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  • von Marcel Berlinghoff

    Das exorbitante Wirtschaftswachstum, das die westeuropäischen Industriestaaten in den 1950er- bis 1970er-Jahren erlebten, wurde von einer umfangreichen Arbeitsmigration begleitet, die diesen Teil des Kontinents zu einer Einwanderungsregion machte. Hatte im 19. und frühen 20. Jahrhundert noch die Auswanderung nach Übersee dominiert, so zogen nun vermehrt nicht nur Arbeitskräfte aus den agrarisch geprägten Peripherien innerhalb sondern zunehmend auch Menschen von außerhalb des Kontinents in die Industriezentren Europas. Verbesserte Verkehrsverbindungen und imperiale Freizügigkeitsregime sorgten zudem dafür, dass koloniale und postkoloniale Mobilität zunehmend auch Einwohnern der (ehemaligen) Kolonien möglich war, die nicht als „europäisch“ oder „weiß“ galten: [...]

  • von Susanne Oesterreich

    Der für die europäischen Nachkriegsgesellschaften charakteristische Widerstreit zwischen tradierten und modernen Orientierungsmaßstäben und Ordnungsmustern manifestiert sich auch im Rahmen der Etablierung der Hose in der europäischen Damenmode nach 1945. Während das Bestreben, die konventionellen Geschlechterverhältnisse und -rollen wiederherzustellen, in den betont femininen, die Körperform idealisierenden Entwürfen der zeitgenössischen Tages- und Festmode konkreten Ausdruck fand, entwickelte sich mit dem Eingang der Hose in die Damenfreizeitmode eine Kleiderpraxis, die mit den herkömmlichen Wahrnehmungsmustern von Weiblichkeit brach und die Symbolik sowie Wertbezüge dieser sozialen Geschlechterkonstruktion in Frage stellte. [...]

  • von Siegfried Lokatis

    Europa im Kopf hieß aus gutem Grund eine Ausstellung, die 2003 in Eisenhüttenstadt stattfand. Sie war einem einzigen DDR-Verlag gewidmet, dem Verlag Volk und Welt, dem führenden und mit Abstand bedeutendsten Verlag für internationale Gegenwartsliteratur, der, Tomas Tranströmer mitgerechnet, nicht weniger als 43 Nobelpreisträger zu seinen Autoren zählte. Damit nahm der Verlag im Zensursystem der DDR die Funktion eines unverzichtbaren Filters ein. Hier hatte sich im Verlauf von drei Jahrzehnten ein hochspezialisiertes Team von über zwanzig Lektoren mit einer wohl einmaligen Kompetenz für alle inhaltlich-ästhetischen Fragen der romanischen, englischsprachigen, slawischen, germanistischen – kurz der internationalen und Weltliteratur herausgebildet, das zugleich über ein grandioses Expertenwissen verfügte, wenn es um Fragen der Zensur ging. [...]

  • von Thomas Höpel

    Kunst und Kultur wurden von den europäischen Großstädten seit den 1970er-Jahren als wichtige Medien für die lokale, nationale und internationale Profilierung erkannt. Neue Kulturpolitik in den bundesdeutschen Großstädten seit Beginn der 1970er-Jahre, die massiven Anstrengungen der französischen Großstädte im Gefolge der staatlichen Kulturpolitik der Fünften Republik oder auch die europaweite Aufwertung von Museen und Festivals seit den 1980er-Jahren zeugen davon. Gerade Metropolen unterhalb der nationalen Hauptstadt, sogenannte Second Cities wie Barcelona, Birmingham, Frankfurt am Main, Lyon oder Rotterdam, haben sich auf diesem Feld besonders stark engagiert. Kultur und Kunst wurden als Wirtschaftsbranche, als Standort- und Imagefaktor neu „entdeckt“. Das hing auch mit der Intensivierung der europäischen Integration und der Herausbildung der Europäischen Union seit Ende der 1980er-Jahre zusammen. [...]

  • von Gabriele Metzler

    Am 24. April 1975 drangen sechs Mitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF) in das Botschaftsgebäude der Bundesrepublik in Stockholm ein. Mit zwölf Geiseln in ihrer Gewalt forderten sie die Bundesregierung ultimativ auf, ihre inhaftierten Gesinnungsgenossen – 26 verurteilte oder angeklagte RAF-Mitglieder wurden genannt, unter ihnen Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan Carl Raspe – freizulassen. Andernfalls, so ihre Drohung, würden sie im Gebäude mehrere Tonnen TNT zur Explosion bringen. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen und den Ernst ihrer Absichten zu unterstreichen, verletzten sie den deutschen Militärattaché Andreas von Mirbach so schwer, dass er noch am selben Tag seinen Verletzungen erlag; als die Bundesregierung auch dann eine Freilassung ablehnte, erschossen sie den Wirtschaftsattaché Heinz Hillegaart. [...]

  • von Tim Neumann

    Mit der Gründung der Weltföderation Association Internationale de Boxe Amateure (AIBA) im Jahre 1946 wurden die organisatorischen Grundlagen für das Wiederaufleben des Amateurboxsportes nach dem Zweiten Weltkrieg und dessen rasche Verbreitung im europäischen und globalen Maßstab gelegt. In der AIBA dominierten dabei lange, ganz ähnlich wie bei der Vorgängerorganisation Fédération Internationale de Boxe Amateur (FIBA), europäische Interessen das sportpolitische und sportliche Geschehen. Entscheidend war die Entwicklung des Amateurboxsportes durch die Verbindung mit den Olympischen Spielen geprägt, die seit dem Beginn des Kalten Krieges auch zu einer politischen Ersatz-Arena wurden, in der die Vertreter der verfeindeten politischen Blöcke ihre Konflikte austrugen. [...]

  • von Chiara Bonfiglioli

    The English preface to the collection Family in Transition. A Study of 300 Yugoslav Villages (Princeton 1966), previously published in (Serbo-)Croatian as Porodica u Transformaciji (Zagreb, 1964), is an epic tale of human resistance and solidarity in uncertain and dangerous times. The book Family in Transition, in fact, came into being not as an ordinary piece of academic research, but as an extraordinary collective project, started on the eve of the invasion, occupation and division of Yugoslavia by the Axis powers. [...]

  • von Klaus Ziemer

    Die polnische Partei- und Staatsführung unter Edward Gierek (im Amt von 1970 bis 1980) wollte im Juni 1976 durch notwendige, aber überfallartig versuchte Preiserhöhungen für subventionierte Konsumgüter die Staatsausgaben wieder in den Griff bekommen. Preiserhöhungen waren in Polen eine politisch hoch sensible Angelegenheit, seit die politische Führung unter Wladyslaw Gomulka 1970 kurz vor Weihnachten die Preise für Lebensmittel drastisch erhöhte. Sie löste damit Streiks und Proteste in mehreren Städten, vor allem an der Küste aus, die blutig niedergeschlagen wurden. Dutzende von Toten waren hauptsächlich in Danzig (Gdansk) und Gdingen (Gdynia) zu beklagen, was in den offiziellen Medien tabuisiert wurde. Gomulka wurde durch Gierek abgelöst. [...]

  • von Thomas Höpel

    Beim Projekt der SED, in der DDR eine sozialistische Gesellschaft zu schaffen, spielten Kultur und Bildung eine entscheidende Rolle. Sie sollten bei der Emanzipation der Arbeiter und Bauern helfen und zur Schaffung des „Neuen Menschen“ besonders im Zuge der „sozialistischen Kulturrevolution“ ab 1957 beitragen. Um dieses Projekt flächendeckend zu realisieren, setzte die SED auf hauptberufliche Kulturfunktionäre als zentrales Instrument. Seit Ende der 1950er-Jahre entstand ein breitgefächertes Qualifizierungs- und Ausbildungssystem für Kulturfunktionäre und Kulturarbeiter, das an der Spitze ein Hochschulstudium für Kulturwissenschaften vorsah. Professionelle Kulturfunktionäre sollten fortan die „sozialistische Kulturrevolution“ an der Basis durchsetzen. Sie waren einerseits abhängig von der staatlichen Partei- und Kulturbürokratie, kannten andererseits aber auch die Bedürfnisse und Nöte auf lokaler und regionaler Ebene und sollten die zentralen Direktiven den örtlichen Gegebenheiten gemäß umsetzen. [...]

  • von Kristin Reichel

    In den 1950er und 1960er Jahren strebten aufgrund ökonomisch-struktureller und gesellschaftlicher Veränderungen vermehrt verheiratete Frauen in den Arbeitsmarkt. Diese Entwicklung vollzog sich weltweit und in rasantem Tempo: waren bis 1940 noch mehrheitlich ledige Frauen berufstätig, stellten bereits 1949 weltweit Ehefrauen die Mehrheit der weiblichen Erwerbstätigen. Vor allem in den Industrieländern führte das enorme Wirtschaftswachstum zu einem steigenden Arbeitskräftebedarf, so dass verheiratete Frauen schon bald als „letzte Arbeitskraftressource“ galten. In Deutschland war Ende der 1960er Jahre ungefähr die Hälfte der berufstätigen Frauen verheiratet. Ihre Anzahl hatte sich seit 1950 verdoppelt. In Ostmitteleuropa lag die Beschäftigungsquote verheirateter Frauen deutlich höher. Bereits 1961 waren in der Tschechoslowakei, der DDR und Polen bereits 60 Prozent erwerbstätig. [...]

  • von Petar Dragisic

    Die wirtschaftliche Stagnation in Jugoslawien in den 1960er und 1970er Jahren wirkte sich negativ auf die Situation auf dem jugoslawischen Arbeitsmarkt aus. Im Jahr 1980 waren rund 800.000 Jugoslawen auf Stellensuche. Der Druck auf den jugoslawischen Arbeitsmarkt in den 1960er und 1970er Jahren sowie der im Vergleich zu Westeuropa niedrigere Lebensstandard trieben Hunderttausende Jugoslawen in die Emigration. Die überwiegende Mehrheit der jugoslawischen Arbeitsmigranten ging damals nach Westeuropa. Diese Emigration erreichte ihren Höhepunkt in der ersten Hälfte der 1970er Jahre. [...]

  • von Jörg Hackmann

    Die Proklamation der „Charta der deutschen Heimatvertriebenen“ am 5. August 1950 im Kursaal von Bad Cannstadt nimmt einen festen Platz in der Erinnerungskultur der deutschen Vertriebenenverbände ein. Regelmäßig zu den runden Jahrestagen, wie in diesem Jahr mit einem Festakt im Stuttgarter Schloss, wird ihr Charakter als ein Dokument von „unschätzbarer Bedeutung“ für Europa aufs Neue hervorgehoben. In der „Charta“ verzichteten die Vertreter der Landsmannschaften und der zentralen Vertriebenenverbände auf „Rache und Vergeltung“ für das erlittene Unrecht und proklamierten ihre Bereitschaft, sich am Aufbau eines neuen Europa zu beteiligen. [...]

  • von Belinda Davis

    The image below represents a flyer put out by the Evangelische Studenten-Gemeinden Westberlin (ESG), calling for viewers to stand up for peace, by attending a demonstration to be held on the occasion of American President Ronald Reagan’s visit to West Berlin, in June 1982. The specific concern is to prevent the stationing of new nuclear weapons across Europe, in the Cold War West and East. Europeans are implicitly represented in the person of a female protester who, though in dress and heels, demonstrates sufficient strength to kick away an unwanted nuclear rocket. The message seems forthright and quite simple. But as an exemplar of the era’s iconography, the flyer would have communicated a range of meanings and associations. One of thousands of such images and associated texts in West Germany/West Berlin alone, the flyer was part of a popular political movement across NATO-allied Europe, protesting NATO’s new “double-track” strategy of rearmament alongside continued détente. [...]

  • von Kirsten Heinsohn

    Als Eva Reichmann 1981 auf die Frage antwortete, wie sie denn ihr Selbstverständnis beschreiben würde, sagte sie als erstes: „das ist eine sehr komplizierte Sache.“ Und in der Tat war es für sie, als liberale Jüdin, die 1939 aus Deutschland vertrieben worden war, außerordentlich schwierig, sich eindeutig zu einem Land zu bekennen geschweige denn sich mit ihm zu identifizieren. Die Gewalterfahrung der Juden in Europa zwischen 1933 und 1945, die die Überlebenden in ihre persönliche Biografie integrieren mussten, fügten – auch im Fall von Eva Reichmann – eine schwere Hypothek hinzu. Denn schließlich waren den deutschen und später allen Juden im von Deutschland besetzten Europa die Bürgerrechte und die persönliche Freiheit sowie schließlich die körperliche Unversehrtheit genommen worden. Die Einführung ungleicher Bürgerrechte im Zuge der so genannten Nürnberger Gesetze1935 sowie die Aberkennung der Staatsangehörigkeit insgesamt waren Schritte in einem umfassenden Entrechtungsprozess. [...]

  • von Stefan Wiederkehr

    Im Vorfeld der Olympischen Spiele von 1972 veröffentlichte die Medizinische Kommission des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) ein zweisprachiges Faltblatt unter dem Titel „Le contrôle de féminité/Sex control“, das die in Sapporo und München durchzuführenden Geschlechtertests reglementierte. Die Medizinische Kommission des IOC unter dem Vorsitz des belgischen Adeligen Alexandre de Merode (1934-2002) war 1967 ins Leben gerufen worden. Sie bildete das Resultat mehrjähriger Debatten innerhalb der IOC-Gremien, wie dem Problem des Dopings im olympischen Sport zu begegnen sei. Kurzfristig wurde die Medizinische Kommission mit einer zusätzlichen Aufgabe betraut: Sie sollte durch geeignete Kontrollen sicherstellen, dass die Teilnehmerinnen bei Frauenwettbewerben tatsächlich Frauen sind. [...]

  • von Pascal Eitler

    Als Symptome eines vehementen und rapiden Bedeutungsverlustes von Kirche und kirchengebundener Religion in Deutschland wurden die zunehmenden Kirchenaustritte und gesellschaftliche Entwicklungen wie ansteigende Scheidungszahlen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gesehen. Der vorliegende Beitrag rekonstruiert dagegen die Diskurse der Zeit, um die Stellung der Kirche in der Gesellschaft kommunikationsgeschichtlich zu analysieren. Dabei werden zum einen die Politische Theologie und ihre zentralen Deutungsmuster, Leitbegriffe und Argumentationsweisen und daraus resultierende semantische Verschiebungen betrachtet. Zum anderen werden die historischen Bedingungen in den Blick genommen, unter denen die „Wende zur Welt“ der Kirche zu einem gesellschaftlich relevanten Thema wurde. Die Präsenz des Themas in der damaligen Presse wird zu einem Beleg für die gesellschaftliche Relevanz von Kirche und Religion um 1968.

  • von Guido Thiemeyer

    Die Frage nach der demokratischen Legitimation der Europäischen Union gehört zu den Hauptproblemen der politik- und rechtswissenschaftlichen Europa-Forschung. Daher erstaunt es, dass die Geschichtswissenschaft in dieser Debatte bislang sehr wenig präsent ist, hier konzentrierte man sich zunächst auf die Erforschung der politischen und wirtschaftlichen Aspekte der europäischen Integration, seit etwa zehn Jahren dominieren gesellschafts- und vor allem kulturgeschichtliche Perspektiven die Forschung. Dabei könnte ein geschichtswissenschaftlich orientierter Zugang zu dem Problem des Demokratiedefizits die Debatte durchaus bereichern. Er könnte fragen, welche Bedeutung das Problem der demokratischen Legitimation in der Gründungsphase der EU, insbesondere bei der Entstehung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl oder auch der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft hatte. [...]

  • von Christiane Eisenberg

    Der moderne Fußball entwickelte sich zuerst in Europa, verbreitete sich jedoch schon vor 1914 auch nach Übersee und wird heute in allen Ländern der Erde gespielt. Der europäische Fußball gewann vor dem Hintergrund dieses Verbreitungserfolgs auf zweifache Weise an Profil: zum einen durch die zunehmende Intensität des sportlichen Austausches innerhalb Europas, zum anderen durch die Verteidigung der sportlichen und sportpolitischen Vorherrschaft gegenüber den außereuropäischen Neulingen.[...]

  • von Thomas Etzemüller

    Jörg Baberowski und Anselm Doering-Manteuffel formulieren in ihrem Essay „Ordnung durch Terror“ apodiktisch: „Überall, wo Herrschaft ausgeübt wird, herrscht eine Ordnung. Sie beruht auf Informationen und Wissen, mit denen Unverstandenes kategorisiert und klassifiziert wird. Jede Klassifizierung aber ist ein Gewaltakt, der die Menschen zwingt, sich einer Ordnung zu unterwerfen. Wer sich nicht fügt, fällt aus der Ordnung heraus.“ Am Beispiel der nationalsozialistischen bzw. stalinistischen Diktatur beschreiben sie dann, im Anschluss an die Metaphorik Zygmunt Baumans, detailliert, was dieses „Herausfallen“ im 20. Jahrhundert bedeuten konnte: Wie „Gärtner“ „jäteten“ Hitler und Stalin das „Unkraut“, sie entsorgten den „Abfall“, der „der Klassifikation trotzt[e] und die Sauberkeit des Rasens zerstört[e]“, d.h. sie vernichteten Menschen, die nicht in ihre rassistischen bzw. nationalistischen Konzepte passten.[...]

  • von Andreas Eckert

    Léopold Sédar Senghor (1906-2001), der erste gewählte Staatspräsident des unabhängigen Senegal, war im April 1961 erst seit wenigen Monaten im Amt. Seine erste Reise nach Europa führte ihn, wenig überraschend, zur ehemaligen Kolonialmacht Frankreich. In seinen Reden während des Staatsbesuches, wie auch in seiner Ansprache auf dem Empfang des Stadtrates von Paris am 20. April, die der vorliegende Essay als Ausgangspunkt wählt, betonte Senghor wiederholt die engen und positiven Verbindungen zwischen den beiden Ländern. [...]

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