Begrüßungsansprache auf dem Zweiten Internationalen Heimatschutzkongress (12. Juni 1912)

Meine Damen und Herren! Ich übernehme diese mir zuteil gewordene Ehrung als eine Ehrung des Württembergischen Bundes für Heimatschutz und als eine Ehrung des Landes, in welchem dieser Kongreß tagt und das sich außerordentlich freut, daß ihm die Auszeichnung zuteil geworden ist, den Zweiten Internationalen Kongreß für Heimatschutz in Stuttgart empfangen zu dürfen. […]

Fuchs, Carl Johannes: Begrüßungsansprache auf dem Zweiten Internationalen Heimatschutzkongress (12. Juni 1912)[1]

[Formal aktualisierte Version 2021]

Meine Damen und Herren! Ich übernehme diese mir zuteil gewordene Ehrung als eine Ehrung des Württembergischen Bundes für Heimatschutz und als eine Ehrung des Landes, in welchem dieser Kongreß tagt und das sich außerordentlich freut, daß ihm die Auszeichnung zuteil geworden ist, den Zweiten Internationalen Kongreß für Heimatschutz in Stuttgart empfangen zu dürfen. […]

Internationale Kongresse für Heimatschutz – sind sie nicht ein Widerspruch im Worte selbst? Kann man etwas so Nationales wie den Heimatschutz überhaupt international betreiben? Nun gewiß, die Mittel und Wege dafür sind in den verschiedenen Ländern wohl in den meisten Fällen verschieden. Aber das dem ganzen Heimatschutz zugrunde liegende große Problem ist doch in allen modernen Kulturstaaten dasselbe. Es ist der Kampf gegen den rücksichtslos das Gewordene und seine Schönheiten zerstörende Kapitalismus, der in letzter Linie bei allen Fragen des Heimatschutzes zugrunde liegt. Diese Entwicklung aber ist in allen modernen Industriestaaten heute nur dem Grade nach verschieden, im wesentlichen aber überall gleich. Überall handelt es sich darum: soll die Freiheit des Eigentums, wie sie vor allem durch das römische Recht begründet worden ist, eine schrankenlose auch insoweit sein, daß der Eigentümer einer Sache rücksichtslos alte Kultur- und Schönheitswerte zerstören darf, welche von großer Bedeutung für die Gesamtheit oder für eine kleinere oder größere Gruppe von anderen Menschen sind? Gewiß, es besteht nicht immer und in allen Dingen ein Gegensatz zwischen Heimatschutz und Wirtschaft, vor allem nicht zwischen Heimatschutz und Volkswirtschaft. Wenn wir das volkswirtschaftliche Interesse streng vom privatwirtschaftlichen unterscheiden, wo beide einander widersprechen, so wird es sich in vielen Fällen mit den Forderungen des Heimatschutzes decken.

Wie eine entwickelte Volkswirtschaft den im privatwirtschaftlichen Interesse einzelner gelegenen Raubbau auch in technischer Beziehung nicht dulden kann, weil sie nicht nur den Gewinn des Tages, sondern auch den Bedarf der Zukunft im Auge haben muß, so auch hier auf dem ästhetischen Gebiete des Heimatschutzes.

Aber schon um diese volkswirtschaftlichen Interessen, wo sie im Gegensatz zu privatwirtschaftlichen stehen, diesen gegenüber voll zur Anerkennung zu bringen, sind noch erhebliche Änderungen und Fortbildungen auf dem Gebiete des Privatrechts und des öffentlichen Rechts erforderlich. Und dann gibt es doch noch unbestreitbar große Interessen, wo Heimatschutz und Volkswirtschaft sich diametral entgegenstehen. Das Hauptgebiet, für welches dies gilt, ist die heute so aktuell gewordene Frage der Ausnützung der Wasserkräfte, die ja auch auf dem Programm des Kongresses steht. Größere Dienstbarmachung der Naturkräfte, Schaffung neuer blühender Industrien, das ist zweifellos ein Interesse der Volkswirtschaft. Und doch hat die Volkswirtschaft gerade, wenn wir ihre Aufgaben und ihre Zwecke richtig verstehen, auch hier nicht allein mitzusprechen und jedenfalls nicht das letzte Wort. Die Lösung dieser Frage gerade gehört wohl zu den allerschwierigsten auf dem Gebiete des Heimatschutzes, und gerade sie ist in den modernen Industriestaaten eigentlich überall die gleiche, so daß wir hier unstreitig viel voneinander lernen können.

Austausch der auf den verschiedenen Gebieten getroffenen gesetzgeberischen und anderen Maßregeln und der damit erzielten Erfolge und Erfahrungen kann daher bei aller nationalen Verschiedenheit im einzelnen doch allen Ländern nur nützlich sein. „Vereint marschieren, getrennt schlagen,“ heißt es hier in Umkehrung eines bekannten Wortes. Und wenn durch die Heimatschutzbewegung unzweifelhaft die nationale Differenzierung und Absonderung der Völker verstärkt wird, so wird dies ihren Beziehungen untereinander doch keineswegs schaden. Denn nur wer die eigene Heimat und Art liebt und schätzt – nicht in rohem, überhebendem Chauvinismus, sondern in verfeinerter Reflexion und Erkenntnis ihrer kulturellen Bedeutung –, wird auch Heimat und Eigenart anderer achten. Und so können auch die internationalen Heimatschutz-Kongresse ein wichtiges Mittel sein zu kultureller Annäherung der Völker und zur Erreichung des Zieles, das der Cobdenklub mit den Worten bezeichnet hat: peace and goodwill among nations. Möge auch der Zweite Internationale Heimatschutz-Kongreß ein Markstein auf diesem Wege werden!



[1] Fuchs, Carl Johannes, Begrüßungsansprache auf dem Zweiten Internationalen Heimatschutzkongress (12. Juni 1912), in: Heimatschutz 8 (1912), S. 58–59.


Zugehöriger Essay: Eine „entente cordiale“ für den Schutz der Heimat? Europäische Kooperationsversuche von Landschafts- und Heimatschützern vor dem Ersten Weltkrieg

Eine „entente cordiale“ für den Schutz der Heimat? Europäische Kooperationsversuche von Landschafts- und Heimatschützern vor dem Ersten Weltkrieg[1]

Von Anette Schlimm

[Überarbeitete Version des Artikels: 2021]

Vom 17. bis zum 20. Oktober 1909 tagte in Paris der erste internationale Landschaftsschutzkongress (Congrès International pour la Protection des Paysages), oder, wie er von den deutschen Teilnehmern genannt wurde: der erste „internationale Heimatschutzkongreß“.[2] Auf Einladung der französischen Société pour la Protection des Paysages trafen sich vier Tage lang Vertreter verschiedener europäischer Vereinigungen, die sich der Traditions- und Landschaftsbewahrung verschrieben hatten. Sie berichteten einander über die Probleme und Erfolge in ihren jeweiligen Herkunftsländern, tauschten sich aus und knüpften Kontakte. Bereits drei Jahre später, im Juni 1912, fand ein erneuter Kongress dieser Art statt, diesmal auf Einladung des deutschen Bundes Heimatschutz. Man tagte wiederum vier Tage, nun in Stuttgart, und es waren nicht nur Vertreter der verschiedenen europäischen Verbände angereist, sondern auch Abgesandte der nationalen Regierungen. Sogar die japanische Regierung hatte einen Vertreter geschickt, der von den Erfahrungen der Europäer profitieren wollte.[3]

Diese Kooperationsversuche zwischen (vornehmlich) europäischen Traditions-, Heimat- und Landschaftsschützern sind bislang in der Forschung noch kaum beachtet worden.[4] Denn meistens wurden die entsprechenden Ideen, Vereine und Initiativen, die sich um 1900 in vielen europäischen Ländern entwickelten, ausschließlich als Teil der nationalen Geschichte untersucht und interpretiert. Dieser Essay geht von der Beobachtung aus, dass die Bewahrung von Traditionen, Landschaft und historischen Bauten keineswegs ein exklusiv deutsches Phänomen war. Solche Initiativen gab es in vielen, nicht nur europäischen Ländern. Dabei bleiben allerdings noch einige Fragen offen. Zum einen: Wie stark ähnelten sich die Initiativen zur Bewahrung des natürlichen und kulturellen Erbes in unterschiedlichen Ländern tatsächlich, wie groß waren die (nationalen) Unterschiede zwischen den verschiedenen Bewegungen?[5] Zum anderen: Welche Rolle spielten Verbindungen, persönliche oder institutionelle Netzwerke sowie Rezeptionsverhältnisse über nationale Grenzen hinweg? Für einen ersten Schritt zur Beantwortung dieser Fragen bieten die beiden internationalen Kongresse, die vor dem Ersten Weltkrieg stattfanden, einen Ansatzpunkt. Vor dem Hintergrund der verschiedenen Initiativen können die Kongresse möglicherweise Aufschluss darüber geben, welche programmatischen oder pragmatischen Überschneidungen die Akteure selbst sahen. Ob die Möglichkeit einer „entente cordiale“ für den Heimatschutz, wie sie sich der Vertreter der deutschen Heimatschützer, Carl Johannes Fuchs, auf dem ersten Kongress in Paris erhoffte, tatsächlich vorhanden war, muss kritisch geprüft werden.[6]

Den aufgeworfenen Fragen werde ich im Folgenden anhand des deutschen und englischen Beispiels nachgehen. Beiden Ländern ist gemeinsam, dass in der Forschungsgeschichte die Initiativen zur Bewahrung natürlicher und architektonischer Besonderheiten als problematisch und modernisierungsfeindlich interpretiert wurden. Dies hat sich erst in den letzten Jahren schrittweise verändert. Zudem ging in beiden Ländern die Initiative zur Bewahrung der „Heimat“ bzw. der „Places of Historic Interest or Natural Beauty“[7] in erster Linie von gesellschaftlichen Kräften aus, die sich in unterschiedlichen Vereinen organisierten. Während die deutschen Initiativen jedoch schnell den Schulterschluss mit Behörden und Regierungen suchten, blieben die englischen preservationists auf relativer Distanz zum Staat. Beide Fälle dienten, aller Unterschiede zum Trotz, als Vorbilder und Modelle für andere europäische Initiativen und Bewegungen, sodass sie unter Umständen als Blaupausen für die bewahrenden Bewegungen insgesamt verstanden werden können.

Die Heimatschutzbewegung in Deutschland ist lange Zeit als Teil der „ambivalenten Modernisierung“ um 1900 beschrieben worden, als sich das kulturelle Bewusstsein vor allem des deutschen Bürgertums von der sozio-strukturellen Entwicklung abgekoppelt zu haben schien. Während sich das Deutsche Reich ökonomisch und technisch rasant entwickelte, mehrten sich die Stimmen, die diese Entwicklung kritisierten und das Rad des Fortschritts anhalten wollten.[8] Diese Kritik an der Moderne ging häufig einher mit einer reaktionären Großstadtfeindschaft und einer Idealisierung der scheinbar untergehenden ländlichen Welt. Da wundert es nicht, dass die Heimatschutzbewegung als „neuromantische Erneuerungsbewegung“ einen besonderen Platz in Klaus Bergmanns einflussreicher Studie zu „Agrarromantik und Großstadtfeindschaft“ erhielt.[9] Bergmann und andere Forschende nach ihm betonten vor allem den reaktionären Charakter der Heimatschutzbewegung, der sich spätestens ab den 1920er-Jahren als hochgradig anschlussfähig an völkisches Gedankengut erwies und daher als kultureller Wegbereiter des Nationalsozialismus interpretiert wurde.[10] Neuere Forschungen haben vor allem gezeigt, wie stark die Idee der Heimat, die unter anderem durch die Heimatschutzbewegung geprägt wurde, als politisches Argument diente und so zur Schaffung politischer Regionen beitrug. Gleichzeitig wurde die These von der Anschlussfähigkeit an den Nationalsozialismus differenziert und zunehmend in Zweifel gezogen.[11]

Die britische Forschung ging lange Zeit mit den englischen preservationists, den Bewegungen zur Bewahrung historischer und natürlicher Denkmäler sowie Landschaften, ähnlich um. Ihnen wurde eine wichtige Rolle bei der Ästhetisierung und Idealisierung des ländlichen England zugeschrieben. Die preservationists hätten zur Konstruktion einer besonderen nationalen Identität, der „Englishness“, beigetragen. Ab der Wende zum 20. Jahrhundert, vor allem aber in der Zeit zwischen den Weltkriegen, sei diese fortschrittsskeptische und modernitätsfeindliche Ausrichtung in der britischen Politik besonders einflussreich geworden.[12] Martin J. Wiener ging sogar so weit, der „Englishness“ die Schuld dafür zuzuschreiben, dass Großbritannien seine wirtschaftliche und politische Vormachtstellung in der Welt im Laufe des 20. Jahrhunderts verloren habe: Der Wille zu Innovation und Fortschritt sei durch die Ideologie der „Englishness“ verdrängt worden.[13] Ähnlich wie in der älteren deutschen Forschung zum Heimatschutz wurde in Großbritannien die Idealisierung von Landschaft und Ländlichkeit als rückwärtsgewandt und modernitätsfeindlich betrachtet und damit als verhängnisvolle Abweichung vom fortschrittsfreundlichen Normalweg angesehen. Diese Sichtweise wird allerdings in den letzten Jahren mehr und mehr in Frage gestellt.[14]

In beiden Ländern waren die Jahre um 1900 die Zeit der Gründungen von Verbänden und Vereinen, die sich die Bewahrung des Alten und Traditionellen auf die Fahnen geschrieben hatten. Am 30. März 1904 trafen sich in Dresden rund 150 Interessierte – größtenteils Architekten und andere Akademiker, Vertreter von Behörden, Vereinigungen und Hochschulen, auch einige bürgerliche Frauen – und gründeten den Bund Heimatschutz. Dieser Verein sollte dem Zweck dienen, „die deutsche Heimat in ihrer natürlichen und geschichtlich gewordenen Eigenart zu schützen“, wie es in der verabschiedeten Satzung hieß. Man einigte sich auf erste Arbeitsschwerpunkte: Denkmal- und Naturschutz sowie die Pflege von Brauchtum und Volkskunst.[15] Der Bund sollte bereits existierende Initiativen als Dachverband vereinen, aber auch Einzelpersonen die Möglichkeit zum Engagement bieten.

In Großbritannien gab es bis in die Zwischenkriegszeit keinen Dachverband der preservationists. Die verschiedenen Vereine, die sich seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gegründet hatten, waren zum Teil auf sehr konkrete Gebiete konzentriert – etwa die Lake District Defence Society, die sich 1883 formierte, um die Verschandelung der nordenglischen Landschaft zu verhindern – oder auf ein Thema fokussiert, so wie die Society for the Protection of Birds (1889).[16] Es gab lokale Initiativen ebenso wie national agierende. Der bis heute bekannteste Verband ist der National Trust for Places of Historic Interest or Natural Beauty, gegründet im Jahr 1894. Der National Trust machte es sich zur Aufgabe, als nationaler Wahrer im öffentlichen Interesse aufzutreten. Er kaufte und übernahm „Places of Historic Interest or Natural Beauty”, um sie vor Veränderungen zu bewahren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.[17] Die Gründerinnen und Gründer waren mehrheitlich liberale Philanthropen, die die historischen Gebäude und die landschaftlichen Schönheiten nicht einfach erhalten wollten; sie erhofften sich einen sozialreformerischen Nutzen davon, dass die Menschen den Nöten und Sorgen des Alltags hier würden entfliehen können.[18]

Eine solche philanthropische Motivation war bei den führenden deutschen Heimatschützern und -schützerinnen kaum zu beobachten.[19] Hier herrschte eine grundsätzliche Kritik an der Industrialisierung vor. Ernst Rudorff, Komponist und einer der wichtigen Initiatoren der Heimatschutzbewegung in Deutschland, veröffentlichte 1897 seine Schrift Heimatschutz, die noch Jahre später über den Bund Heimatschutz als Grundlagentext der Bewegung vertrieben wurde.[20] Es handelt sich dabei um eine wütende Polemik gegen allerlei Entwicklungen der Gegenwart: gegen die Agrarreformen, gegen den Tourismus und die Eisenbahn, gegen die Fabriken und den Sozialismus, vor allem aber gegen die allerorten zu beobachtende Tendenz, alles der „Erzielung materieller Vorteile”[21] unterzuordnen. Dabei werde nicht nur der Unterschied zwischen Stadt und Land verwischt, sondern alles regional oder lokal Spezifische im „Nivellierungswahn” eingeebnet – mit politisch gefährlichen Folgen: „[W]ir arbeiten der Ideen der roten Internationale mit unsrer Gleichmacherei geradezu in die Hände.”[22] Deutlich wird hier die anti-sozialistische Stoßrichtung des Bundes Heimatschutz und auch vieler hier organisierter Initiativen. Besonders ausgeprägt war dies bei Heinrich Sohnreys Verein für ländliche Wohlfahrts- und Heimatpflege der Fall, der explizit der Abwehr sozialistischer Einflüsse auf die ländliche Bevölkerung gewidmet war.[23]

Wichtigen Vertreterinnen und Vertretern der deutschen Heimatschutzbewegung ging es also nicht nur um den Schutz konkreter Bauwerke, Landschaftsschönheiten oder Traditionsbestände. Vielmehr wollten sie die deutsche Gesellschaft durch den Erhalt der „Heimat“ moralisch erneuern. „Protzentum, Gigerltum, Sinnenstumpfheit, Freude an der Zerstörung und Raubbau“, gleichgesetzt mit der „Herrschsucht der Industrie“, müssten durch die Pflege der „Heimat als Gefäß unserer Volksseele” in Schach gehalten werden, so Paul Schultze-Naumburg, der erste Vorsitzende des Bundes Heimatschutz.[24] Die modernitätskritische Haltung der Heimatschützerinnen und -schützer kontrastierte Heimat, Tradition und Gemeinwohl mit den negativ wahrgenommenen Folgen der industriellen Moderne. Vor allem die ländlichen Gebiete sollten als Heimat erhalten bleiben und vor den Veränderungen, die aus der Großstadt zu kommen schienen, geschützt werden.

Auf einer abstrakten Ebene ist dieser moralpolitische Ansatz mit dem der englischen preservationists vergleichbar. Denn sie vertraten häufig eine Position, die gegenüber dem Eigeninteresse – besonders dem wirtschaftlichen Interesse von Landbesitzern und -besitzerinnen – die Rechte des Gemeinwesens stärken wollten. Doch in England waren diese Forderungen sehr stark auf traditionelle Rechte bezogen – im Gegensatz zu dem weit diffuseren Anti-Industrialismus Ernst Rudorffs. Schon die Vorgängerorganisation des National Trust, die Commons Preservation Society (CPS) kämpfte dagegen an, dass in ländlichen Gebieten die letzten verbliebenen öffentlich nutzbaren Flächen – die Commons – durch die privaten Landbesitzer und -besitzerinnen eingehegt, somit der landwirtschaftlichen Wertschöpfung unterworfen und von Besuchern und Besucherinnen freigehalten wurden. Beinahe natürliche Verbündete der preservationists waren daher die britischen Wandervereine, die für den Erhalt der öffentlichen Überwegungsrechte, zum Beispiel im Lake District, kämpften. So kam es, dass die, die Natur und Tradition schützen, und jene, die beides vor allem genießen wollten, gemeinsame Interessen vertraten.[25] Die unverbaute Natur und Geschichte Englands, die spezifische Ländlichkeit, sollte als Ort von Freizeit und Erholungfür alle gesellschaftlichen Gruppen oder doch zumindest für die Mitglieder der Vereine erhalten bleiben. Das ländliche England wurde als ein Gegenraum zur Gegenwart und ihren Problemen gesehen, wie ein Zitat von Robert Hunter, Chairman des Executive Committee des National Trust, zeigt: „Both [the antiquarian and the lover of nature] desire to perpetuate something which is apart from the life of the present, something which, on the one hand, speaks of the continuity of the human race, and on the other of the slowly acting giant forces of nature. […] Natural beauty, equally with historic association, stimulates the imagination and takes the beholder out of the petty cares and the small details of every-day existence.”[26] Während also für die englischen preservationists das idealisierte England als Ausgleich für das alltägliche Leben gesehen wurde und bewahrt bleiben sollte, sahen die Vorreiterinnen und Vorreiter der deutschen Heimatschutzbewegung die Heimat, vornehmlich im ländlichen Raum, als Residuum einer alten Ordnung, die erhalten werden sollte, um die gesellschaftliche Ordnung als Ganze zu erneuern.

Es ginge allerdings zu weit, die deutsche Heimatschutzbewegung auf einzelne Theoretiker des Heimatschutzes wie Rudorff und Schultze-Naumburg zu reduzieren und damit den Kontrast zwischen der deutschen und der englischen Bewegung auf die Spitze zu treiben. Die deutsche Bewegung war heterogener, als die stark ideengeschichtliche Studie von Bergmann, die sich noch dazu auf die völkischen und rechtskonservativen Zweige der Agrarromantik konzentriert, zu zeigen vermag.[27] Auch in Deutschland gab es Heimatschützer und -schützerinnen, die keine ländlichen Reservate der Tradition schaffen wollten, sondern daran arbeiteten, Neues und Altes zu harmonisieren und so eine andere Moderne zu ermöglichen. Aber auch diese Akteure suchten die Möglichkeiten vor allem im Schulterschluss mit staatlichen Behörden – ob es um die Institutionalisierung des Faches Heimatkunde im Schulunterricht ging oder um die Kodifizierung von Bauordnungen, die ländliche und kleinstädtische Bauformen besonders schützen sollten.[28] In England – und in anderen europäischen Ländern – blieb die Traditionspflege dagegen stärker der gesellschaftlichen Initiative überlassen, und Konzepte wie Heimat oder Region wurden längst nicht so stark politisiert wie in Deutschland.[29]

Trotz der unterschiedlichen politisch-gesellschaftlichen Kontexte in den europäischen Ländern, trotz der verschiedenen Schwerpunktsetzungen und gesellschaftspolitischen Ausrichtungen der Verbände und Bewegungen, wie sie am deutschen und englischen Beispiel sichtbar geworden sind, ist es dennoch wenig sinnvoll, die Natur- und Heimatschutz-Bewegungen in Europa vor dem Ersten Weltkrieg zu sehr als nationale Eigenentwicklungen zu interpretieren. Sie waren zwar als nationale oder teilstaatliche Verbände organisiert und wandten sich in erster Linie an eine nationale Öffentlichkeit und nationale Institutionen. Doch gleichzeitig waren sie Teil eines Trends, der die nationalen Grenzen überschritt; nicht nur in Deutschland und Großbritannien, sondern auch in anderen Ländern, in Frankreich, in Schweden, in der Schweiz oder in Belgien, nicht zu vergessen in den Vereinigten Staaten existierten Bewegungen, die sich der Bewahrung lokalen, regionalen und nationalen Erbes verschrieben hatten. Diese Bewegungen nahmen sich gegenseitig wahr oder rekurrierten auf ähnliche Grundlagen, sie reagierten auf Entwicklungen, die in vielen dieser Gesellschaften ähnlich abliefen, die Urbanisierung etwa oder die Kritik an Modernisierungsprozessen.[30] Gerade die Ähnlichkeiten und Kooperationsverhältnisse zwischen diesen Bewegungen lassen die jeweiligen Unterschiede der Bewegungen noch deutlicher hervortreten. Zunächst aber wende ich mich den Verbindungen zwischen den verschiedenen (europäischen) Verbänden zu.

In der Zeitschrift des Deutschen Bundes Heimatschutz wurden vor dem Ersten Weltkrieg regelmäßig Artikel veröffentlicht, die über den Stand der Dinge in anderen europäischen Ländern informierten, zum Beispiel über neue gesetzliche Regelungen in Nachbarländern oder auch über Vereinsgründungen.[31] Zum Teil wurden sogar die gleichen Stichwortgeber zitiert; so bezog sich der Nationalökonom Carl Johannes Fuchs bei der Gründungsversammlung des Bundes Heimatschutz 1904 auf John Ruskin, einen der maßgeblichen Köpfe der britischen preservationists.[32] Und auch sie ließen sich von den Bewegungen in den anderen europäischen Ländern inspirieren und versuchten, von ihnen zu lernen.[33]

Höhepunkte der Kooperation waren die beiden internationalen Kongresse, die vor dem Ersten Weltkrieg stattfanden und auf denen sich die Köpfe der Bewegungen über das bisher Erreichte austauschten. Sie dauerten jeweils mehrere Tage und dienten zwei Zielen, denn neben dem fachlichen Austausch wurde repräsentativen und informellen Programmpunkten (Besichtigungen, Festessen, Lichtbildvorträge und Ausflüge) reichlich Platz eingeräumt. Die Vorträge, die die Vertreter der verschiedenen nationalen Verbände hielten, sollten vor allem die Tätigkeit im jeweiligen Land darstellen, die Herausforderungen und bereits erreichten Ziele dem internationalen Publikum mitteilen. Daher waren die Tagungen keinen konkreten Themen gewidmet. Diese Kongresse können als Teil eines allgemeinen kulturellen Trends verstanden werden: Um die Wende zum 20. Jahrhundert fanden sehr viele internationale Tagungen und Ausstellungen statt, auf allen Wissensgebieten und mit allen möglichen unterschiedlichen Schwerpunkten. Die bekanntesten Zeugen dieser Bewegung sind die Welt- und sonstigen internationalen Ausstellungen, die um 1900 zugleich eine Blüte- wie eine Krisenzeit erlebten.[34] Diese Ausstellungen und Tagungen dienten nicht nur der Leistungsschau und dem nationalen Vergleich, sondern auch dem Austausch der Industrienationen untereinander. Außerdem fungierten die Weltausstellungen als „Tribüne“[35] für internationale wissenschaftliche Kongresse. Diese erlebten in den anderthalb Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg einen wahren Boom, mit deutlich mehr als hundert wissenschaftlichen Kongressen, die pro Jahr stattfanden. Eckhardt Fuchs hat herausgearbeitet, wie stark diese internationale Kongressbewegung von der Spannung zwischen Universalismus des Wissens und nationaler Abgrenzung der verschiedenen Wissenschaftsnationen geprägt war.[36]

Die internationale Zusammenarbeit der Heimat- und Naturschutzbewegungen in Europa scheint daher nur auf den ersten Blick ein Paradoxon zu sein. So wie in anderen Bewegungen oder wissenschaftlichen Disziplinen auch spielte die Abgrenzung der Nationen voneinander eine ebenso große Rolle wie die Hoffnung auf internationale Kooperation. Das galt auch für die Bewegungen, die es sich zum Ziel gesetzt hatten, den eigenen Nationalcharakter zu bewahren oder sogar regionale Besonderheiten zu pflegen. Dieses Spannungsverhältnis wurde zum Beispiel von Carl Johannes Fuchs, der den Bund Heimatschutz bei beiden Treffen vertrat, explizit thematisiert. Er urteilte in Paris: „[W]enn das, was erhalten werden soll, auch jeweils die Eigenart der engeren oder weiteren Heimat ist, also in allen Ländern mehr oder weniger verschieden, so sind doch die Gefahren, gegen die es sie zu schützen gilt, in allen Kultur-, d. h. Industriestaaten im wesentlichen die gleichen, und es kommen bei dem ebenfalls übereinstimmenden internationalen Charakter der modernen Kultur auch in der Hauptsache überall die gleichen Mittel zur Abhilfe in Betracht.”[37] Die Abgrenzung, die Fuchs in seinem Vortrag vornahm – die „Eigenart der engeren oder weiteren Heimat“, die gewahrt werden sollte –, verdeutlicht, wie stark die Identitäten in der deutschen Heimatschutzbewegung (und zum Teil darüber hinaus) partikulare waren: Es ging ihr um die Schaffung von spezifischen, nicht aber allgemein menschlichen Gemeinschaften und Traditionsbeständen. Dennoch: Die Themen, mit denen sich die Bewegungen in den verschiedenen Ländern und Regionen beschäftigten, ähnelten sich sehr stark: Wälder und pittoreske Landschaften, bäuerliche Dorfansichten und Herrenhäuser, Trachten und Volkstraditionen.[38]

Die Unterschiede, die Fuchs sah, wurden aber durch eine Gemeinsamkeit aufgewogen. Denn den Bemühungen der Initiativen stand ein Bündel Gefahren gegenüber, denen sich alle „Kulturvölker“, so Fuchs, ausgesetzt sahen. Es waren auch hier nicht so sehr die materiellen Modernisierungseffekte, sondern vor allem der wahrgenommene Wandel von Moral und Werten, die „Auswüchse des modernen Industrialismus und Kapitalismus, die Bedrohung der alten hohen nationalen Kultur der westeuropäischen Länder durch eine charakterlose internationale Schablone, die alle Unterschiede und Besonderheiten verwischt.”[39] Fuchs blieb allerdings nicht so abstrakt, sondern er spezifizierte sein Bedrohungsszenario dadurch, dass er Gegner wie Wahrer der Tradition geografisch verortete: Es waren die „Kulturstaaten der alten Welt”, die nach einem Ausweg suchten, die die „alt[e] heimisch[e] Kultur und Natur” mit „der modernen Zivilisation” harmonisieren wollten.[40] Im Gegensatz dazu stand die „neue Welt”, Amerika, in der die „kühle Rücksichtslosigkeit” herrschte und „der Begriff Heimat sich noch im ersten Stadium der Entwicklung befindet”.[41] Fuchs stellte Europa als die „alte Welt“ Amerika gegenüber, das mit allen negativen Einflüssen der Moderne identifiziert wurde. Dieser fundamentale Anti-Amerikanismus, der aus Fuchs‘ Reden hervortritt, ist insofern erstaunlich, als es ja auch in den USA bewahrende Bewegungen gab. Das bekannteste Beispiel dafür ist die Schaffung von Nationalparks, die auch in den europäischen Natur- und Heimatschutzbewegungen eifrig diskutiert und zum Teil aktiv verfolgt wurde.[42] In der Rede von Fuchs diente der Anti-Amerikanismus vor allem aber der Betonung der gemeinsamen Interessen der vermeintlichen „Kulturvölker“ und unterstrich den diffusen Anti-Kapitalismus, der vor allem in der deutschen Heimatschutzbewegung weit verbreitet war.

Heimatschutz sollte also, so Fuchs, in Abgrenzung von der „Neuen Welt“, als europäisches Projekt vorangetrieben werden. Die deutsche Bewegung diente als Vorbild, gerade weil sie nicht zentralistisch, sondern regionalistisch aufgebaut war. Der Bund Heimatschutz habe „stets den Wert des Zusammenschlusses aller lokalen Bestrebungen betont, denen erst dadurch Kulturbedeutung zukommt und die erst dann zu einer Macht werden. Die praktischen Maßnahmen sind dessen unbeschadet überall den lokalen Bedingungen anzupassen. Dieses Prinzip hat sich für Deutschland als das richtige bewährt, und wir begrüßen nunmehr mit Freude und Dank die von Paris ausgehende Anregung eines internationalen Heimatschutzverbandes.”[43] Fuchs vertrat zudem die vermutlich stark vom deutschen Regionalismus geprägte Auffassung, dass gerade die Stärkung regionaler und nationaler Differenzen zur internationalen Verständigung beitragen werde: „Denn nur wer die eigenen Heimat und Art liebt und schätzt – nicht in rohem, überhebendem Chauvinismus, sondern in verfeinerter Reflexion und Erkenntnis ihrer kulturellen Bedeutung –, wird auch Heimat und Eigenart anderer achten.“[44]

Fuchs machte die Abgrenzung von anderen stark – der Anti-Amerikanismus entsprach dem Anti-Kapitalismus und einer spezifischen Form des Anti-Modernismus in seinem Heimatschutzkonzept. Bei Vertretern und Vertreterinnen anderer Verbände war diese Abgrenzung nicht in gleichem Maße zu erkennen. Vor allem die Franzosen (und auch die Engländer, die nur schriftliche Berichte eingereicht, aber keinen Vertreter geschickt hatten) konturierten die Bewahrung von Tradition und Natur als allgemeines Anliegen: „[C]’est un intérêt international […,] c’est le patrimoine commun de l’Humanité que nous défendons.[45]” Offenbar war es diesen Rednern nicht so wichtig, die modernen Einflüsse als fremd (auch geografisch fremd) einzuordnen. Das verbindende Element war hier, im Zitat von Charles Beauquier, dem Vorsitzenden der französischen Societé pour la Protection des Paysages, nicht partikular, sondern universal: Das Erbe der Menschheit insgesamt sollte verteidigt werden.

Trotz der plakativen Bekundungen, wie viele Gemeinsamkeiten man doch habe: Die Kongresse stellten nur ein kurzes Intermezzo dar; offenbar scheiterte der Versuch, eine längerfristige Kooperation der Verbände aufzubauen. Aber warum schlug das Unternehmen fehl? Lag es an den weltpolitischen Ereignissen, die bald keine Kooperation von Deutschen, Franzosen, Belgiern und Engländern mehr möglich machten? Der Erste Weltkrieg stellt eindeutig einen Einschnitt dar, auch für andere Verbände, die den nationsübergreifenden Austausch suchten. In der Zwischenkriegszeit lebten manche Kooperationen wieder auf – die der bewahrenden Bewegungen jedoch nicht. Letztlich, so scheint es, gab es eben keine internationale Bewegung der Heimatschützer und -schützerinnen. Die Unterschiede zwischen den Bewegungen waren möglicherweise zu groß, um eine dauerhafte Kooperation ernsthaft zu verfolgen.

Die Adressaten der Bemühungen um die Bewahrung von Natur und Kultur waren in den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg vor allem nationale: sowohl Öffentlichkeiten als auch Regierungen. Zudem unterschieden sich die Schwerpunkte der Arbeit recht stark – die Einrichtung von Naturreservaten wie in Frankreich, der Kampf für den freien Zugang zu historischen und naturräumlichen Monumenten wie in England, die Erziehung zu regional passenden Bauformen wie in Deutschland. Auch die Motive der Verbände waren jenseits eines diffusen Anti-Kapitalismus sehr unterschiedlich. Die konservativen deutschen Heimatschützer und -schützerinnen hatten ganz andere Gesellschaftsvorstellungen als die eher progressiven oder liberalen preservationists. Daher unterschieden sich sowohl die Aktions-, als auch die Kommunikationsformen der nationalen Bewegungen. Schlussendlich waren die Verbündeten der Initiativen in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich. Während manche deutsche Heimatschützer und -schützerinnen den Tourismus verteufelten, existierte in England ein enger Schulterschluss zwischen preservationists und Touristenverbänden. Wurde „Heimat“ in der deutschen Bewegung als ein Residuum der alten Welt verstanden, konzipierten die englischen preservationists die ländliche Idylle Englands stärker als komplementären Raum zur modernen Stadt. Die Idylle sollte gerade als Erholungs- und Freizeitraum dienen, nicht als Gegenbild zur Moderne.

Die vergleichende und transnationale Betrachtung der bewahrenden Bewegungen in Europa verdeutlicht dennoch, dass die Akteure vor dem Ersten Weltkrieg durchaus Potentiale für eine internationale Zusammenarbeit sahen. Bestimmte Problemstellungen schienen alle Bewegungen zu teilen, zum Beispiel die Abgrenzung von individuellen und kollektiven Rechten oder Interessen. Die Umgangsweisen mit diesen Herausforderungen unterschieden sich jedoch erheblich. Und möglicherweise waren es gerade die gemeinsamen Kongresse vor dem Ersten Weltkrieg, die den Vertretern der nationalen Verbände nicht nur die Gemeinsamkeiten, sondern auch die Unterschiede deutlich vor Augen führten und entsprechend die Euphorie über eine „entente cordiale“ für den Heimatschutz deutlich abkühlen ließen.[46]



[1] Essay zur Quelle: Fuchs, Carl Johannes: Begrüßungsansprache auf dem Zweiten Internationalen Heimatschutzkongress (12. Juni 1912).

[2] Der erste internationale Heimatschutzkongreß in Paris vom 17.–20. Oktober 1909, in: Heimatschutz 6 (1910), S. 52f.

[3] Zweiter Internationaler Kongreß für Heimatschutz vom 12. bis 15. Juni 1912 in Stuttgart. Einige Begrüßungsansprachen, in: Heimatschutz 8 (1912), S. 56–69, hier S. 65.

[4] Vor allem mit dem Vergleich der Naturvorstellungen und Landschaftskonstruktionen anhand der beiden Kongresse beschäftigt sich Trom, Danny, Natur und nationale Identität. Der Streit um den Schutz der 'Natur' um die Jahrhundertwende in Deutschland und Frankreich, in: François, Etienne; Siegrist, Hannes; Vogel, Jakob (Hgg.), Nation und Emotion. Deutschland und Frankreich im Vergleich, 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 1995, S. 147–167; kurz geht auch Confino auf die Kooperationen ein: Confino, Alon, The Nation as a Local Metaphor. Württemberg, Imperial Germany and National Memory, 1871–1918, Chapel Hill 1997, S. 212.

[5] Es ist sehr schwierig, für die unterschiedlichen Bewegungen in Europa einen neutralen Überbegriff zu finden. Ich wähle im Folgenden die Hilfskonstruktion der „bewahrenden Bewegungen“. So soll einerseits die große Bandbreite der Initiativen abgebildet werden, die nicht auf Denkmalschutz, Naturschutz oder Traditionsbewahrung zu reduzieren ist. Andererseits ist der Begriff spezifisch genug, um die Gemeinsamkeit der Initiativen abzubilden – nämlich die Bewahrung von Natur- und Kulturgütern, die in der Gegenwart gefährdet zu sein schien.

[6] Clermont, Raoul de; Cros-Mayrevieille, Fernand; Nussac, Louis de (Hgg.), Le Ier Congrès International Pour La Protection des Paysages (Paris, 17–20 Octobre 1909). Compte Rendu, Paris 1910, S. 10.

[7] Die bis heute wohl bekannteste Initiative zur Bewahrung von Natur und historischer Kultur in England ist der National Trust, dessen vollständige Bezeichnung National Trust for Places of Historic Interest or Natural Beauty heißt. Zur Geschichte des Trust vgl. Jenkins, Jennifer L.; James, Patrick, From Acorn to Oak: The Growth of the National Trust, 1895–1994, London 1994.

[8] Thamer, Hans-Ulrich, Der Januskopf der Moderne, in: Sembach, Klaus-Jürgen et.al. (Hgg.), 1910. Halbzeit der Moderne. Van de Velde, Behrens, Hofmann und die anderen, Stuttgart 1992, S. 169–183; allgemein vgl. zur partiellen Modernisierung bzw. dem deutschen Sonderweg Wehler, Hans-Ulrich, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Dritter Band: Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, München 1995, bes. S. 1250–1295.

[9] Bergmann, Klaus, Agrarromantik und Großstadtfeindschaft, Meisenheim am Glan 1970.

[10] Wolschke-Bulmahn, Joachim, Heimatschutz, in: Puschner, Uwe et.al. (Hgg.), Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ 1871–1918, München 1996, S. 533–545, bes. S. 533.

[11] So hat Willi Oberkrome herausgearbeitet, dass zwar die Ideen der Heimatschutzbewegung zum Teil auch im Nationalsozialismus verbreitet waren, dass aber insgesamt die regionalistische Spielart des Heimatkonzepts im Nationalsozialismus nicht erfolgreich war. Die These von der einfachen Kontinuität muss also abgelehnt werden. Oberkrome, Willi, Stamm und Landschaft. Heimatlicher Tribalismus und die Projektionen einer „völkischen Neuordnung“ Deutschlands 1920–1950, in: Hardtwig, Wolfgang (Hg.), Ordnungen in der Krise. Zur politischen Kulturgeschichte Deutschlands 1900–1933, München 2007, S. 69–94, S. 73.

[12] Vgl. Colls, Robert; Dodd, Philip (Hgg.), Englishness: Politics and Culture 1880–1920, London 1986.

[13] Wiener, Martin J., English Culture and the Decline of the Industrial Spirit, 1850–1980, Cambridge 1981. Demgegenüber vertritt Mandler die These, der preservationism sei eine zu vernachlässigende Größe ohne gesellschaftlichen Einfluss gewesen, zumindest vor dem Ersten Weltkrieg. Aber auch in der Zwischenkriegszeit könne von reaktionärem Ruralismus keine Rede sein. Mandler, Peter, “Against Englishness”. English Culture and the Limits to Rural Nostalgia, 1850–1940, in: Transactions of the Royal Historical Society, 6th series 7 (1997), S. 155–175. Die Vorstellung eines absoluten oder doch zumindest relativen „decline” Britanniens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist eine Zeitlang eine dominante Interpretation der britischen Zeitgeschichte gewesen. Die Diskussion fasst zusammen Tomlinson, Jim, Economic ‘Decline’ in Post-War Britain, in: Addison, Paul; Jones, Harriet (Hgg.), A Companion to Contemporary Britain 1939–2000, Malden, Massachusetts 2005, S. 164–179.

[14] Vgl. zur neueren Interpretation Burchardt, Jeremy, Paradise Lost: Rural Idyll and Social Change in England since 1800, London 2002; ders., Agricultural History, Rural History, or Countryside History?, in: The Historical Journal 50 (2007), S. 465–481; Readman, Paul, Preserving the English Landscape, c. 1870–1914, in: Cultural and Social History 5 (2008), S. 197–218.

[15] § 1 der Satzungen des Bundes „Heimatschutz“, in: Mitteilungen des Bundes Heimatschutz 1 (1904), H. 1, S. 7–11, hier S. 7.

[16] Jeremy Burchardt zählt 14 sehr unterschiedliche Verbände, die sich zwischen 1865 und 1912 gründeten und die er zu den einflussreicheren preservationist-Vereinigungen rechnet. Burchardt, Paradise, S. 93.

[17] Zur Gründungsgeschichte des National Trust vgl. Jenkins, Jennifer, The Roots of the National Trust, in: History Today 45 (1994), H. 1, S. 3–9; Waterson, Merlin, A Noble Thing. The National Trust and its Benefactors, London 2011.

[18] Garner, Robert, National Trust, in: Barry, John; Frankland, E. Gene (Hgg.), International Encyclopedia of Environmental Politics, London 2002, S. 337f.

[19] Maßgebliche Studien zur Heimatschutzbewegung und der Rolle von „Heimat“ für die deutsche Politik seit dem Kaiserreich sind die beiden englischsprachigen Studien von Applegate und Confino; Applegate, Celia, A Nation of Provincials. The German Idea of Heimat, Berkeley 1990; zum anderen Confino, Nation.

[20] Rudorff, Ernst, Heimatschutz, in: Grenzboten 56 (1897), H. 1, S. 401–414; S. 455–468; ders., Abermals zum Heimatschutz, in: Grenzboten 56 (1897), H. 4, S. 111–117.

[21] Ders., Heimatschutz, S. 401.

[22] Ebd., S. 466.

[23] Zu Sohnrey und dem Verein vgl. Stöcker, Georg, Agrarideologie und Sozialreform im Deutschen Kaiserreich. Heinrich Sohnrey und der Deutsche Verein für ländliche Wohlfahrts- und Heimatpflege 1896–1914, Göttingen 2011.

[24] R.M. [Robert Mielke], Bericht über die konstituierende Versammlung. Dresden, 30. März 1904, in: Mitteilungen des Bundes Heimatschutz 1 (1904), H. 1, S. 1–6, hier S. 3. Schultze-Naumburg war es auch, der vor allem die personelle Brücke vom Heimatschutz in die nationalsozialistische Bewegung darstellte. In der Zwischenkriegszeit wurde er Mitglied im Kampfbund für deutsche Kultur, einer Organisation, die dem Nationalsozialismus sehr nahe stand und die die deutsche Kunst von allen „fremden” Einflüssen reinhalten wollte. Vgl. dazu hier im Themenportal: Höpel, Thomas, Die Abwehr internationaler Kunst im Nationalsozialismus, in: Themenportal Europäische Geschichte (2014), URL: (29.09.2014).

[25] Das Verhältnis der deutschen Heimatschützer zum Tourismus war ambivalenter. Rudorff bezeichnete den Tourismus als einen der großen Feinde des Heimatschutzes; ganz so radikal sahen es die meisten anderen Vertreter nicht. Allianzen mit Wander- oder Tourismusverbänden wurden jedoch nicht geschlossen.

[26] Hunter, Robert, The Preservation of Places of Interest or Beauty. A Lecture Delivered at the University on Tuesday, January 29th, 1907, Manchester 1907, in: wikisource, URL: (19.09.2014).

[27] Bergmann, Agrarromantik, S. 6; vgl. außerdem Jefferies, Matthew, Back to the Future? The „Heimatschutz“ Movement in Wilhelmine Germany, in: History 77 (1992), H. 251, S. 411–420; Klueting, Edeltraud, „Heimatschutz“, in: Kerbs, Diethart; Reulecke, Jürgen (Hgg.), Handbuch der deutschen Reformbewegungen 1880–1933, Wuppertal 1998, S. 47–57, hier S. 48. Ob allerdings Rollins richtig liegt, der in der Heimatschutz-Bewegung einen progressiven Gegenpart zum kapitalistischen Establishment des Kaiserreichs sieht, darf doch bezweifelt werden. Rollins, William H., Heimat, Modernity, and Nation in the Early Heimatschutz Movement, in: Hermand, Jost; Steakly, James (Hgg.), Heimat, Nation, Fatherland. The German Sense of Belonging, New York 1996, S. 87–112, S. 88 f.

[28] Oberkrome, Willi, „Deutsche Heimat“. Nationale Konzeption und regionale Praxis von Naturschutz, Landschaftsgestaltung und Kulturpolitik in Westfalen-Lippe und Thüringen (1900–1960), Paderborn 2004.

[29] Vgl. Steber, Martina, Ethnische Gewissheiten. Die Ordnung des Regionalen im bayerischen Schwaben vom Kaiserreich bis zum NS-Regime, Göttingen 2010.

[30] Vgl. Confino, Nation, S. 213.

[31] Besondere Aufmerksamkeit erhielten die deutschsprachigen Länder Schweiz und Österreich, z.B. N.N., Heimatschutz in Schweizer Gesetzen, in: Mitteilungen des Bundes Heimatschutz 6 (1910), S. 83–84; besonders interessant ist auch der Bericht über einen Auslandsaufenthalt in Amerika: Wilmowski, Tilo Freiherr von, Amerikanische Reiseeindrücke, in: ebd., S. 60–63.

[32] John Ruskin, 1819–1900, war Autor, Sozialphilosoph und Kunstkritiker, der viele Ideen zur Erhaltung und zum Schutz landschaftlicher wie historischer Denkmäler formuliert hat. Sein intellektueller Einfluss auf die Arts and Crafts-Bewegung sowie den National Trust war sehr groß.

[33] Vgl. dazu Hunter, Preservation, der vor allem der französischen und deutschen Situation einige Abschnitte seines Vortrags widmete.

[34] Zeitgenössisch war die Rede von der großen Ausstellungsmüdigkeit, vgl. Geppert, Alexander C.T., Fleeting Cities. Imperial Expositions in Fin-de-Siècle Europe, Basingstoke u.a. 2010, S. 206–216; für die Jahre zwischen 1890 und 1914 führt Geppert in seiner Aufstellung über 70 international ausgerichtete Ausstellungen auf. Ebd., S. 251 f.

[35] Fuchs, Eckhardt, Wissenschaft, Kongreßbewegung und Weltausstellungen: Zu den Anfängen der Wissenschaftsinternationale vor dem Ersten Weltkrieg, in: Comparativ 6 (1996), H. 5–6, S. 156–177, S. 162.

[36] Fuchs, Wissenschaft; vgl. auch Kühl, Stefan, Die Internationale der Rassisten. Aufstieg und Niedergang der internationalen eugenischen Bewegung im 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main u.a. ²2014.

[37] Fuchs, Carl Johannes, Heimatschutz im Ausland und in Deutschland, in: Heimatschutz 6 (1910), H. 2, S. 52–63, hier S. 53.

[38] Diese Traditionen entstanden häufig erst im Zuge ihrer Bewahrung, darauf haben Terence Ranger und Eric Hobsbawm schon in den frühen 1980-Jahren hingewiesen. Hobsbawm, Eric J.; Ranger, Terence (Hgg.), The Invention of Tradition, Cambridge u.a. 1983. Zudem weist Herbert May darauf hin, dass im Zuge der Heimatschutzbewegung regionale Baustile nicht nur „entdeckt“, sondern auch, etwa durch die Bauberatungen der regionalen Bewegungen, regional stark vereinheitlicht und standardisiert wurden, indem das „Typische“ einer Region, eines Landstriches zur Blaupause wurde.

[39] Fuchs, Carl Johannes, Heimatschutz, S. 60.

[40] Dieser Ansatz wurde immer wieder betont und war offenbar teilweise ein rhetorisches Mittel, um die eigene Anschlussfähigkeit gegenüber den Adressaten unter Beweis zu stellen. Vgl.: „Le but poursuivi par la Société [pour la Protection des Paysages de France] n’est point d’arrêter la marche des chemins de fer, des tramways électriques ou des automobiles, mais d’amener un sage accord entre les besoins du progrès en marche et le goût de la nature devenue pour la Société moderne un besoin en quelque sorte organique.” Clermont; Cros-Mayrevieille; Nussac, Congrès International, S. 12.

[41] Wilmowski, Reiseeindrücke.

[42] Vgl. Gissibl, Bernhard; Höhler, Sabine; Kupper, Patrick (Hgg.), Civilizing Nature. National Parks in Global Historical Perspective, New York u.a. 2012.

[43] Fuchs, Heimatschutz, S. 58.

[44] Fuchs, Carl Johannes, Begrüßungsansprache auf dem zweiten Internationalen Heimatschutzkongress (12. Juni 1912), in: Heimatschutz 8 (1912), S. 58–59, hier S. 59.

[45] Charles Beauquier, in: Clermont; Cros-Mayrevieille; Nussac, Congrès International, S. 142.

[46] Vgl. auch die Krise der internationalen Kongressbewegung vor dem Ersten Weltkrieg, beschrieben bei Fuchs, Wissenschaft, S. 170 f.



Literaturhinweise:

  • Burchardt, Jeremy, Paradise Lost. Rural Idyll and Social Change in England since 1800, London 2002.
  • Confino, Alon, The Nation as a Local Metaphor. Württemberg, Imperial Germany and National Memory, 1871–1918, Chapel Hill 1997.
  • Oberkrome, Willi, „Deutsche Heimat“. Nationale Konzeption und regionale Praxis von Naturschutz, Landschaftsgestaltung und Kulturpolitik in Westfalen-Lippe und Thüringen (1900–1960), Paderborn 2004.
  • Steber, Martina, Ethnische Gewissheiten. Die Ordnung des Regionalen im bayerischen Schwaben vom Kaiserreich bis zum NS-Regime, Göttingen 2010.

Quelle zum Essay
Eine „entente cordiale“ für den Schutz der Heimat? Europäische Kooperationsversuche von Landschafts- und Heimatschützern vor dem Ersten Weltkrieg
( 2015 )
Zitation
Begrüßungsansprache auf dem Zweiten Internationalen Heimatschutzkongress (12. Juni 1912), in: Themenportal Europäische Geschichte, 2015, <www.europa.clio-online.de/quelle/id/q63-28524>.
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