Ein „totaler Krieg“? Die Verflechtungen zwischen NS-Regime und internationalen Medien im Zweiten Weltkrieg und die Kontinuitäten nach 1945

In medialer Hinsicht war der Zweite Weltkrieg nie ein „totaler Krieg“. Vielmehr beförderte und intensivierte der Krieg internationale Austauschprozesse und globale Verflechtungen. Folgerichtig gab es 1945 medienhistorisch auch keine „Stunde Null“. Personelle und institutionelle Strukturen aus der Kriegszeit waren mitunter bis zum Fall des Eisernen Vorhangs 1989/90 aktiv. Eine Schlüsselrolle im Netz dieser medialen Verflechtungen über die klassischen Epochengrenzen des 20. Jahrhunderts hinweg spielte Associated Press (AP), damals wie heute die größte Nachrichtenagentur der Welt. Politik, das zeigt auch die vorgestellte Quelle deutlich, war im Zweiten Weltkrieg stets Pressepolitik und oft auch Fotopolitik. Die Saturiertheit der amerikanischen und britischen Presse, sie erhielt durch den geheimen Deal zwischen AP und dem NS-Regime bis ins Frühjahr 1945 Zehntausende NS-Pressefotos, kann nun auch als weitere Erklärung des journalistischen Desinteresses der alliierten Medien am Holocaust herangezogen werden. Nicht zuletzt aufgrund dieser Erkenntnisse ist dem oftmals ungefilterten Weiterwirken der NS-Propaganda bis in unsere Gegenwart durch eine umfassendere historiographische Quellenkritik, insbesondere bei digitalen und visuellen Quellen, zu begegnen.

Ein „totaler Krieg“? Die Verflechtungen zwischen NS-Regime und internationalen Medien im Zweiten Weltkrieg und die Kontinuitäten nach 1945[1]

Von Norman Domeier

Das Weiterwirken der NS-Propaganda nach 1945

Viele Menschen glauben, dass der Zweite Weltkrieg ab einem bestimmten Zeitpunkt als „totaler Krieg“ geführt wurde, nur weil Propagandaminister Joseph Goebbels diesen in seiner Sportpalastrede vom 18. Februar 1943 ausrief und die Deutschen darauf einzuschwören versuchte. Goebbels betrieb, wie seine Tagebücher eindrücklich belegen, jeden Tag Autosuggestion. Mit seinen öffentlichen Reden erprobte er Massensuggestion, mal mehr, mal weniger erfolgreich.[2]

Ein regelrechter Wirkungsannahme-Zirkel war bei ihm über Jahre am Werk, in dem die Meinungen der Berliner Auslandskorrespondenten eine Schüsselrolle spielten. Zwei Tage nach seiner „Wollt ihr den totalen Krieg?“-Rede diktierte er für sein Tagebuch: „Das Echo im Lande selbst ist sehr stark. Die deutsche Presse hat die Rede in phantastischer Aufmachung und mit glänzenden Kommentaren herausgebracht, und ich höre aus allen Kreisen im Volke, daß sie großartig gewirkt hat. Ein Bericht der Reichspropagandaämter legt dar, daß sie den tiefsten propagandistischen Eindruck seit 1932 hervorgerufen habe. Man könne von einer wirklichen Kampfrede sprechen, wie sie seit den Tagen der Machtübernahme nicht mehr gehört worden sei. Das stellen zum größten Teil auch die ausländischen Journalisten dar. Wie ich aus vom Forschungsamt überhörten Telefongesprächen entnehme, ist dieser Eindruck bei den Journalisten, die der Sportpalastversammlung beigewohnt haben, durchaus echt. Sie unterhalten sich auch untereinander so, wie sie es in ihren Kommentaren zum Ausdruck bringen.“[3] Goebbels blendete jedoch bewußt oder unbewusst aus, dass den Auslandskorrespondenten vollkommen klar war, dass ihre Telefone abgehört wurden und ihr dortiges Reden kaum ihre wahre Meinung zum Ausdruck brachte. „Wishful thinking“ dieser Art bildet den roten Faden der Goebbels-Tagebücher, eine reichhaltige historische Quelle, die jedoch mit größter Vorsicht zu genießen ist.

Die Ausrufung des „totalen Krieges“ gehört zu derjenigen NS-Propaganda, die nach 1945 für erfolgreicher gehalten wurde als zuvor.[4] Im Medienbereich legt ein „totaler Krieg“ nahe, dass man die Kommunikation mit dem Feind vollständig einstellt, denn man ist per Definition auf dessen totale Vernichtung aus. Die Realität des Zweiten Weltkrieges als Medienkrieg sah jedoch ganz anders aus. Es gab vielfältige Kooperationen und Abhängigkeiten jenseits der Frontlinien, ja, der Krieg beförderte und intensivierte noch viele inter- und transnationale Austauschprozesse und globale Verflechtungen im Vergleich zu den 1920er- und 1930er-Jahren.[5]

Medial gab es 1945 keine Stunde null, vor allem personelle Strukturen, von denen wir erst eine Ahnung haben, hielten sich Jahrzehnte, mitunter bis zum Fall des Eisernen Vorhangs 1989/90, bis die Akteure in den Ruhestand gingen oder starben. Eine Schlüsselrolle im Netz dieser medialen Verflechtungen über die klassischen Epochengrenzen des 20. Jahrhunderts hinweg spielte Associated Press, damals wie heute die größte Nachrichtenagentur der Welt. An ihr können Kooperationen vor 1945 und Kontinuitäten nach 1945 besonders markant herausgearbeitet werden.

Der geheime Deal zwischen Associated Press (AP) und NS-Regime 1942-1945

„Democracy Dies in Darkness“ ist seit 2017 der werbewirksame Slogan der Washington Post. Kaum jemand in der westlichen Welt bezweifelt, dass freie, von der Politik unabhängige Medien eine Säule der modernen Demokratie darstellen. Was aber, wenn wichtige Medien geheime Deals mit der eigenen Regierung oder gar mit fremden diktatorialen Regimen eingehen? Was ungeheuerlich klingt, hat sich ebenfalls 2017 als historische und vermutlich auch gegenwärtig noch praktizierte Tatsache herausgestellt: Associated Press kooperierte von 1942 bis 1945 im Geheimen mit dem nationalsozialistischen Regime. Jeden Tag tauschte der New Yorker Medienkonzern über die neutralen Hauptstädte Lissabon und Stockholm Pressefotos mit dem Büro Laux aus, einer geheimen Einheit von SS und Auswärtigem Amt.[6] Dadurch fluktuierten bis in den April 1945 schätzungsweise 40.000 Nachrichtenfotos im transatlantischen und globalen Raum. Über Jahrzehnte war keinem Forscher aufgefallen, dass die amerikanische, britische und überhaupt die internationale Presse während des Krieges voll mit den schönsten und aktuellsten NS-Propagandafotos war, während umgekehrt die NS-Presse, auch in den besetzten Gebieten Europas, tausende AP-Fotos veröffentlichte, natürlich mit nationalsozialistischen Deutungen versehen.

Dieser nicht nur nach heutigen, sondern auch nach damaligen Standards journalistischer Ethik in höchstem Maße fragwürdige Deal hielt bis in die letzten Tage des „Dritten Reichs“ im Frühjahr 1945 und verschaffte AP, die Hunderte von Zeitungen in den USA und weltweit versorgte, einen gewaltigen Wettbewerbsvorteil und einen gleichsam monopolartigen Zugang zur nationalsozialistischen Fotoproduktion aus dem Deutschen Reich, den besetzten Gebieten und von den Kriegsfronten. Dass der Medienkonzern die Genehmigung des Weißen Hauses erlangte – der vorherige AP-Manager Byron Price war von Präsident Roosevelt zum Direktor des Office of Censorship ernannt worden – macht die Sache aus heutiger Perspektive noch bedenklicher. Denn die alliierte Presse, darunter auch die Washington Post und die New York Times, wurde dadurch angefüllt mit Nazi-Fotos, während im Gegenzug die NS-Presse Tausende AP-Fotos für antiamerikanische und antisemitische Propaganda nutzen konnte.

In visueller Hinsicht gab es nie einen „totalen Krieg“, ja, nicht einmal getrennte Kriegsöffentlichkeiten. Stattdessen steht fest, dass NS-Deutschland bis in die letzten Tage hinein als ein mitunter verdeckt operierender, aber hochgradig aktiver Player auf dem globalen Medienmarkt tätig war und die Weltöffentlichkeit bis zum Untergang beeinflussen konnte.

Mit dem geheimen Deal ist überdies der einzige -täglich aktive- Kommunikationskanal zwischen den Gegnern des Zweiten Weltkrieges sichtbar geworden. Klar ist inzwischen, dass auch Großbritannien, Italien und Japan eingebunden waren und auch news reels (Wochenschauen) ausgetauscht wurden. Ob auf diesem Weg auch Verhandlungen geführt wurden, die nach 1945 kompromittierend gewesen wären, gilt es noch zu klären.

Der geheime Deal mit AP kann zudem das frappierende Desinteresse der amerikanischen Öffentlichkeit an dem, was wir heute den Holocaust nennen, besser verständlich machen. Die bisherigen Erklärungsansätze für die Ignoranz am Mord an den europäischen Juden[7] können jetzt um eine wichtige Tatsache ergänzt und plausibler gemacht werden: Durch die klandestine Kooperation war zwischen 1942 und 1945 ein Überschuss an Nachrichten und Nachrichtenfotos vom Kriegsgegner verfügbar. Man wusste sich in New York und London im Besitz exklusiven Materials, dessen Herkunft jeden Tag verschleiert werden musste. Eine Recherche derjenigen Personen und Institutionen, die von diesem täglichen Nachrichtendeal mit dem Feind profitierten, zu einem Thema, das als eines der wenigen von den Nationalsozialisten tabuisiert wurde und das in den westlichen Öffentlichkeiten im Ruch der Greuelpropaganda des Ersten Weltkrieges stand, war weder opportun (es hatte den geschmeidig funktionierenden Deal nicht gefährdet) noch erstrebenswert, denn es kamen über den geheimen Kommunikationskanal mit dem Feind ständig mehr als genug spannende Stories und Fotos herein. Diese Saturiertheit der amerikanischen und britischen Presse kann nun als Erklärung des journalistischen Desinteresses am Holocaust herangezogen werden.

Das Hitler-Mussolini-Foto vom 20. Juli 1944 als Beispiel der politischen und militärischen Wirkungsmacht von Pressefotos im transnationalen Raum

Dass es bei den zwischen 1942 und 1945 im Geheimen ausgetauschten Pressefotos keineswegs nur um die Illustration von Fakten ging, sondern dass Pressefotos Fakten schufen, demonstriert das Quellen-Beispiel. Mit dem geheimen Fotoaustausch wurde internationale Machtpolitik betrieben, wie das Foto von Hitler und Mussolini kurz nach dem fehlgeschlagenen Attentat vom 20. Juli 1944 belegt. Es wurde, wie wir heute wissen, von Gerd Baatz aufgenommen, dem zweiten Mann im Büro Laux. Das Foto ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert, auch weil es eines von vielen NS-Pressefotos war, die schneller in der amerikanischen als in der deutschen Presse veröffentlicht wurden.[8]

Politisches und militärisches Hauptziel dieses Fotos war es, den alliierten Öffentlichkeiten die Botschaft zu vermitteln: „Der Führer ist am Leben! Jede militärische Unterstützung der Aufständischen um Stauffenberg und Goerdeler ist zum Scheitern verurteilt.“ Dieses Ziel wurde erreicht. Denn bereits am 23. Juli 1944 konnten sich die amerikanischen Zeitungsleser beim Frühstück ein Bild davon machen, dass Hitler wohlauf war. Jeder potentiellen alliierten Unterstützung[9] für den Staatsstreich der Attentäter um Stauffenberg wurde auch dank dieser rasant schnellen Bildberichterstattung, die nur durch die eingespielte AP-Verbindung möglich war, die Spitze abgebrochen.

Die Reichshauptstadt Berlin erreichten die ersten Nachrichtenfotos vom missglückten Attentat erst im Laufe des 23. Juli 1944.[10] Die Auslandskorrespondenten in Berlin erfuhren zwar früher von dem Attentat, nämlich aus den neutralen news hubs Stockholm, Lissabon und Genf, durften aber dank der seit Herbst 1942 bestehenden Vorzensur nicht berichten oder sich nur auf Meldungen des Deutschen Nachrichtenbüros (DNB) stützen. Ihre Heimatredaktionen waren längst im Bild, nicht zuletzt dank der globalen AP-Berichterstattung. Jacob Kronika, der Korrespondent des Svenska Dagbladet, wusste als erster im Auslandspresseclub des Auswärtigen Amtes vom Attentat auf Hitler – aus Stockholm. Vom DNB wurde das Ereignis erst deutlich später bestätigt.[11] Der Informationsfluss hatte sich sogar schon umgekehrt. Die neutralen Hauptstädte informierten ihre Berliner Korrespondenten über Vorgänge im „Dritten Reich“, die wiederum NS-Stellen in Kenntnis setzen: Der Auslandspressesprecher des Oberkommandos der Wehrmacht, Major Martin Sommerfeldt, eilte am Abend des 20. Juli 1944 in den Auslandspresseclub des Propagandaministeriums, um von den Auslandskorrespondenten nähere Informationen über das Attentat zu erhalten.[12]

Nachrichtenfotos entfalteten regelmäßig politische und mitunter auch militärische Wirkungen: Sie waren fester Bestandteil der Politik im Zweiten Weltkrieg, wie Goebbels es im August 1943 auf den Punkt brachte: „Ein Riesentheater machen die englisch-amerikanischen Blätter von angeblichen geheimnisvollen Besprechungen im Führerhauptquartier. Diese Gerüchte sind auf die Veröffentlichung einiger Photos zurückzuführen, die wir gebracht haben, um Göring wieder einmal der Öffentlichkeit zu zeigen. Damit das nicht allzu auffällig wirkte, haben wir auch andere führende Persönlichkeiten im Hauptquartier mitveröffentlicht. Daraus schließt man nun in London und Washington, daß beim Führer besonders weitreichende Gespräche stattfinden.“[13]

Im Zweiten Weltkrieg ging die deutsche Propaganda sogar dazu über – ohne Zweifel auf Veranlassung Hitlers, ganz gemäß seiner 1932 gegenüber der amerikanischen Journalistin Dorothy Thompson dargelegten Überzeugung von der Macht des Fotos[14] –, wichtige politische und militärische Entscheidungen durch Nachrichtenfotos zu verkünden, nicht mehr durch umständliche und eventuell mehrdeutige schriftliche Kommuniqués. So wurde die Ernennung Feldmarschall Fedor von Bocks zum Befehlshaber der russischen Südfront mit einem Foto bekanntgegeben, auf dem er mit Hitler über einen verschneiten Weg im Führerhauptquartier geht. Auf dieselbe Weise wurde die Ersetzung General Franz Halders als Generalstabschef durch General Kurt Zeitzler verkündet: „The text underneath a picture, which among other things showed the unknown general and a table covered with maps, said that this fat officer was the chief of the German general staff – as if the well-informed German public had long known that the strategy-professor Halder was no good!“, wie der von der Nationalsozialisten kurz zuvor aus Berlin ausgewiesene schwedische Korrespondent Gunnar Pihl ironisch kommentierte. Auch Generalfeldmarschall von Rundstedts Einsetzung in Frankreich im März 1942 wurde mit einem Foto in der Pariser Zeitung bekanntgegeben.[15]

Dies verdeutlicht aber auch, dass Pressefotos oder Wochenschauen, sobald die feindliche Seite sie in der Hand hatte, zu einer politischen und propagandistischen Spielmasse wurden, die von den ursprünglichen Wirkungsabsichten weit entfernt liegen konnte. Wie Life am 3. Februar 1941 berichtete, war ein Transport von NS-Wochenschauen, die für Südamerika bestimmt waren, von den Briten bei der Kontrolle auf Bermuda beschlagnahmt worden. Die Kriegsbeute wurde für die Dokumentation „March of Time“[16] von der kanadischen Regierung erworben und war auf diese Weise mit britisch-kanadischer Kommentierung, statt der originalen Kommentierung aus Berlin, in allen nordamerikanischen Kinos zu sehen.[17]

Für AP als global agierender Medienkonzern war der geheime Deal mit dem NS-Regime auf dem Feld der Pressefotos im wahrsten Sinne des Wortes Gold wert. Dass etwa die heiß begehrten Bilder der NS-Führungselite ab Anfang 1942 durch den geheimen Warentausch frei Haus geliefert wurden, machte bei AP erst die Ressourcen für die duale Medienstrategie des AP-Chefs Kent Cooper frei, über die einfachen Soldaten und die Mächtigen zu berichten. Wie wichtig gerade Fotos der faschistischen Führer für AP waren, belegt der Versuch Coopers noch im September 1941, Hitler und Mussolini davon zu überzeugen, sich nicht nur von ihren Leibfotografen, sondern auch von AP-Leuten ablichten zu lassen.[18] Tatsächlich erfüllte sich dieser Wunsch wenige Monate später infolge des Kriegseintritts der USA und des geheimen Deals mit dem NS-Regime. Denn nun durfte nicht nur Heinrich Hoffmann als „Monopolverkäufer“, wie immer noch in der Literatur kolportiert,[19] sondern auch das Büro Laux als verdeckte Filiale von AP im Feindesland[20] den „Führer“ ablichten und ihn so dem amerikanischen und internationalen Publikum auch in Kriegszeiten im rechten Licht zeigen. Zahlreiche solcher Hitler-Fotos von Helmut Laux und Gerd Baatz finden sich etwa in der Luxuszeitschrift der Achse, „Berlin – Rom – Tokio“.[21] Viele von ihnen wurden über den AP-Austausch in Tausenden amerikanischen Blättern gedruckt, darunter auch das Hitler-Mussolini-Foto vom 20. Juli 1944, das von Gerd Baatz stammte.[22]

Die Kontinuität der Verflechtungen im internationalen Medienbereich nach 1945

Gerd Baatz ist journalismushistorisch ein besonders aufschlussreicher Fall, denn er setzte seine internationale Fotografenkarriere, begonnen im Büro Laux und als Angehöriger der Waffen-SS, nach 1945 nahtlos – ohne jede Stunde null – bei AP, Life und Look fort und krönte sie in den 1970er-Jahren beim stern in Hamburg.[23] Dort verantwortete er große transatlantische Geschichten wie zu Präsident Kennedys letzter Geliebter, der Deutschen Ellen Rometsch.[24] In der Black Star Collection des Ryerson Image Centre in Toronto finden sich zahlreiche Fotos von Helmut Laux und Gerd Baatz; von Baatz bis in die 1960er-Jahre. Die Rolle der 1935 von drei emigrierten deutschen Juden gegründeten New Yorker Fotoagentur Black Star im transatlantischen Handel mit Pressefotos vor und nach dem Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 gilt es noch zu klären.[25] Auch nach dem Abschied vom stern blieb Baatz im Medienbereich aktiv und arbeitete für stern-tv und das ZDF etwa an Dokumentationen über den Nürnberger Prozess.[26] Albert Speer kontaktierte er mit der Idee, zu dessen „Spandauer Tagebüchern“ einen Dokumentarfilm zu erstellen. Für dieses Projekt warb er damit, dass stern-tv neben umfangreichem Material an NS-Wochenschauen auch „eine ganze Reihe von ,privaten‘ Filmaufnahmen vom Berghof und mit und um Hitler zur Verfügung“ stehe.[27] Baatz und Speer kannten sich offenkundig aus der NS-Zeit. Denn auch Speer war an der Fotopolitik Hitlers im Zweiten Weltkrieg unmittelbar beteiligt. Ein Hinweis ist die folgende in einer Konferenz mit Speer gegebene Anweisung Hitlers: „Der Führer ist damit einverstanden, daß in der Berliner Illustrierten die Seite über ausländische Raketenentwicklung gebracht wird. Als Motto sollte etwa gelten: ,So haben sich die Gegner die Vergeltung gedacht‘.“« Auch über einen neuen amerikanischen Panzertyp sollte auf diese Weise in der deutschen Presse berichtet werden – mit Fotomaterial.[28] Politik, das zeigt diese Quelle noch einmal deutlich, war im Zweiten Weltkrieg stets Pressepolitik und oft auch Fotopolitik.

Helmut Laux’ Wirken nach 1945 liegt noch weitgehend im Dunkeln. Immerhin verbrachte er geraume Zeit in Kriegsgefangenenlagern, scheint aber nicht mit einem Berufsverbot als Fotograf belegt worden zu sein. Seine Entnazifizierung erhielt er sogar schneller als manch andere Mitarbeiter seines Büros.[29] Seine guten Auslandskontakte konnte auch Laux schnell reaktivieren. In der Life vom 14. Juni 1948 durfte er Hochglanz-Fotos diverser Nazi-Größen vom D-Day 1944 beisteuern und firmierte im Text harmlos als „Photographer Helmut Laux of the Berliner Illustrierte“. Dass er die Bilder im Führerhauptquartier als Leibfotograf von NS-Außenminister Ribbentrop, SS-Obersturmführer und Leiter eines geheimen Büros des Auswärtigen Amtes gemacht hatte, weil sich an diesem historischen Tag der ungarische Premierminister Döme Sztójay angesagt hatte, erfuhren die Leser nicht.[30]

Das deutsche AP-Büro wurde im Zweiten Weltkrieg als Büro Laux getarnt weiterbetrieben. Die amerikanische Presse blieb dadurch beim Kriegsgegner präsent, gleichsam embedded. Ein Großteil der deutschen AP-Mitarbeiter trat 1942 der Waffen-SS bei. Dies spielte nach dem Sieg über das „Dritte Reich“ keine oder nur eine kurzzeitige Rolle: Führungskräfte wie Rudi Josten und Willy Erwin Brandt sorgten nach 1945 dafür, dass das westdeutsche AP-Büro zu einem der weltweit lukrativsten Tochterunternehmen von AP aufstieg. Die Grundlagen für diese journalistische und ökonomische Erfolgsgeschichte des Kalten Krieges, das ist der entscheidende Punkt, wurden bereits vor und während des Zweiten Weltkrieges gelegt.[31] Eine Stunde null gab es für AP als größte Nachrichtenagentur der Welt nie, weder beim Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 noch beim Ende des „Dritten Reiches“ 1945. Der globale Aufstieg von AP beruhte auf den atemberaubendsten Kontinuitäten in der Journalismusgeschichte des 20. Jahrhunderts. Daher wird es Zeit, dass die größte Nachrichtenagentur der Welt ihre Vergangenheit lückenlos und unabhängig aufarbeiten lässt, anstatt weiterhin mit geschichtsklitternden Hagiographien Geld zu verdienen, die nur gefällige Episoden aus dem Zweiten Weltkrieg beleuchten.[32]

Viele weitere Verflechtungen des NS-Regimes mit den internationalen Medien harren noch der historischen Erforschung. Dabei sind die personellen und strukturellen Kontinuitäten nach 1945, die mitunter bis in die 1980er- und 1990er-Jahre reichen, ebenso in den Blick zu nehmen wie das Weiterwirken der NS-Propaganda bis in unsere Gegenwart. Denn einen „totalen Krieg“ gab es, zumindest im Medienbereich, nie.



[1] Essay zur Quelle: Fotografie von Gerd Baatz veröffentlicht in zwei Zeitungen, Hitler und Mussolini (Juli 1944); [Fotografie], in: Themenportal Europäische Geschichte, 2022, URL:<https://www.europa.clio-online.de/quelle/id/q63-77607>.

[2] Vgl. Günter Moltmann, Goebbels’ Rede zum totalen Krieg am 18. Februar 1943, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 12/1 (1964), S. 13–43; Iring Fetscher, Joseph Goebbels im Berliner Sportpalast 1943: „Wollt ihr den totalen Krieg?“, Hamburg 1998.

[3] Goebbels-Tagebücher, 20. Februar 1943 (Band 7: Januar–März 1943), S. 375–382.

[4] Peter Longerich, NS-Propaganda in Vergangenheit und Gegenwart. Bedeutung der nationalsozialistischen Tagespresse für Zeitgenossen und Nachgeborene, in: Christian Kuchler (Hrsg.), NS-Propaganda im 21. Jahrhundert. Zwischen Verbot und öffentlicher Auseinandersetzung, Köln 2014, S. 15–25, hier: S. 15; erste Überlegungen bereits bei Robert Edwin Herzstein, The War That Hitler Won. The Most Infamous Propaganda Campaign in History, New York 1978.

[5] Willi Boelcke, Die Macht des Radios. Weltpolitik und Auslandsrundfunk, 1924–1976, Frankfurt am Main 1977.

[6] Norman Domeier, Geheime Fotos. Die Kollaboration von Associated Press und NS-Regime 1942–1945, in: Zeithistorische Forschungen / Studies in Contemporary History 2 (2017), S. 199–230, online URL: <http://www.zeithistorische-forschungen.de/2-2017/id=5484>; Der aktuelle Forschungsstand bei Norman Domeier, Weltöffentlichkeit und Diktatur. Die amerikanischen Auslandskorrespondenten im „Dritten Reich“, Göttingen 2021, Kapitel 5.

[7] Deborah E. Lipstadt, Beyond Belief. The American Press and the Coming of the Holocaust 1933–1945, New York 1993; Laurel Leff, Buried by the Times. The Holocaust and America’s Most Important Newspaper, Cambridge 2005; Robert M. Shapiro (Hrsg.), Why didn’t the press shout? American and International Journalism during the Holocaust, Hoboken 2002.

[8] Bereits während des deutschen Einmarsches in Prag im März 1939 und während des Überfalls auf Polen im Herbst 1939 ermöglichte die Zusammenarbeit von AP und NS-Propaganda den schnellstmöglichen Abdruck deutscher Pressefotos in den US-Medien. Die technische Grundlage bildete ein Transmitter für „Radiofotos“ in Berlin, siehe Domeier, Weltöffentlichkeit und Diktatur, Kapitel 6.2.; vgl. auch ders., Der US-Journalist, der heimlich mit den Nazis paktierte, in: Spiegel Online, 12. März 2021: URL: <https://www.spiegel.de/geschichte/heimlicher-pakt-zwischen-nazis-und-ap-das-geht-durch-die-weltpresse-a-ef6c4c8e-bf6c-49a7-878a-9d087416fd2b>.

[9] Offenbar gab es zumindest Überlegungen zu einer militärischen Unterstützung der Verschwörer seitens der Alliierten: Louis P. Lochner, Communications and the Mass-Produced Mind, in: Wisconsin Magazine of History 41/4 (Sommer 1958), S. 244–251, hier S. 251.

[10] Theo Findahl, Letzter Akt – Berlin. 1939–945, Hamburg 1946, S. 126 f.

[11] Ebd., S. 114 f.

[12] Martin Sommerfeldt, Das Oberkommando der Wehrmacht gibt bekannt. Ein Augenzeugenbericht des Auslandssprechers des OKW, Frankfurt 1952, S. 167.

[13] Goebbels-Tagebücher, 11. August 1943 (Band 9: Juli-September 1943), S. 270–273.

[14] Dass Hitler ein „Augenmensch“ war, ist vielfach überliefert. Selbst in dem skandalumwitterten Interview mit Dorothy Thompson 1932 äußerte er sich zur Macht des Fotos: “Many would rather look at the presentation of a case in pictures, than to read a long text. The picture clarifies everything immediately and often does all that long and boresome reading can accomplish”, Adolf Hitler zit. in Dorothy Thompson, I Saw Hitler, New York 1932, S. VII.

[15] Neben Fotos wurden auch die Wochenschauen für politische Verkündigungen genutzt: Gunnar Thorstensson Pihl, Germany. The Last Phase, New York 1944, S. 31 f., S. 52 f.

[16] Zu „March of Time” allgemein Raymond Fielding, The March of Time. 1935–1951, New York 1978.

[17] Life, 3. Februar 1941, Shirer Papers, Box 6.

[18] Cooper an Stratton/Miller, 2. September 1941, abgedruckt im Dokumententeil des AP-Reports: URL: <www.ap.org/about/history/ap-in-germany-1933-1945/ap-in-germany-documents.pdf> [8.4.2022], im Folgenden: AP Dokumente, hier S. 56 f.

[19] Die pauschale Angabe, Heinrich Hoffmann habe ein Monopol auf Hitler-Fotos besessen, lässt sich ab spätestens 1942 nicht mehr halten, vgl. Christoph Raichle, Hitler als Symbolpolitiker, Stuttgart 2014, S. 301. Hoffmann war stark an den Verkäufen seiner Fotos in die USA interessiert. Als der Leiter der deutschen AP-Fotoagentur um 1935 der Arisierung zum Opfer fiel, kontaktierte ihn Hoffmann mit dem Angebot, sein Repräsentant in den USA zu werden. Auf die Frage, ob es ihm egal sei, dass er Jude ist, antworte Hoffmann: „Nobody cares what I do in America, and I want to make money“: Lochner, What About Germany, S. 72. Gemeint gewesen sein könnte Willi Jacobson, der von Lochner im Wiener AP-Büro untergebracht wurde. Er wurde beim „Anschluss“ verhaftet und einige Monate eingesperrt, vgl. Oliver Gramling, AP. The Story of News, New York 1940, S. 462.

[20] Die Kontinuität war nicht nur nach dem Kriegseintritt der USA im Dezember 1941, sondern auch nach dem 8. Mai 1945 nahtlos. Nach Lochners Eintreffen in Berlin im Juni 1945 arbeitete Helene Scharrer, die „getreue Sekretärin unseres Berliner AP-Büros“, sofort wieder für ihn: Louis Lochner, Stets das Unerwartete. Erinnerungen aus Deutschland 1921–1953, Darmstadt 1955, S. 348.

[21] Dazu jetzt Daniel Hedinger, Die Achse. Berlin, Rom, Tokio 1919–1946, München 2021. Zum globalen Ausgreifen des Nationalsozialismus David Motadel, Für Prophet und Führer. Die islamische Welt und das Dritte Reich, Stuttgart 2017; Stefan Ihrig, Atatürk in the Nazi Imagination, Oxford 2014; Brendan Simms, Hitler. Only the World Was Enough, London 2019.

[22] Hitler wurde der amerikanischen Öffentlichkeit bereits 1931 auf Fotos von Associated Press als „deutscher Mussolini“ vertraut gemacht, New York Evening Post, 21. Oktober 1931, S. 3. Die Artikel waren Teil einer Serie von Ruth Seinfel.

[23] Zu Baatz Der Journalist 1 (1962), S. 22; Der Journalist 3 (1984), S. 65.

[24] Dass der stern keine neue Erfindung Henri Nannens nach 1945 war, sondern der Relaunch einer gleichnamigen NS-Zeitschrift einschließlich Konzept und Team, ist rekonstruiert in Tim Tolsdorff, Von der Stern-Schnuppe zum Fix-Stern. Zwei deutsche Illustrierte und ihre gemeinsame Geschichte vor und nach 1945, Köln 2014.

[25] Zur Fotoagentur Black Star Hendrik Neubauer, Black Star. 60 Years of Photojournalism, Köln 1997; Michael Torosian, Black Star. The Ryerson University Historical Print Collection of the Black Star Publishing Company. Portfolio Selection and Chronicle of a New York Photo Agency, Toronto 2013; David Oels / Ute Schneider, „Der ganze Verlag ist einfach eine Bonbonnerie”. Ullstein in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Berlin 2015, S. 395.

[26] Erstausstrahlung am 23. November 1975 um 21:15 Uhr im ZDF.

[27] Gerhard F. Baatz an Albert Speer, 17. November 1975, BAK N 1340 (NL Albert Speer, Bundesarchiv Koblenz).

[28] Willi Boelcke, Deutschlands Rüstung im Zweiten Weltkrieg. Hitlers Konferenzen mit Albert Speer 1942–1945, Frankfurt 1969 (Nr. 13, 19.–22. Juni 1944; Nr. 42, 6. März 1943).

[29] Domeier, Weltöffentlichkeit und Diktatur, S. 470.

[30] „Speaking of Pictures. These Show How D-Day Disrupted Hitler’s HQ Four Years Ago”, Life, 14. Juni 1948, S. 12–14. Die Berliner Illustrierte war in den Jahren 1942–1945 voller antiamerikanisch und antisemitisch gewendeter Fotos, die aus dem AP/Büro Laux-Fotoaustausch stammten.

[31] „Rudi Josten, Former Head of AP’s German-Language Service, Dies”, Editor & Publisher, 4. Januar 2007; zu Brandt Domeier, Weltöffentlichkeit und Diktatur, S. 465.

[32] Im November 2020 erschien wieder ein hausgemachtes AP-Geschichtsbuch, in dem die eigene Rolle im Zweiten Weltkrieg entgegen allen historischen Erkenntnissen seit 2017 verherrlicht wird: Alan Axelrod, Victory. World War II in Real Time, New York 2020.



Literaturhinweise:

  • Norman Domeier, Weltöffentlichkeit und Diktatur. Die amerikanischen Auslandskorrespondenten im „Dritten Reich“, Göttingen 2021.
  • Norman Domeier, Geheime Fotos. Die Kollaboration von Associated Press und NS-Regime 1942–1945, in: Zeithistorische Forschungen / Studies in Contemporary History 2 (2017), S. 199–230, online URL: <http://www.zeithistorische-forschungen.de/2-2017/id=5484>;
  • Christian Kuchler (Hrsg.), NS-Propaganda im 21. Jahrhundert. Zwischen Verbot und öffentlicher Auseinandersetzung, Köln 2014.
  • Markus Stumpf/Hans Petschar/Oliver Rathkolb (Hg.), Nationalsozialismus digital. Die Verantwortung von Bibliotheken, Archiven und Museen sowie Forschungseinrichtungen und Medien im Umgang mit der NS-Zeit im Netz, Göttingen 2021.

Fotografie von Gerd Baatz veröffentlicht in zwei Zeitungen, Hitler und Mussolini (Juli 1944); [Fotografie][1]

Fotografie veröffentlicht in der internationalen Presse:[2]

Das Foto von Hitler und Mussolini nach dem fehlgeschlagenen Anschlag vom 20. Juli 1944, von dem erst durch den Fund zur geheimen Zusammenarbeit von Associated Press (AP) und NS-Regime 2017 bekanntgeworden ist, dass es ein Foto des „Büro Laux“ war. Der Fotograf Gerd Baatz setzte seine Karriere trotz Waffen-SS-Mitgliedschaft nach 1945 nahtlos und transatlantisch bei AP, Life und Look fort und ging in den 1970er Jahren als Redakteur des stern in den Ruhestand. Mit seinem Foto gelang dem NS-Regime durch den eingespielten Austausch mit AP (hier via Stockholm) innerhalb kürzester Zeit der Abdruck in der amerikanischen Presse als „AP radiophoto“. Jeder potentiellen Unterstützung des Umsturzversuches vom 20. Juli 1944 wurde dadurch auch medial der Boden entzogen.

Fotografie veröffentlicht in der nationalsozialistischen Presse:[3]

In der nationalsozialistischen Presse erschien das Foto erst, nachdem es seine Wirkung in der Weltöffentlichkeit erzielt hatte: „Im Schutze der Vorsehung. Nach dem missglückten verbrecherischen Anschlag begrüßt der Führer den Duce. Hauptquartier, 20.7.1944. Aufnahme: Gerd Baatz (Laux).“


[1] Quelle zum Essay: Norman Domeier, Ein „totaler Krieg“? Die Verflechtungen zwischen NS-Regime und internationalen Medien im Zweiten Weltkrieg und die Kontinuitäten nach 1945, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2022, URL: <https://www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-112440>.

[2] New York Herald Tribune, 23. Juli 1944 (Morgenausgabe), S. 3; Zum geheimen Deal zwischen AP und NS-Regime: Norman Domeier, Weltöffentlichkeit und Diktatur. Die amerikanischen Auslandskorrespondenten im »Dritten Reich«, Göttingen 2021, Kap. 5.

[3] Berlin-Rom-Tokio, 6. Jahrgang, Heft 4 (Juli 1944), S. 1.


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Norman Domeier

( 2022 )
Zitation
Norman Domeier, Ein „totaler Krieg“? Die Verflechtungen zwischen NS-Regime und internationalen Medien im Zweiten Weltkrieg und die Kontinuitäten nach 1945, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2022, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-112440>.
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