Die Darstellung nimmt ihren Ausgang bei der als Idealstadt vorgestellten Residenzstadt Karlsruhe, wendet ihren Blick dann aber im Zuge einer generalisierenden Erörterung mehreren Dutzend anderen Städten und Regionen Europas zu und streift sogar Ägypten und Nordamerika. Was den Artikel in unserem Zusammenhang besonders interessant macht – und was ihn z. B. vom gleichnamigen Eintrag im rund 90 Jahre älteren 39. Band des Zedlerschen Universallexikons unterscheidet – ist der Umstand, dass eine Fülle von Aspekten angesprochen wird, die heute landläufig unter den Begriffen „Umweltproblem“ oder „Umweltfaktor“ subsumiert würden. [...]
Ausgangspunkt des vorliegenden Beitrags ist der Bericht des französischen Generalkonsuls an seinen Außenminister über eine Diskussion in Zürich im Jahr 1904, die im Anschluss an einen Vortrag des Breslauer Wirtschaftsprofessors Julius Wolf über den Mitteleuropäischen Wirtschaftsverein stattfand. Ich werde zeigen, dass bereits ein Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg Gedanken eines Mitteleuropa-Konzepts angesprochen wurden, dessen expansionistische Ziele auch zum Krieg mit Frankreich geführt haben.[...]
Globalisierung als wirtschaftlicher Prozess ist gekennzeichnet durch die weltweite Integration der Märkte von Waren und Dienstleistungen, von Kapital und von Arbeitskräften. Dagegen formieren sich gesellschaftliche Bewegungen, auch kommt es zu staatlichen Gegenmaßnahmen. Im Unterschied zu diesen als wirtschaftsnationalistisch zu bezeichnenden Bewegungen und Maßnahmen werden aber auch erhebliche gesellschaftliche und wirtschaftliche Anstrengungen unternommen, der internationalen Konkurrenzsituation nicht durch Abschottung der Märkte, sondern durch Innovationen, Produktivitätssteigerungen und Rationalisierungen aus eigener Kraft standzuhalten. Die Globalisierung ist, historisch gesehen, kein unbekanntes Phänomen. Bereits von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg gab es eine erste Phase oder Welle. [...]
1872 teilte der Berliner Unternehmer Werner Siemens seinem jüngeren Bruder Carl in Petersburg mit, die Firma Siemens müsse wegen der Vielseitigkeit und Kompliziertheit der Geschäfte, des Mangels an geeigneten Arbeitern und des Kosten- und Termindrucks von Seiten der Abnehmer die Produkte standardisieren und mit Hilfe amerikanischer Arbeitsmethoden schneller und massenhaft produzieren.[...]
Im „alten Europa“ bildete das Handwerk neben den Bauern die wichtigste „Produktivkraft“. In den größeren Städten waren sie meist in Zünften organisiert und nahmen seit der „Zunftrevolution“ des späten Mittelalters an der Stadtregierung teil. Sie bildeten die städtische Mittelschicht. Aber auch in kleineren Städten und auf dem Lande, wo es eine zünftige Organisation nur rudimentär oder gar nicht gab, waren viele Handwerker tätig. Für die zünftigen Handwerker galten strenge Regeln für Ausbildung und Ausübung ihres Berufes.[...]