Kunst als Motor städtischer Erneuerung. Birmingham in den 1980er- und 1990er-Jahren im europäischen Vergleich[1]
Von Thomas Höpel
Kunst und Kultur wurden von den europäischen Großstädten seit den 1970er-Jahren als wichtige Medien für die lokale, nationale und internationale Profilierung erkannt. Neue Kulturpolitik in den bundesdeutschen Großstädten seit Beginn der 1970er-Jahre[2], die massiven Anstrengungen der französischen Großstädte im Gefolge der staatlichen Kulturpolitik der Fünften Republik[3] oder auch die europaweite Aufwertung von Museen und Festivals seit den 1980er-Jahren zeugen davon.[4] Gerade Metropolen unterhalb der nationalen Hauptstadt, sogenannte Second Cities wie Barcelona, Birmingham, Frankfurt am Main, Lyon oder Rotterdam, haben sich auf diesem Feld besonders stark engagiert. Kultur und Kunst wurden als Wirtschaftsbranche, als Standort- und Imagefaktor neu „entdeckt“. Das hing auch mit der Intensivierung der europäischen Integration und der Herausbildung der Europäischen Union seit Ende der 1980er-Jahre zusammen. Den Großstädten wurde in zunehmendem Maße bewusst, dass die mit der europäischen Einigung entstehende Situation ein Überdenken bisheriger Politikziele und eine Änderung insbesondere wirtschafts- und standortpolitischer Strategien nötig machen würde. Aufgrund des verschärften Standortwettbewerbs suchten die europäischen Großstädte nach Strategien, um ihre Ausgangsposition dabei zu verbessern. Das geschah auch durchaus im europa- und weltweiten interurbanen Austausch.
Schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts gab es zwischen den europäischen Großstädten Beziehungen, die zum Studium der jeweiligen Institutionen, zum Erfahrungsaustausch und auch zu gegenseitigen Treffen und Besuchen von städtischen Beamten und Bürgermeistern führten. Nach 1945 erhöhte sich der Grad der Vernetzung durch die Schaffung von Städtepartnerschaften. In den 1980er-Jahren kam es zur Bildung von Städtenetzwerken, unter denen Eurocities eine herausragende Bedeutung zukam.[5]
Birmingham war in diesen Netzwerken vertreten, besaß seit den 1950er-Jahren zahlreiche Städtepartnerschaften, unter anderem zu Lyon, Frankfurt am Main und Mailand, und kannte insbesondere die Lyoner und Frankfurter Anstrengungen auf dem Feld von Kunst- und Kulturpolitik, die das Image der beiden Großstädte im Laufe der 1970er-Jahre deutlich verbessert hatten. Birmingham, die zweitgrößte britische Metropole, erlebte seit Ende der 1960er-Jahre einen heftigen wirtschaftlichen Niedergang, der in eine tiefe Krise mündete. Die Birminghamer Stadtregierung reagierte darauf seit den späten 1970er-Jahren mit einer Strategie der Urban Regeneration, in der Kunst und Kultur eine zentrale Rolle einnahmen. Kulturpolitik wurde seit 1980 zur treibenden Kraft für den Stadtumbau, sollte eine neue Imagekampagne Birminghams und die ökonomische Gesundung vorantreiben.[6] Kunstfestivals nahmen in diesem Zusammenhang seit den 1980er-Jahren einen wichtigen Platz ein. Ende der 1980er-Jahre wurden die Anstrengungen systematisiert und der Stadtrat entwarf Grundlinien für eine städtische Kunst- und Kulturpolitik für das kommende Jahrzehnt, die insbesondere Kunstfestivals als Instrumente für die überlokale, nationale und internationale, Ausstrahlung der Stadt definierte.
Die Herausstellung von Kunst und Kultur im Rahmen der Politik der Urban Regeneration resultierte aus der Erkenntnis, dass für die ökonomische Attraktivität der Stadt national und gerade auch international das kulturelle Image der Stadt verbessert werden müsse. Seit den frühen 1980er-Jahren strebte die Stadt danach, zu einer „International City“ zu werden. Später wurde dafür die Formel von „Europe’s Meeting Place“ gefunden. Ziel war es, Birmingham zu einem Zentrum für Geschäftstourismus zu machen.[7] Ausgehend von den Erfolgen mit dem National Exhibition Centre, das 1976 eingeweiht worden war und die Hälfte des britischen Messe- und Ausstellungswesens in Birmingham konzentrierte, wurde eine Prestigeprojekte-Strategie für die Innenstadt entworfen, deren wichtigstes Element die Schaffung eines Internationalen Kongress Zentrums (ICC) war.[8] Damit sollte die Stadt auch für den europäischen Geschäftstourismus attraktiv werden und ihr dessen wirtschaftliches Potential zu Gute kommen.[9]
Der Birminghamer Stadtrat knüpfte bei seiner Entwicklungsstrategie neben den Erfahrungen aus den europäischen Partnerstädten stark an Vorbilder aus US-Städten an.[10] Er setzte zudem massiv auf die europäische Karte, um eigene Projekte zu realisieren, da die konservativen Regierungen in Großbritannien seit 1979 den Handlungsspielraum der Stadtregierungen massiv einschränkten.[11] Der Bau des ICC wurde so zu 35 Prozent aus Mitteln des europäischen Fonds zur Regionalentwicklung finanziert. Das ICC öffnete im Jahr 1991 und umfasste auch einen Konzertsaal für das City of Birmingham Symphony Orchestra (CBSO) für 2.000 Zuhörer.[12] Hieran wird die enge Verknüpfung von Wirtschafts- und Kulturpolitik sehr plastisch. Wichtig für diese Orientierung war auch die Berufung von Simon Rattle als Musikdirektor des CBSO. Der Leiter des städtischen Kunstdepartments, Anthony Sargent, unterstrich, dass die internationale Ausstrahlung des Orchesters den Stadtrat von den Möglichkeiten überzeugt hätte, die die Kunst für die Politik der Urban Regeneration haben könnte.[13]
Die internationale Orientierung wurde von der Stadt seit Mitte der 1980er-Jahre durch eine Reihe von jährlich stattfindenden internationalen Kunstfestivals vorangetrieben. 1983 fand das erste Reader’s and Writer’s-Festival statt, zu dem zahlreiche Autoren aus vielen Ländern nach Birmingham kamen und das Leser und Schriftsteller in engeren Kontakt brachte. Das Festival wurde vom Midlands Arts Centre ins Leben gerufen und im ersten Jahrzehnt auch dort administrativ und organisatorisch betreut. Im Jahr 1984 wurden das Internationale Film und TV Festival, das zum führenden Filmfestival in Großbritannien wurde, und das Internationale Jazzfestival zum ersten Mal veranstaltet.[14] Die Stadt ermutigte zudem in London ansässige Kunstorganisationen, wie die Ballett-Gruppe Sadler’s Wells Company und die D’Oyly Carte Opera Company, zum Umzug nach Birmingham. Das half bei der Revitalisierung von Stadt und Region und trug der Stadt zudem erhebliche nationale Beachtung ein.[15]
Der Stadtrat setzte bei der wirtschaftlichen Erneuerung der Stadt vor allem in Hochkulturevents und -einrichtungen große Hoffnungen. Sie sollten das städtische Image verbessern, das Leben breiter Teile der Birminghamer Bevölkerung bereichern, Investitionen anziehen und auswärtige Besucher in die Stadt bringen. Zu diesem Zweck wurde 1986 innerhalb des Leisure Services Committees ein Arts Development Sub-Committee geschaffen, das die Kunstförderung in Birmingham generell einer Reform unterzog.
Es gab aber auch heftige Kritik am aus den USA importierten Prestigeprojekte-Konzept. Wissenschaftliche Studien wiesen darauf hin, dass diese Strategie wie zuvor in US-amerikanischen Großstädten kaum zum Abbau der sozialen Probleme geführt hat, da nur wenige neue Jobs für die arbeitslose, ansässige Bevölkerung geschaffen wurden.[16]
New Labour griff diese Argumentation auf und leitete in den frühen 1990er-Jahren ein Umsteuern des Stadtrats ein. Innerhalb der Gruppe der Labour-Stadträte konnten die Anhänger von New Labour an Einfluss gewinnen und auch die immer größere Zahl von Stadträten, die ethnischen Minderheiten entstammten, auf ihre Seite ziehen. Zudem hatten Unruhen im Stadtviertel Handsworth im September 1985, der besonders von wenig qualifizierten Gruppen, insbesondere ethnischen Minderheiten, bewohnt wurde, die städtischen Eliten für dieses Problem nachdrücklich sensibilisiert. Aus diesen Gründen wurden seit den 1990er-Jahren Kunst und Kultur nicht mehr nur vorrangig für Prestigeprojekte, sondern auch zunehmend für Integrationsinitiativen eingesetzt.[17]
Theoretisches Rüstzeug dafür boten zwei Symposien aus den Jahren 1988 und 1989, die um die Fragen kreisten, wie Birmingham zu einer wirklich internationalen Metropole werden könne. Zu den Symposien waren Vordenker und Macher von Stadterneuerung und -revitalisierung eingeladen, deren Botschaft lautete, dass die Stadt nur erfolgreich zur internationalen Metropole aufsteigen könnte, wenn die Interessen der einheimischen Bevölkerung nachdrücklicher als bisher berücksichtigt würden und die Lebensqualität in der Stadt insgesamt verbessert würde.[18]
Da fast ein Viertel der Birminghamer Bevölkerung Ende der 1980er-Jahre außereuropäische kulturelle Wurzeln besaß, ging die Stadt auf diese Bevölkerungsgruppen durch die Förderung spezifisch identitätsstiftender Kulturbestände, den kulturellen Austausch sowie die Orientierung auf internationale Kulturbestände von höchstem Niveau gezielt zu. Die Führer der Stadt haben seit den 1990er-Jahren kulturelle Vielfalt als wichtiges Feld erkannt, um die Internationalität und die Attraktivität der Stadt zu verstärken.
Ein wichtiges Instrument dabei war die systematische Förderung der Community Arts in den verschiedenen Stadtgebieten Birminghams. Es handelte sich um lokal verankerte soziokulturelle Kunstprojekte, die breite Bevölkerungskreise in kreative Aktivitäten einzubinden trachteten. Kunst und Bevölkerung sollten zusammengeführt werden.[19] Es entstanden Kunstforen, in denen sich Vertreter von Jugendzentren, sozialen Initiativen, Schulen, Freizeitzentren und Kultureinrichtungen sowie an Kunst interessierte Bürger und Künstler des jeweiligen Bezirks engagierten. Ganz zentral war dabei, jene mit Kunst und Kultur in Kontakt zu bringen, die bislang nur einen begrenzten Zugang dazu hatten.[20]
Um die kulturelle Entwicklung der Stadt insgesamt noch besser koordinierten zu können, schuf der Stadtrat 1989 das Joint Arts, Culture and Economy Subcommittee. Dieser Unterkommission gehörten Mitglieder der fünf Schlüsselkomitees für Finanzen, Freizeit, Wirtschaftsentwicklung, Bildung und Planung an. Das neue Komitee sollte insbesondere eine Strategie ausarbeiten, die Kunst, Medien und Kulturentwicklung zum Wohle der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Stadt nutzt und die Kooperation der einzelnen städtischen Departments verbessert. Es war für die Hochkultur, Kunstfestivals und die Förderung von Kunstevents zuständig und auch für die drei wichtigsten Festivals: das Internationale Jazzfestival, das Reader’s and Writer’s-Festival und das Internationale Film und Fernseh-Festival.[21] Es erarbeitete eine Arts Strategy for the City, die es im März 1990 vorlegte und die vom Birminghamer Stadtrat verabschiedet wurde. Es handelte sich um ein strategisches Papier für die 1990er-Jahre, dass die Grundlinien der städtischen Kulturpolitik skizzierte. Kunst und Kultur wurden bei der Stärkung der städtischen Zivilgesellschaft, der gesellschaftlichen Integration und Identifikation sowie der Bildung von Interessengruppen in der Gesellschaft hoher Wert zugeschrieben. Die Stadt wollte hier besonders aktiv sein, weil das von privaten und marktorientierten Kunstangeboten nicht abgedeckt werden konnte, und so viele Bürger und Gruppen wie möglich mit Kunst und Kultur erreichen und einbinden. Dabei strebte sie ein möglichst hohes künstlerisches Niveau an und wollte das Verständnis für Hochkultur in der breiten Bevölkerung vertiefen. Insbesondere Bevölkerungsgruppen, die bislang kaum mit Kunst und Kultur Kontakt hatten, sollten erreicht werden. Das zielte auf Gruppen mit unterschiedlichstem ethnischem Hintergrund, deren künstlerische Traditionen ermutigt und unterstützt werden sollten. Die ganze Breite des Kunst- und Kulturschaffens wurde in der Arts Strategy berücksichtigt. Der Stadtrat wollte innovative Aktivitäten am Schnittpunkt von Kunst und Wirtschaft fördern und die Stadt für Künstler attraktiver machen. Zudem stellte er hochkulturelle Leuchtturminstitutionen für die internationale Ausstrahlung und das Image der Stadt als besonders wichtig heraus. Diese Zielkoordinaten wurden, wie die Quelle zum Essay zeigt, ausgehend von Berichten zu den einzelnen Kultursparten in Birmingham in konkrete Maßnahmen übersetzt.
Kunstfestivals bildeten in dieser Strategie einen wichtigen Bestandteil, da sie sowohl die Bewohner der Stadt als auch Besucher von außerhalb ansprachen. Das Strategiepapier „A report and strategy proposal for Birmingham’s arts festivals“ betonte die Bedeutung der wichtigsten Festivals für die Imagepolitik der Stadt. Birmingham sollte nicht nur als moderne Großstadt mit einer unverwechselbaren kulturellen Identität präsentiert werden, mit Hilfe der Festivals planten die Kulturpolitiker die Kulturinstitutionen der Stadt sichtbarer zu machen, die Kunstlandschaft weiter zu beleben und das kreative Potential der Stadt zu stärken. Die Stadt trat in der Folge zunehmend an die Stelle anderer Geldgeber der Festivals, insbesondere des Midlands Arts Centre, das Anfang der 1990er-Jahre in einer schwierigen finanziellen Situation war und zahlreiche Initiativen zurückfahren musste. In der Kunstförderungsabteilung wurde 1990 der Posten eines Arts Promotion Officers eingeführt, der eine ständige Verbindung von Stadt und Festivals realisierte und die Festivals gemäß der kulturpolitischen Strategie unterstützte. Insbesondere Werbung und Sichtbarkeit der Festivals in den nationalen und internationalen Medien wurden im Strategiepapier angesprochen und sollten verbessert werden, um mehr auswärtige Besucher und Touristen anzuziehen, das Bild der Kulturstadt Birmingham zu verbreiten und auch die internationalen Beziehungen der Stadt zu unterstützen. Die Stadt hat dann die Festivals nachdrücklicher unterstützt und ihre Durchführung längerfristiger und mit mehr Kontinuität organisiert. 1991 wurde das erste Towards the Millenium-Festival durchgeführt, das bis zur Jahrtausendwende jedes Jahr stattfinden sollte und an dem über 30 Kunstorganisationen der Stadt partizipierten. Geschaffen auf maßgebliche Anregung von Simon Rattle widmeten sich die jährlichen Festivals der Kulturentwicklung im 20. Jahrhundert, indem pro Festival ein Jahrzehnt ins Zentrum gestellt wurde. Der Stadtrat akzeptierte zudem den Vorschlag des Arts Councils, 1992 mit dem Projekt UK Cities of Culture in Birmingham zu beginnen.
1992 wurde Birmingham die erste UK City of Culture und zelebrierte dies mit einem „Jahr der Musik“. Es handelte sich um ein zwölfmonatiges Musikfestival, an dem unterschiedlichste Organisationen und Institutionen der Birminghamer Musikwelt beteiligt waren. 2.843 Musikveranstaltungen fanden insgesamt in diesem Rahmen statt und erreichten über eine Million Besucher. Mehr als die Hälfte aller Veranstaltungen war kostenfrei zugänglich. Neben Konzerten des CBSO gab es Konzerte von Klassik, über Jazz bis Rock und Pop, Musikveranstaltungen in den Museen, Bibliotheken und Schulen sowie Konzerte und Veranstaltungen, die Musik ethnischer Minderheiten der Stadt präsentierten.[22] Der Arts Council gab zu diesem Programm einen Zuschuss von 250.000 Pfund. Musik wurde gerade durch dieses Großevent für die städtische Imagepolitik wieder enorm wichtig und prägte die Außendarstellung nachhaltig.[23] Die Veranstaltung der ersten International Classical Music Awards 1993 in der neuen Symphony Hall, die von der BBC übertragen wurde, weist darauf hin, dass daran in der Folge mit weiteren Initiativen angeknüpft wurde.
Die seit den 1980er-Jahren eingeleitete und zu Beginn der 1990er-Jahre systematisierte Kulturpolitik hat das Image Birminghams als einer schmutzigen, langweiligen und kulturfernen Stadt innerhalb weniger Jahre in das der kulturell dynamischsten englischen Stadt neben London verwandelt.[24] Kulturpolitik wurde auf eine qualitativ höhere Stufe gehoben und Repräsentationspolitik im Stadtzentrum und Integrationspolitik durch Kulturarbeit in den verschiedenen Stadtvierteln miteinander in einem strategischen Konzept verschränkt. Ende der 1990er-Jahre wurde ein neues Großprojekt begonnen: der Bau des Millenium Points. Die Mittel dazu kamen aus dem nationalen Millenium Fund, von der EU sowie aus der Privatwirtschaft.[25] Es umfasste auch verschiedene Hochschul-, Bildungs- und Unterhaltungskomplexe, insbesondere ein modernes Wissenschaftsmuseum, das Discovery Centre. Das macht die breite Aufstellung der Birminghamer Kulturpolitik deutlich, die zwar bestimmte bekannte und erfolgreiche Leuchtturminstitutionen wegen ihrer Außenwirkung förderte, aber letztlich auf allen kulturellen Feldern aktiv war und gerade auch soziale Integration durch Kultur und Kunst erreichen wollte.
Ausgehend vom Birminghamer Vorbild kam es in englischen und britischen Städten zur Institutionalisierung einer spezifischen Kulturverwaltung, die das ganze Feld von Hoch- und Populärkultur in den Blick nahm. Überhaupt spielten die Birminghamer Entwicklungen bei der Politik der Urban Regeneration in anderen britischen Städten eine wichtige Rolle.[26] Zwar wurde eine kohärente Kulturpolitik in britischen Städten deutlich später als in deutschen oder französischen Städten entwickelt, aber die englischen Protagonisten, allen voran Birmingham, profitierten von den Erfahrungen der kontinentaleuropäischen Großstädte, über die sie im Rahmen der Städtepartnerschaften und der zunehmenden Vernetzung informiert waren. Die neue Aufmerksamkeit für Kultur und Kunst und das städtische Engagement in diesem Feld führten auch dazu, dass sich der neue Begriff Cultural Policy seit den 1980er- und vor allem den 1990er-Jahren in Großbritannien durchsetzen konnte.
Das Birminghamer Beispiel macht den interurbanen Austausch und Transfer von kulturpolitischen Konzepten in Europa deutlich, der zu einem Bedeutungsgewinn von Kunst und Kultur in den Großstädten beitrug. Versuche, mit Hilfe von Kunst und Kultur gesellschaftliche Integration und internationale Wettbewerbsfähigkeit in der Stadt zu verbessern, wurden von den Akteuren in einigen europäischen Großstädten über Ländergrenzen hinweg aufmerksam verfolgt, begutachtet und bei Erfolg für eigene Stadtentwicklungspläne fruchtbar gemacht. Die Nutzung von Kultur und Kunst als Motoren der städtischen Wiederbelebung und Imageverbesserung wurde in den 1970er- und 1980er-Jahren ausgehend von einigen, oft miteinander vernetzten europäischen Großstädten zu einem europäischen Erfolgsmodell. Für die europaweite Verbreitung spielte die internationale Vernetzung der Second Cities eine wichtige Rolle. Erwies sich dieses Modell wie im Fall Birminghams tatsächlich als erfolgversprechend, griffen es dann auch andere, oft kleinere Städte im nationalen und regionalen Umfeld auf.
Birmingham hat seine Erfahrungen zudem wieder in die europäische Diskussion eingespeist. Das geschah insbesondere im Rahmen des europäischen Städtenetzwerkes Eurocities. Schon 1989 bildeten die dort engagierten Städte eine Arbeitsgruppe Kultur unter dem Vorsitz von Montpellier, in der auch Birmingham intensiv mitarbeitete. Bei mehreren Treffen im Dezember 1990 und Juli 1991 beschloss die Arbeitsgruppe, eine Erhebung der kulturellen Infrastruktur und Projekte der Mitgliedstädte durchzuführen, um die kulturelle Zusammenarbeit zu erleichtern. Dazu wurde von den Städten Montpellier, Birmingham und Bradford ein spezieller Newsletter erarbeitet.[27] Zudem wurde eine Reihe von konkreten Projekten auf den Weg gebracht: insbesondere ein Austausch von Orchestern und Opernsängern, die Schaffung eines Netzes der Theater der Eurocities, die Unterstützung bei Übersetzungen von Theaterstücken und die Förderung von Kunstausstellungen in den Mitgliedsstädten.[28] Hinzu traten Projekte zum interkommunalen Erfahrungsaustausch. Dieses Engagement zahlte sich übrigens für Birminghams Musikfestival schon 1992 wieder aus. In diesem Jahr wurden europäische Gelder für ein gemeinsames Projekt mit den Musikfestivals von Leipzig und Mailand im Rahmen des EU-Förderprogramms Kaleidoskop bewilligt.[29]
[1] Essay zur Quelle: A Report and Strategy Proposal for Birmingham’s Arts Festival (27. März 1990).
[2] Vgl. Ditt, Karl; Obergassel, Cordula (Hgg.), Vom Bildungsideal zum Standortfaktor. Städtische Kulturpolitik in der Bundesrepublik, Paderborn u.a. 2012.
[3] Taliano des Garets, Françoise, Les métropoles régionales et la culture 1945–2000, Paris 2007; Höpel, Thomas, „Die Kunst dem Volke“. Städtische Kulturpolitik in Lyon und Leipzig im Vergleich 1945–1989, Leipzig 2011.
[4] Häußermann, Hartmut; Siebel, Walter, Festivalisierung der Stadtpolitik. Stadtentwicklung durch große Projekte, Opladen 1993; Puhan-Schulz, Franziska, Museen und Stadtimagebildung. Amsterdam – Frankfurt/Main – Prag. Ein Vergleich, Bielefeld 2005.
[5] Höpel, Thomas, Die Herausbildung kommunaler Europapolitik – das Städtenetzwerk Eurocities, in: Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (2013), H. 1, S. 23–42.
[6] Loftmann, Patrick; Nevin, Brendan, Going for Growth: Prestige Projects in Three British Cities, in: Urban Studies 33 (1999), H. 6, S. 991–1019, hier S. 998.
[7] Ewen, Shane, Transnational Municipalism in a Europe of Second Cities. Rebuilding Birmingham with Municipal Networks, in: Saunier, Pierre-Yves; Ewen, Shane (Hgg.), Another Global City. Historical Explorations into the Transnational Municipal Moment, 1850–2000, Basingstoke 2008, S. 101–117, hier S. 103f.
[8] DiGaetano, Alan; Klemanski, John S., Power and City Governance. Comparative Perspectives on Urban Development, Minneapolis u.a. 1999, S. 130–133.
[9] Martin Steve; Pearce, Graham, The Internationalization of Local Authority Economic Development Strategies: Birmingham in the 1980s, in: Regional Studies 26 (1992), H. 5, S. 499–503, hier S. 500.
[10] Loftmann; Nevin, Going for Growth, S. 998f.
[11] Hambleton, Robin, The Regeneration of U.S. and British Cities, in: Local Government Studies 17 (1991), H. 5, S. 53–65.
[12] Upton, Chris, A History of Birmingham, Chichester 1993, S. 127.
[13] Lister, David, The Transformation of a City: Birmingham, in: Fischer, Mark; Owen, Ursula (Hgg.), Whose Cities?, Harmondsworth 1991, S. 53–61, hier S. 54.
[14] Siehe dazu auch die mit diesem Essay veröffentlichte Quelle: Birmingham City Council, Joint Arts, Culture and Economy Sub-Committee, A Report and Strategy Proposal for Birmingham’s Arts Festivals, 27. März 1990.
[15] Bianchini, Franco, Remaking European Cities: the Role of Cultural Policies, in: Bianchini, Franco; Parkinson, Michael (Hgg.), Cultural Policy and Urban Regeneration, Manchester u.a. 1993, S. 1–19, hier S. 19; Leisure Services Committee’s Report, 4. Dezember 1990, City of Birmingham Council Minutes 1990–1991, Birmingham 1991, S. 579.
[16] Loftman, Patrick, A Tale of Two Cities: Birmingham the Convention and Unequal City, Birmingham 1990.
[17] DiGaetano; Klemanski, Power and City Governance, S. 94–96.
[18] Ewen, Transnational Municipalism in a Europe of Second Cities, S. 112f.
[19] Leisure Services Committee’s Report, 2. Juni 1987, City of Birmingham Council Minutes 1987–1988, Birmingham 1988, S. 80f.
[20] Leisure Services Committee’s Report, 7. Juni 1988, City of Birmingham Council Minutes 1988–1989, Birmingham 1989, S. 75.
[21] Leisure Services Committee’s Report, 4. Juni 1989, City of Birmingham Council Minutes 1989–1990, Birmingham 1990, S. 902f.
[22] Leisure Services Committee’s Report, City of Birmingham Council Minutes 1993–1994, Birmingham 1994, S. 60f.
[23] Upton, A History of Birmingham, S. 127.
[24] Lister, The transformation of a City: Birmingham, S. 54.
[25] DiGaetano; Klemanski, Power and City Governance, S. 137–139.
[26] Ewen, Transnational Municipalism in a Europe of Second Cities, S. 103f.
[27] Déclaration finale de la Réunion de la Commission de Culture des Eurocities, Montpellier, 23. Juli 1991, Archives Municipales de Lyon (AML), 1555 WP 186.
[28] Document de Travail des Treffen der Kulturkommission der Eurocities, Montpellier, 7. Dezember 1990, AML 1481 WP 024; Midi-Libre, 9. Dezember 1990.
[29] Protokoll der Sitzung der Eurocities-Kulturkommission, Lissabon, 4./5. Juni 1992, AML, 1526 WP 027.
Literaturhinweise
Bianchini, Franco; Parkinson, Michael (Hgg.), Cultural Policy and Urban Regeneration, Manchester u.a. 1993.
Ewen, Shane, Transnational Municipalism in a Europe of Second Cities. Rebuilding Birmingham with Municipal Networks, in: Saunier, Pierre-Yves; Ewen, Shane (Hgg.), Another Global City. Historical Explorations into the Transnational Municipal Moment, 1850–2000, Basingstoke 2008, S. 101–117.
Höpel, Thomas, Die Herausbildung kommunaler Europapolitik – das Städtenetzwerk Eurocities, in: Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 100 (2013), H. 1, S. 23–42.
Lister, David, The Transformation of a City: Birmingham, in: Fisher, Mark Fisher; Owen, Ursula (Hgg.), Whose Cities?, Harmondsworth 1991, S. 53–61.
Loftmann, Patrick; Nevin, Brendan, Going for Growth: Prestige Projects in Three British Cities, in: Urban Studies 33 (1999), H. 6, S. 991–1019.