Ernest Renan ist Historikern und Historikerinnen heute vor allem durch sein Essay „Qu’est-ce que une nation?“ (Was ist eine Nation?) ein Begriff, der als klassischer Text in wichtigen Lehrbüchern zum Nationalismus auftaucht. Dass der französische Semitist und Bibelforscher mit seinem „Leben Jesu“ (1863) das berühmteste Buch im Frankreich des 19. Jahrhunderts verfasst hat, das deshalb auch von Volker Reinhardt in seine Hauptwerke der Geschichtsschreibung aufgenommen wurde, ist außerhalb theologischer und religionswissenschaftlicher Kreise heute eher wenig bekannt. Gänzlich unbekannt in der europäischen Geschichte (in der Geschichte Westasiens dafür umso bekannter) ist jedoch Renans Kontroverse mit einem muslimischen Intellektuellen, nämlich Jamal a-Din al-Afghani im renommierten Journal des Débats. [...]
Reden und Essays über „Europa“ versäumen es selten, Papst Pius II. (1405-1464) als Impulsgeber, ja gar als „Vater“ des Europagedankens zu rühmen. Auch die Europa-Ausstellung 2003 im Deutschen Historischen Museum zu Berlin räumte dem Piccolomini-Papst einen prominenten Platz ein. In deutschen und französischen Quellensammlungen, die während des ersten, stark auf ein „karolingisches“ Kerneuropa gerichteten ideenpolitischen Schubs der 1950er und 60er Jahre entstanden waren, fehlten Texte Pius’ II. ebenso wenig wie in solchen, die während des zweiten, nach 1989 einsetzenden Booms erschienen.[...]