Quelle 1: Oper und Mythos: ein Beispiel Jener Chor „Va pensiero“ – „Zieh, Gedanke, auf goldenen Flügeln“ –, die Keimzelle der Nabucco-Komposition, wurde nach der Premiere zu einem wahren Volkslied der Italiener. Als im Jahre 1901 des toten Maestros Sarg durch die Straßen Mailands zum Begräbnis gefahren wurde, stimmte eine hunderttausendköpfige Menge die geliebte Weise an: „Va pensiero...“ Fast sechzig Jahre zuvor schon war der bis dahin fast namenlose junge Komponist zum musikalischen Abgott seines Volkes geworden. Die Italiener bezogen das Schicksal der Hebräer, die sich aus Unterjochung nach Freiheit sehnen, auf sich selbst. Auch sie fühlten sich in dem von fremden Dynastien beherrschten und vielfach gespaltenen Vaterland unterdrückt. Verdis feurige Melodien, biblischen Hebräern in den Mund gelegt, klangen den Italienern der Vierzigerjahre als tönende Symbole ihrer eigenen Sehnsucht nach Freiheit in den Ohren. [...]