Zeremonialschreiben an Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg (Stockholm 12.01.1773 und London 17.01.1783), [Transkript]

Zeremonialschreiben an Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg (Stockholm 12.01.1773 und London 17.01.1783), [Transkript][1]

Glückwünsche zur Geburt Prinz August von Sachsen-Gotha-Altenburg, von König Gustav III. von Schweden an Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg, Stockholm, 12. Januar 1773[2]

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Wir Gustaf von Gottes Gnaden, der

Schweden, Gothen und Wenden König p. p. p. Erbe zu –

Norwegen, Herzog zu Schleßwig, Hollstein, Stormaren

und der Dittmarsen, Graf zu Oldenburg und Delmen-

horst p. p. Entbieten dem Durchlauchtigsten Fürsten, Unser

freundlich geliebten Vettern, Herrn Ernst Ludwig, Hertzo-

gen zu Sachsen, Land Grafen in Thüringen, Marck-

Grafen zu Meißen, gefürsteten Grafen zu Henne-

berg, Grafen zu der Mark und Ravensberg, Herren

zu Ravenstein und Tönna, Unseren freundvetterln

Gruß, und das Wir sonst mehr liebes und gutes

vermögen zuvor. Durchlauchtigster Fürst, freundlich

geliebter Vetter. Die Geburt des Prinzen von

welchen Dero Frau Gemahlin Durchl. ohnlängst

glücklich entbunden worden, giebt Uns eine ange-

nehme Gelegenheit Ew. Durchl., durch Bezeugung

Unseres aufrichtigen Vergnügens über diese aber-

malige Vermehrung Dero Fürstlichen Hauses, einen

neuen Beweis von Unserer Teilnehmung an Dero

Begegnißn, und überhaupt von denen freundschaftlichen

|<1rs>

Gesinnungen zu geben, mit welchen Wir denen-

selben zu Enzeigung aller freundvetterln Gefällig-

keiten willig und geflißen verbleiben. Stockholm den

12. Januarii 1773.

Ew. Durchl.

freundwilliger Vetter

Gustav

Des Hertzoges Ernst zu Sachsen Gotha Durchl. C. A. Rosenadler.

Dankschreiben auf Neujahrsgratulation von König Georg III. von Großbritannien an Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg, London, 17.01.1783.[3]

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George Dritte von Gottes

Gnaden König von Groß Brittannien, Frank-

reich und Irrland. Beschützer des Glaubens.

Herzog zu Braunschweig und Lüneburg.

Des Heil. Römischen Reichs Ertz Schatzmei-

ster und Chur Fürst. Unsere Freundschaft

und was Wir mehr Liebes und Gutes ver-

mögen, zuvor Durchlauchtigster Fürst,

freundlich lieber Vetter. Ewr. Liebden

freundschaftliche Gesinnungen sind bey

Uns zu sehr in Werth als daß Wir nicht

auch diejenigen zu schützen wünschen, de-

ren Wir den erhaltenen Beweis Dero

Andenkens, bey Gelegenheit der aber-

mahls erlebten Jahrs Veränderung zu-

zuschreiben haben. Wir erwiedern

|<1rs>

daßelbe mit dem aufrichtigsten Gegen-Wunsch,

und ersuchen Ewr. Liebden Sich von der unver

änderlichen Ergebenheit und besondern Ach-

tung ferner versichert zu halten, womit

Wir Denenselben zu allen Freundvetter-

lichen Freundschafts-Bezeugungen stets wil-

lig und geflißen verbleiben. Geben

auf Unser, Palais zu St. James

den 17sten. Jan: des 1783sten. Jahrs Unseres Reichs

im Drey und Zwanstigsten.

Ewr. Liebden.

freundwilliger Vetter

George K.

An des Hertzogs zu

Sachsen Gotha [Berka?] Jh Alvensleben


[1] Quellen zu dem Essay: Marie Nosper, Zwischen adligen Zeilen. Zur symbolischen Bedeutung des Zeremonialschreibens für die soziale Konstituierung des europäischen Hochadels im 18. Jahrhundert, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2023, URL: <https://www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-131336>.

[2] Kunstsammlungen der Veste Coburg, A.I,619,(3),1.

[3] Kunstsammlungen der Veste Coburg, A.I,573,(1),4.


Zwischen adligen Zeilen. Zur symbolischen Bedeutung des Zeremonialschreibens für die soziale Konstituierung des europäischen Hochadels im 18. Jahrhundert[1]

Von Marie Nosper

Anlässlich der Geburt von Prinz August (1772-1822), Sohn von Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg (1745-1804), sandte König Gustav III. von Schweden (1746-1792) am 12. Januar 1773 ein Glückwunschschreiben nach Gotha. Über die Geburt des Prinzen am 23. November 1772 hatte das Gothaer Herzogtum, das im 18. Jahrhundert zu den kleineren mitteldeutschen Territorialstaaten zählte, wie es Sitte war, die Höfe, mit denen es in Beziehungen stand, durch ein Notifikationsschreiben unterrichtet. Wie aber kamen solche zeremoniellen Briefe zustande? Inwiefern ist aus ihnen die Einbettung der Gothaer Herzöge in das europäische Adelsnetzwerk und ihre Teilhabe daran ablesbar? Und mit welchen Praktiken trugen sie zu dessen Produktion und Reproduktion bei?

Die Gratulation König Gustavs III. ist im Format eines kleinen Briefes gehalten. Die deutschsprachige Handschrift ist die eines professionellen Schreibers: sauber, ordentlich und nicht ausgeschmückt. Nur der Abschlussgruß und die Unterschrift stammen vom König selbst. Den Anfang des Textes bilden Titel von Absender und Empfänger, was sofort den Rangunterschied betont. Ernst II. wird als „Vetter“ bezeichnet, eine zu dieser Zeit nicht ausschließlich für direkte Verwandte reservierte Betitelung, die ebenfalls für entfernte Verwandte oder Nichtverwandte des eigenen Standes verwendet wurde. Dabei bleibt zu beachten, dass der Adel in Europa häufig eine weitläufige Verwandtschaft aufwies. In jedem Fall vermittelt die Anrede ein gewisses Zeichen von wohlgesinnter Zugehörigkeit. Die Eröffnung mit Titulatur und förmlichem Gruß nimmt den größten Teil des Briefes ein.

Darauf folgt, auf wenigen Zeilen, die eigentliche Gratulation. Bemerkenswert ist der doppelte Glückwunsch: zur Geburt des Prinzen und zur glücklichen Entbindung der Herzogin. Der Text hebt die Anteilnahme König Gustavs an Lebensereignissen des Herzogs und die Freude über die Vermehrung des fürstlichen Hauses hervor. Beachtung verdient der Abschluss mit der Formulierung:[2]„[…] zu Erzeigung aller freundvetterl[iche]n Gefälligkeiten willig und geflißen verbleiben.“[3] Dies erscheint als positive Unterstreichung der Glückwünsche wie auch der Beziehung und ebnet somit den Weg für zukünftige maßvolle Bitten. Abschlussformel und Signatur sind vom König selbst verfasst, der damit persönlich über die Art des Abschiedsgrußes entschied. Am Ende des Blattes findet sich eine Kontrasignatur von Carl Albrecht Rosenadler, die den formellen Charakter des Dokuments betont.

Die Anteilnahme des Königs erfüllt, auch wenn sie von höflichen Standardformeln und Erwartungen der Zeit geprägt ist, trotzdem oder gerade deswegen den Zweck, eine gewisse Teilhabe an Lebensereignissen und politische Bindung an den Hof zu bekunden. Zugleich erkennt der schwedische König den Prinzen und späteren Herzog als Nachkommen des Herzogs von Gotha und damit als Mitglied des Adels an.[4]

Das Schreiben befindet sich heute in der Autographensammlung der Veste Coburg. Diese archiviert eine Reihe an Neujahrsgratulationen, Dankschreiben für dieselben und Kondolenzschreiben aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Begründet hatten die Sammlung Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha (1818-1893) und sein Bruder Albert (1819-1861), der spätere Gemahl Königin Viktorias von Großbritannien und Irland. Viele der hier aufbewahrten Dokumente waren an Mitglieder des Gothaer Herzogshauses gerichtet und stammten aus dem herzoglichen Ministerialarchiv Gotha. Unter den Schreibenden finden sich Vertreter unterschiedlichster europäischer Dynastien. Beispielhaft seien Königin Charlotte von Großbritannien (1776), Prinz Eugen von Savoyen-Carignan (1735), Fürst Friedrich August von Anhalt–Zerbst (1752), Kaiser Joseph II. (1765), Kaiser Karl VI. und Kaiser Leopold I. (1699) genannt.[5]

Wenngleich diese pflichtmäßigen Schreiben oft keine politisch interessanten Inhalte vermitteln, sind sie doch als Teil der fürstlichen Diplomatie in Europa von hoher Bedeutung. Anhand solcher Zeremonialschreiben lassen sich Vernetzung, Beziehungspflege und Rückversicherung der Zugehörigkeit zum Adel aufzeigen. Ihr Kern war vornehmlich die Übermittlung von Grußbotschaften, weshalb oft auf offenes Formulieren oder Dokumentieren konkreter Interessen verzichtet wurde. Sie sind Zeugen der Verbundenheit und der Pflege von Kontakten zu verschiedenen Zeiten in der Geschichte. Für das Herzogtum Gotha verweisen sie nicht nur auf die Anbindung an andere regionale Fürsten, insbesondere innerhalb des ernestinischen Familiennetzwerks, sondern dokumentieren auch die Verknüpfungen mit weiteren europäischen Herrscherhäusern bis nach Russland.

Die traditionelle Form des Zeremonialschreibens entsandte man dem Anlass entsprechend zu Geburten, Hochzeiten, Geburtstagen, Regierungsantritten, besonderen Feiertagen, Jahreswechseln oder Todesfällen. Letztere verlangten vom Empfänger ein Kondolenzschreiben. Notifikations- oder Berichtschreiben zählten ebenso zu den zeremoniellen Schreiben und dienten gleichfalls der Repräsentation und Herrschaftsfestigung. Mit ihnen informierte man andere Höfe über zentrale Ereignisse im Leben eines Adligen wie Geburten, Sterbefälle und Hochzeiten. Der Austausch von Berichtschreiben über besondere Lebensereignisse und die – selbstverständlich erwartete – Antwort darauf waren Kommunikationsstandards unter den europäischen Höfen. Diese Sonderform des Briefaustauschs war bis ins 18. Jahrhundert, gemäß dem diplomatischen Protokoll, zwischen verschiedenen Fürstenhäusern sowie nahen Verwandten allgemein gebräuchlich. Ebenso war das Verfassen von Neujahrsbriefen fester Bestand fürstlicher Kommunikation. Jahrhundertelang galten diese formellen Schriftstücke als Indikator für die Qualität der diplomatischen Beziehung. Verstöße gegen die Konventionen, wie z. B. das Ausbleiben einer Antwort in Form eines sogenannten Komplimentierbriefes, registrierte man aufmerksam, da dies als eine subtile, symbolische negative Nachricht und als Grund für einen Eklat gedeutet werden konnte. Jegliche zeremonielle Kommunikation war somit erst mit dem Erhalt einer angemessenen Antwort geglückt. Dabei sollte im Blick behalten werden, von welchen Fürsten eine Antwort erwartet werden durfte.

Wie andere Briefe dienten auch Zeremonialschreiben der Überbrückung von Distanz und Abwesenheit, als Vermittler zwischen den Höfen. Sie fingierten das persönliche Auftreten des Schreibers beim Adressaten. Schaut man genauer hin, lassen sich die Grußformeln mitunter als Indikator für die Qualität und Intensität der Beziehungen deuten. Aufschlussreich sind die ausgewählte Titulatur (Rangbezeichnung) auf dem Umschlag, die Titulatur zu Beginn und innerhalb des Textes sowie Signatur und Abschlussformel. Diese – über Höflichkeit hinausgehenden – zeremoniellen, komplexen, geregelten Optionen der Anrede- und Schlussformel in offiziellen Dokumenten wurden unter dem Begriff „Kurialien“ gefasst und besaßen sowohl funktionale als auch symbolische Bedeutung. Der Schreiber hatte somit formalrechtlich, aber nicht tatsächlich, die Möglichkeit, frei über die jeweiligen Kurialien zu entscheiden. Allerdings konnte jede Form der Veränderung zum Kontaktabbruch, zum Drängen auf Rechtsansprüche und zu Präzedenzfällen führen. Andererseits ermöglichte die Formelhaftigkeit der frühneuzeitlichen Korrespondenz das Erfassen von Standardformen ebenso wie das Ausmachen und Deuten von Entwicklungen oder Abweichungen von den Formalia.[6] Das Aufsetzen spezieller Notifikationsschreiben, wie beispielsweise Geburtsnotifikationsschreiben, sowie die Antwort darauf besorgte im Normalfall die Kanzlei. Unterschrieben wurden sie üblicherweise vom Fürsten persönlich, wie die Beispiele in der Autographensammlung der Veste Coburg belegen.[7]

Welch politisch-diplomatisch fester Bestandteil diese Formalitäten waren, führen Protokolle des Geheimen Rats von Sachsen-Gotha und Altenburg vor Augen. Zur Zeit der Frankreichreise von Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha und Altenburg 1786/87 sandte er periodisch Promemoria an den Fürsten mit Berichten über Regierungsangelegenheiten und zu unterschreibenden Dokumenten. Darunter fanden sich regelmäßig vorbereitete Antworten auf Notifikationsschreiben, etwa an Fürst Carl zu Hohenlohe-Kirchberg (1729-1819) auf die Geburtsnotifikation des Erbprinzen, an Prinz Friedrich von Dänemark (1753-1805) zur Geburt eines Prinzen, sowie ein Kondolenzschreiben an den König von Großbritannien (1738-1820) zum Ableben von Prinzessin Amalia (1711-1786). Eine Reaktion auf diese Berichtschreiben war so bedeutend, dass der Herzog in Frankreich darüber unterrichtet und die Antworten in die Wege geleitet wurden. Mit einem Protokoll vom 13. Dezember 1786 teilte die Kanzlei mit, dass die gewöhnlichen Neujahrsschreiben an die Könige von Großbritannien, Dänemark, Schweden und Preußen zur Unterschrift beiliegen.

Andere Persönlichkeiten stufte der Geheime Rat offenbar als nicht bedeutend genug ein, um den Herzog zu veranlassen, ihnen von unterwegs ein Neujahrsschreiben zukommen zu lassen; dazu gehörten Prinz Johann Adolf von Sachsen-Gotha-Altenburg (1721-1799), Erbprinzessin von Schwarzburg-Rudolstadt (1735-1788), Graf Hatzfeld zu Wien (1718-1793) und das Konsistorium zu Heidelberg. Diese Beispiele unterstreichen die Relevanz der Neujahrsschreiben besonders für die Kommunikation mit einflussreichen, dem Gothaer Hof rangmäßig übergeordneten Höfen. Ein Verzicht darauf kam aufgrund der notwendigen Beziehungspflege mit ranghöheren Adelsfamilien nicht in Frage. Stattdessen war es jeweils nötig abzuwägen, bei welchen Parteien des Gothaer Beziehungsnetzes es minder folgenreich wäre oder Verständnis fände, wenn wegen des Auslandsaufenthaltes des Herzogs auf einen Neujahrsgruß verzichtet würde.[8]

Ein weiteres Beispiel, das die Bedeutung der Zeremonialschreiben belegt, ist das Dankschreiben König Georgs III. von Großbritannien auf eine Neujahrsgratulation seines Cousins, Herzog Ernsts II. von Sachsen-Gotha-Altenburg, vom 17. Januar 1783. Die Verwandtschaft bestand über den gemeinsamen Großvater Friedrich II. von Sachsen-Gotha-Altenburg (1676-1732). Das Schreiben Georgs III. hat das Format eines zu der Zeit üblichen Briefes. Auf der letzten Blattseite findet sich die Anschrift von Schloss Friedenstein mit der Titulatur des Gothaer Herzogs, wie sie auch im Brief verwendet wird. Das Schreiben lag offenbar nicht in einem gesonderten Umschlag, sondern wurde zum Versenden gefaltet, adressiert und versiegelt. Verschlossen hatte man es mit Siegelwachs und dem darauf befindlichen Siegel des englischen Königs. Über der Adresse auf dem als Umschlag genutzten Blattteil findet sich in der Handschrift Herzog Ernsts II. das Datum der Briefannahme in Gotha am 29. Januar 1783. Die ersten Worte sind vom Schreiber kalligraphisch ausgeschmückt, der Rest des deutschsprachigen Textes ist gleichförmig und sauber, ohne weitere Zierde, die letzte, überlegte, Grußformel und die Unterschrift sind vom König selbst. Am Ende des Blattes findet sich eine Kontrasignatur von Johann Friedrich Karl von Alvensleben (1714-1795), die den formellen Regierungscharakter hervorhebt.

Der Brief beginnt mit einer förmlichen, knappen Titulatur des Königs und der Versicherung der Freundschaft. Der Adressat des Briefes wird mit „Durchlauchtigster Fürst“ und „freundlich geliebter Vetter“ angesprochen, ohne konkretere Titulatur oder Namensnennung. Es folgt der Dank für die Bezeugung der freundschaftlichen Gesinnung des Herzogs, die dem König wertvoll sei, eine Erwiderung der guten Wünsche und eine Beteuerung der unveränderten Ergebenheit, Achtung und Freundschaft. Der offizielle Charakter des Schreibens wird mit der bemerkenswerten Formulierung gemildert, man wünsche diejenigen zu schützen, denen man den Beweis ihres Andenkens bei dieser Gelegenheit gewogen beantwortete. Die förmlichen Floskeln werden hier und da von ausgewählten, wärmeren Worten aufgewertet. Trotz des Standesunterschieds scheint ein Ausdruck der Zugehörigkeit durch, wenn auch eher symbolisch. Im Vergleich zur Geburtsgratulation des schwedischen Königs erscheint das Dankschreiben des britischen Königs weniger distanziert. Die Bezeugung der gegenseitigen Verbundenheit durch wiederholte Betonung von Freundschaft, Achtung und gefühlvollen Wünschen tritt beim Dankschreiben für die Neujahrsgratulation deutlich hervor.[9]

Damit Zeremonialschreiben die ihnen zugedachte Funktion erfüllen konnten, waren Kenntnisse von Kommunikation, Ausdruck, Titulatur, Formalität, Hierarchie, politischen Verhältnissen, kurz: war politisches und soziales Wissen vonnöten. Der gemeinschaftsstiftende Charakter überbrückte auch größere räumliche Distanzen wie beispielsweise die zwischen Gotha und England, Schweden oder Österreich. Dieses spezielle Format der Kommunikation erlaubt Fragen zur Entwicklung, Wahrung und Weitergabe von Wissen um die korrekte zeremonielle Form und ebenso zum Prozess der Modifizierung von Zeremonialwissen. Hinweise auf Veränderungen in der Beziehung zwischen den Höfen ließen sich durch die gewählten Kurialien und evtl. unübliche Inhalte beobachten, die durch feinfühliges Zwischen-den-Zeilen-Lesen heute noch nachweisbar sind.

In Archiven haben sich einige dieser formellen Schriftstücke erhalten, von denen in der Vergangenheit ein Vielfaches existierte. Gründe für die lange Aufbewahrung von Zeremonialschreiben waren ihr repräsentativer Nutzen, die Möglichkeit, jederzeit Geschehnisse zurückzuverfolgen oder ein weiteres ideelles Zeichen der Diplomatie zu bewahren. Ein praktischer Nebeneffekt war die Möglichkeit ihrer Verwendung als Vorlage für künftige Schreiben. Der Umgang mit Zeremonialschreiben zu unterschiedlichen Zeiten – Archivierung, Aussortierung oder Eingang in Sammlungen, in denen sie katalogisiert wurden – wirft noch zu beantwortende Fragen über Wissenspraktiken an der Grenze zwischen politischer Praxis, Archivierung und Sammlung auf. Im 19. Jahrhundert war es noch üblich, Signaturen, Schriftstücke, Textteile, Notizen oder andere Dokumente mit der Handschrift bedeutender Persönlichkeiten zu sammeln. Zeremonialschreiben gelangten dadurch aus dem Archivkontext heraus in Autographensammlungen. Und so finden sich Autographensammlungen heute noch in London, St. Petersburg, Paris, Wien und anderen europäischen Bibliotheken. Selbst Königin Victoria von Großbritannien besaß Alben, in die ausgeschnittene Unterschriften namhafter Personen eingeklebt waren. Autographen zu sammeln, war offenbar in Mode, ja, ein Kult, dem auch Goethe anhing, der durch Vermittlung des Ministers Christian Gottlieb von Voigt im herzoglichen Archiv Weimar um Ausschnitte von Unterschriften bat; ein Vorgehen, an dem man nichts Verwerfliches fand. Doch dies ist eine andere Geschichte.[10]

Noch heute spielen, jenseits des Privaten, Glückwunsch-, Gruß-, Gratulations- und Kondolenzschreiben eine taktische Rolle in Wirtschaft, Diplomatie sowie unter Eliten. Zahllose Ratgeber bieten, wie in vergangener Zeit, Ratschläge für die Formulierung von Dankesbriefen, Gratulationen, Neujahrs- und Weihnachtsgrüßen oder Kondolenzschreiben, Variationen von Zeremonialschreiben im 21. Jahrhundert. Nach wie vor dienen sie der Bekundung von Anteilnahme an Lebensereignissen, dem Erzeugen von Zugehörigkeitsgefühlen, der Rückversicherung der Zugehörigkeit und gleichermaßen als Türöffner für weitere Kontakte. Ebenso bestehengeblieben ist ein Interesse an Hand- und Unterschriften in Form von Autogrammen von Autor:innen, Künstler:innen oder anderen bekannten Persönlichkeiten.

Die Omnipräsenz und Bedeutung der Zeremonialschreiben führte in Europa zu ihrer Aufbewahrung in den Regierungsarchiven, von wo aus sie ihren Weg in die Autographensammlungen Europas und bis hinein in die formelle Schreibpraxis des 21. Jahrhunderts fanden. Zeremonialschreiben kam im 18. Jahrhundert eine zentrale Rolle als eine Praktik der Konstitution, Stärkung und Interaktion des europäischen Adelsnetzes zu. Die qualitative und quantitative Teilhabe an dieser Kommunikation spiegelte bestehende Machtverhältnisse und das potenzielle soziale Kapital. Es diente dem beständigen Aushandeln, der Bestätigung und dem Ringen um die eigene Stellung unter den herrschenden Familien Europas. Eine gelungene Partizipation an diesem Zeremoniell eröffnete politisch weniger bedeutenden Herzogtümern wie Gotha vorteilhafte Wege, um durch familiäre Bindung und gezielte Kontaktpflege als fester Bestandteil am europäischen Adelsnetzwerk teilzuhaben.



[1] Essay zu den Quellen: Zeremonialschreiben an Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg (Stockholm 12.01.1773 und London 17.01.1783), [Transkript], in: Themenportal Europäische Geschichte, 2023, URL: <https://www.europa.clio-online.de/quelle/id/q63-77502>.

[2] Vgl. Kunstsammlungen der Veste Coburg, A.I, 619, (3), 1. Im Folgenden stammen alle Quellenzitate, soweit nicht anders vermerkt, aus der hier abgedruckten Quelle.

[3] Ebd.

[4] Vgl. ebd.

[5] Vgl. Silvia Böcking, „Das Blatt, wo seine Hand geruht ...". Die Autographensammlung von Prinz Albert und Herzog Ernst II. von Sachsen – Coburg und Gotha, Coburg 2013. S. 23, S. 29, S. 30, S. 52–59, S. 77, S. 182, S.131–321.

[6] Vgl. Barbara Stollberg-Rilinger, Zeremoniell, Ritual, Symbol: neue Forschungen zur symbolischen Kommunikation in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, in: Zeitschrift für historische Forschung, Bd. 27, Berlin 2000, S. 389–405, hier S. 390–391; vgl. Claudia Kollbach, Aufwachsen bei Hof: Aufklärung und fürstliche Erziehung in Hessen und Baden, Frankfurt am Main u. a. 2009, S. 115–116, S. 142–144.; vgl. Heiko Droste, Die Missglückte Aufwartung: Zu den Barrieren höfischer Kommunikation im Brief, in: Mark Hengerer (Hrsg.), Abwesenheit beobachten: zu Kommunikation auf Distanz in der Frühen Neuzeit. Forschungskolleg des SFB 485 "Norm und Symbol" an der Universität Konstanz, Zürich u. a. 2013, S. 79–93, hier S. 82–93; vgl. André Kirscher, Zeremonialschreiben in den Reichsstädtischen Aussenbeziehungen, in: ebd., S. 95–110, hier S. 95–97, S. 99–105; vgl. Britta Kägler, Briefkonventionen vs. Beziehungsdynamik. Die Korrespondenz zwischen Kurfürstin Henriette Adelaide von Bayern und ihrer Turiner Verwandtschaft (1652–1676), in: ebd., S. 111–132, hier S. 116; vgl. Peter Becker, Kommunikation, Netzwerke, Öffentlichkeit. Überlegungen zu einer Kommunikationsgeschichte der Verwaltung, in: Christina Antenhofer (Hrsg.), Werkstatt Politische Kommunikation: Netzwerke, Orte und Sprachen des Politischen: interecci, luoghi e linguaggi del "politico", Göttingen 2010, S. 305–334, hier S. 313–318.

[7] Vgl. beispielsweise: Kunstsammlungen der Veste Coburg, A.I, 573, (1), 4; Kunstsammlungen der Veste Coburg, A.I, 619, (3), 1; Kunstsammlungen der Veste Coburg, A.I, 96, (4), 1.

[8] Vgl. I.tes Unterthänigst gehorsamstes Pro Memoria, Friedenstein, 16.10.1786; V.tes Unterthänigst gehorsamstes Pro Memoria, Friedenstein, 21.11.1786; VIII.tes Unterthänigst gehorsamstes Pro Memoria, Friedenstein, 13.12.1786, in: Thüringisches Staatsarchiv Gotha, Geheimes Archiv, CCC VII Nr. 7.

[9] Vgl. Kunstsammlungen der Veste Coburg, A.I, 573, (1), 4. Im Folgenden stammen alle Quellenzitate, soweit nicht anders vermerkt, wiederum aus der hier abgedruckten Quelle.

[10] Vgl. Silvia Böcking, Das Blatt, S. 1–23.



Literaturhinweise:

  • Peter Becker, Kommunikation, Netzwerke, Öffentlichkeit. Überlegungen zu einer Kommunikationsgeschichte der Verwaltung, in: Christina Antenhofer (Hrsg.), Werkstatt Politische Kommunikation: Netzwerke, Orte und Sprachen des Politischen: interecci, luoghi e linguaggi del "politico", Göttingen 2010, S. 305–334.
  • Silvia Böcking, „Das Blatt, wo seine Hand geruht ...". Die Autographensammlung von Prinz Albert und Herzog Ernst II. von Sachsen – Coburg und Gotha, Coburg 2013.
  • Heiko Droste, Die Missglückte Aufwartung: Zu den Barrieren höfischer Kommunikation im Brief, in: Mark Hengerer (Hrsg.), Abwesenheit beobachten: zu Kommunikation auf Distanz in der Frühen Neuzeit. Forschungskolleg des SFB 485 "Norm und Symbol" an der Universität Konstanz, Zürich u. a. 2013, S. 79–93.
  • Britta Kägler, Briefkonventionen vs. Beziehungsdynamik. Die Korrespondenz zwischen Kurfürstin Henriette Adelaide von Bayern und ihrer Turiner Verwandtschaft (1652–1676), in: Mark Hengerer (Hrsg.), Abwesenheit beobachten: zu Kommunikation auf Distanz in der Frühen Neuzeit. Forschungskolleg des SFB 485 "Norm und Symbol" an der Universität Konstanz, Zürich u. a. 2013, S. 111-132.
  • André Kirscher, Zeremonialschreiben in den Reichsstädtischen Aussenbeziehungen, in: Mark Hengerer (Hrsg.), Abwesenheit beobachten: zu Kommunikation auf Distanz in der Frühen Neuzeit. Forschungskolleg des SFB 485 "Norm und Symbol" an der Universität Konstanz, Zürich u. a. 2013, S. 95-110.
  • Claudia Kollbach, Aufwachsen bei Hof: Aufklärung und fürstliche Erziehung in Hessen und Baden, Frankfurt am Main u. a. 2009
  • Georg Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefes. Zur Kulturgeschichte des deutschen Volkes, Berlin 1889.
  • Barbara Stollberg-Rilinger, Zeremoniell, Ritual, Symbol: neue Forschungen zur symbolischen Kommunikation in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, in: Zeitschrift für historische Forschung, Bd. 27, Berlin 2000, S. 389–405.

Quelle zum Essay
Zwischen adligen Zeilen: Zur symbolischen Bedeutung des Zeremonialschreibens für die soziale Konstituierung des europäischen Hochadels im 18. Jahrhundert
( 2023 )
Zitation
Zeremonialschreiben an Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg (Stockholm 12.01.1773 und London 17.01.1783), [Transkript], in: Themenportal Europäische Geschichte, 2023, <www.europa.clio-online.de/quelle/id/q63-77502>.
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