„Business shapes the world“. Das westeuropäische, verantwortungsbewusste Unternehmen der 1970er- und 1980er-Jahre[1]
Von Janis Maximilian Meder
Das Narrativ des gesellschaftlich verantwortungsbewussten Unternehmens scheint inzwischen omnipräsent zu sein. Ob internationaler Großkonzern oder mittelständischer Traditionsbetrieb, viele westeuropäische Unternehmen beziehen seit Jahren gesellschaftliche, kulturelle und politische Diskurse in ihre Außendarstellung ein. Das freiwillige, verantwortungsbewusste unternehmerische Handeln, oft als Corporate Social Responsibility (CSR) betitelt, gilt spätestens seit den 1990er-Jahren als gängige Praxis, um mit global-strukturellen Problemen umzugehen. Möglichst plakativ unterstützen viele Unternehmen umweltpolitischen Aktivismus, humanitäre Aktionen im Globalen Süden oder verschiedene soziale Bewegungen. Staatliche und überstaatliche Gemeinschaften verankern zudem privatwirtschaftliche Unternehmen programmatisch, um öffentlichen Forderungen nach mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu begegnen. Demnach definieren international anerkannte Referenzdokumente wie die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte soziale, ökologische und ökonomische Verantwortungsfelder von Unternehmen. Kritiker:innen verweisen hingegen darauf, dass privatwirtschaftliche Unternehmen vor allem vom kapitalistischen Zwang, Gewinne zu maximieren, getrieben werden. Sie werfen den in Frage stehenden Unternehmen vor, gemeinnützige Motive in Form von greenwashing oder healthwashing profitgesteuert zu missbrauchen.
Das Phänomen ist nicht neu: Bereits in der Antike wurden wirtschaftliche Praktiken mit moralischen Ansprüchen verknüpft. Die postmoderne Vorstellung, privatwirtschaftlich-unternehmerisches Handeln habe eine hohe ethische Relevanz für die Zivilgesellschaft, wurde allerdings wesentlich von der Protest- und Gegenkultur seit den 1970er-Jahren geprägt. So entfesselte sich, von den westlichen Industrienationen ausgehend, seit den späten 1960er-Jahren schubartig eine neuartige Sozialkultur, die als 68er-Bewegung in den Fokus der Öffentlichkeit rückte.[2] Unter dem Sammelbegriff verbanden sich verschiedene soziale und ökologische Teilbewegungen, die zusammen ein alternatives Milieu bildeten. Die zumeist jungen und akademisch gebildeten „Alternativen“ hinterfragten hergebrachte Konventionen, lehnten die Konsum- und Überflusskultur ab und propagierten stattdessen eigene Werte der Selbstbestimmung und -entfaltung. Diese Gegenkultur organisierte ihren Protest in Gruppen: Sie gingen geeint auf die Straßen von Metropolen wie London, Paris oder Berlin, um für den Umweltschutz, die Menschenrechte, die Gleichberechtigung der Geschlechter oder den Pazifismus zu demonstrieren.[3]
Ab den 1970er-Jahren rückte die Umweltbewegung in den Fokus der westlichen Öffentlichkeit, die zuvor eher eine Randerscheinung gewesen war. Die 1972 veröffentlichte Studie „Limits to Growth“ des Club of Rome, der im selben Jahr tagende erste Umweltgipfel der Vereinten Nationen in Stockholm und die Ölpreiskrisen 1973 und 1979 steigerten das öffentliche Interesse an ökologischen Themen. Indem die Ereignisse medial verbreitet wurden, beförderten sie in der westlichen Welt die Erkenntnis über globale, ökologische Zusammenhänge wie die Grenzen natürlicher Ressourcen und die industriell bedingte Umweltverschmutzung. So wuchs vor allem in Westeuropa und Nordamerika das Engagement im Umweltschutz. NGOs wie Greenpeace erregten durch plakative und symbolträchtige Aktionen Aufmerksamkeit für ihre Ziele. Politische Entscheidungsträger:innen maßen dennoch Konjunkturmaßnahmen zur Stärkung der Wirtschaft einen höheren Stellenwert bei als dem Umweltschutz, dessen Ziele zu abstrakt erschienen.[4] Junge Menschen in Westeuropa und Nordamerika hofften hingegen, zu ökologischen und sozialen Zielsetzungen beitragen zu können, indem sie Gegenstrukturen aufbauten. Dabei waren einige marktaffin und experimentierten seit den späten 1960er-Jahren mit unternehmerischen Konzepten. Sie eröffneten „Weltläden“, Naturkostläden oder Basare, die politische oder ökologische Ziele und nicht den Profit in den Vordergrund stellten. Oftmals dienten die Läden auch als Versammlungsorte für aktivistische Projekte oder die Verpackungen der vertriebenen Waren verbreiteten ideologische Nachrichten. Die Akteur:innen wollten die Domäne des freien Marktes nutzen und dazu beitragen, gesellschaftliche Probleme zu lösen.[5]
Als Anita Roddick am 27. März 1976 den ersten The Body Shop in 22 Kensington Gardens, Brighton, England, eröffnete, war sie nach eigenen Angaben zunächst nicht von politischen Idealen getrieben. Ihr Antrieb sei vor allem die Versorgung ihrer Familie gewesen. Dennoch beteuerte die Gründerin später in Interviews und in eigenen Publikationen, dass die Gegenkultur der 1970er-Jahre ihre Werte und Ideale und damit ihre vermeintlich ethisch geleitete Unternehmensführung geprägt habe.[6] Roddicks Wertvorstellungen wurden retrospektiv auch in der Außenwahrnehmung als wesentlich für den Erfolg des Unternehmens gelesen, wie die vorliegende Quelle zeigt.
In seinem Artikel „This woman has changed business forever“, der im Juni 1990 im New Yorker Wirtschaftsmagazin Inc. erschien, porträtierte der US-amerikanische Autor Bo Burlingham, Anita Roddick und beschrieb ihren vermeintlich alternativen Führungsstil.[7]Inc. berichtete seit 1979 in sechs Ausgaben jährlich über innovative Unternehmenskonzepte in den Vereinigten Staaten und wurde vor allem für die Rankings der am schnellsten wachsenden US-amerikanischen Unternehmen bekannt. The Body Shop expandierte mit der Eröffnung der ersten Filiale in New York am 1. Juli 1988 auf den US-amerikanischen Markt und geriet so in den Fokus der US-amerikanischen Wirtschaftspresse. Mit seinem Inc.-Artikel stellte Burlingham der US-amerikanischen Leserschaft ein Unternehmen vor, das 1990 bereits 13 Filialen in den Vereinigten Staaten führte und dort auf weiteres Wachstum abzielte. Der Autor war seit 1983 Redakteur bei Inc. und bereits an der frühen Berichterstattung des Magazins über die New Economy beteiligt. Von 1992 bis 1997 nahm er einen Platz im Vorstand von The Body Shop ein, was der euphorisch gestimmte Artikel vorauszudeuten vermag.
In einem positiv-überschwänglichen Ton beschreibt Burlingham The Body Shop als unternehmerisch alternativ und innovativ: „No matter whether people hate business or love it, they share the same cynical assumptions about it. Then there's Anita Roddick”,[8] schreibt er und grenzt die Body-Shop-Gründerin so von der als zynisch und konventionell betitelten Unternehmenswelt ab. Die Unterscheidung begründet Burlingham, indem er auf die Biographie und die Persönlichkeit der Gründerin verweist. Er folgt damit dem Personenkult, der von The Body Shop und Roddick selbst nicht zuletzt durch autobiographische Veröffentlichungen befeuert wurde. Die Gründerin bestimmte, wie sich das Unternehmen selbst wahrnahm, aber auch wie es sich nach außen hin präsentierte und verstanden wurde. Storytelling und weitere PR-Maßnahmen verknüpften dabei die persönliche Lebensgeschichte Roddicks mit der Unternehmensgeschichte. Schließlich wird ihr Lebensweg so inszeniert, dass dieser die als alternativ verstandene Unternehmenskultur zwingend voraussetzte. Die vermeintlich untypische Unternehmerin wurde mit dem Unternehmen gleichgesetzt.
Roddick wurde als Anita Lucia Perella am 23. Oktober 1942 in Littlehampton, England, in eine italienische Einwandererfamilie geboren. Ihre Familie führte ein italienisches Café, in dem sie und ihre Geschwister nach der Schule und an Wochenenden arbeiteten. Nach dem Abschluss ihres Lehramtsstudiums unternahm Roddick, gemäß ihrer Selbstbezeichnung als "Hippie", in den späten 1960er-Jahren ausgedehnte Reisen unter anderem nach Australien, Haiti und Südafrika. Sie arbeitete zeitweise als Lehrkraft sowie in der International Labour Organization der Vereinten Nationen in Genf. Nach ihrer Rückkehr vom „Hippie trail“ lernte sie den jungen Schotten Gordon Roddick in Littlehampton kennen. Sie heiratete ihn 1970 während einer USA-Reise und bekam mit ihm zwei Töchter. Als Gordon Roddick sich allerdings 1976 dazu entschloss, seinen Lebenstraum zu erfüllen, zwei Jahre lang zu Pferd von Buenos Aires nach New York City zu reisen, stand die 34-jährige Anita Roddick vor der finanziellen Herausforderung, ihre Töchter alleine zu versorgen. So eröffnete sie ein kleines Kosmetikgeschäft, das ausschließlich Kosmetika und Pflegeprodukte auf Basis natürlicher Inhaltsstoffe vertrieb und das sie schlicht The Body Shop nannte. Zunächst stellte Roddick die Produkte selbst in ihrer eigenen Küche her, doch mit dem Wachstum des Unternehmens wurden die Produktion und die Logistik sukzessiv professionalisiert.
Die Unternehmenskommunikation, die Werbung und die PR waren, so argumentiert Burlingham, für den schnellen Erfolg entscheidend. Narrative Mittel schufen ein Image von Authentizität und ermöglichten es Mitarbeiter:innen und Kund:innen gleichermaßen, eine persönliche Bindung zum Unternehmen aufzubauen. The Body Shop sollte einerseits vermarktet werden, andererseits diente die Unternehmenskommunikation vermeintlich einem höheren Ziel. So schreibt Burlingham in Bezug auf Roddick: „She is creating a community, a global community”[9] und führt diese Aussage weiter aus: „The members of this community believe that companies should actually help solve major social problems-not by contributing a percentage of their profits to charity, but by using all their resources to come up with real answers”[10]. Um seine Argumentation zu unterstützen, fügt der Autor Aussagen der Gründerin ein, in denen sie erklärt, dass sie die Unternehmensführung an ethischen Prinzipien ausgerichtet habe. Demzufolge wollte Roddick die kapitalistische Marktwirtschaft unterwandern und langfristig reformieren. Vor allem seit dem Börsengang im April 1984 war sich die Gründerin der Wirkungsmacht von The Body Shop bewusst und verknüpfte die Unternehmensführung zunehmend mit gesellschaftlichen Zielstellungen. An anderer Stelle formulierte Roddick ihre Einstellung folgendermaßen: „Business shapes the world. It is capable of changing society in almost any way you can imagine“.[11] Unternehmen seien, so Roddick, schneller, effizienter und anpassungsfähiger als die meisten Regierungen oder politischen Konstrukte. Gemeinsam mit US-amerikanischen Unternehmen wie Ben & Jerryʼs Ice Cream oder patagonia sah sie The Body Shop als Vorreiter und als Bestandteil eines sich herausbildenden alternativen Wirtschaftssektors, der sich konsumindustriellen Verwertungsmechanismen zu entziehen suchte.[12] Roddick betrachtete ihr Unternehmen somit als eine Form des zivilgesellschaftlichen Engagements. Für die Gründerin war es nicht widersprüchlich, ein Unternehmen profitabel und gleichzeitig gesellschaftlich engagiert zu führen. Diesen Ansatz befürwortet Burlingham und bezeichnet The Body Shop als „symbol of this new business consciousness”.[13]
Dem Bewusstsein folgte eine konkrete Praxis, die der Autor lobend hervorhebt. Der Anspruch, ethisch zu wirtschaften, zeige sich somit zunächst daran, wie The Body Shop strukturiert, die Arbeitsprozesse organisiert, aber auch wie die Produkte und die Filialen gestaltet wurden. Das Unternehmen benannte fünf Felder, in denen es sich an ethischen Grundsätzen orientiere: Tierschutz, Fairer Handel, Selbstachtung, Menschenrechte und Umweltschutz. Roddick sprach sich früh gegen Tierversuche zur Herstellung von Kosmetika und gegen Werbung, die unrealistische Schönheitsideale zeigte, aus. Sie verzichtete gänzlich auf kommerzielle Werbung und auf ein Marketing-Team und verwendete für ihre Produkte nur natürliche, von indigenen Traditionen inspirierte Zutaten, die nicht an Tieren getestet wurden. Vorwürfen, wonach sie indigene Traditionen und Erfahrungen zu kommerziellen Zwecken instrumentalisiere, begegnete Roddick, indem sie auf einen gegenseitigen Austausch von Ressourcen hinwies und fairen Handel mit indigenen Gruppen betrieb. Das Unternehmen sollte indigene Stämme demnach in die eigenen Handelsketten integrieren und ihnen, gemäß dem Slogan „trade not aid“, helfen, sich selbst zu helfen. Seit den 1980er-Jahren kooperierte The Body Shop mit NGOs, um Kampagnen umzusetzen, oder initiierte eigene aktivistische Projekte. So entwarf Roddick beispielsweise die Stop-the-burning-Kampagne gegen das Abbrennen des Regenwaldes durch die Privatwirtschaft oder gemeinsam mit Greenpeace die Save-the-whales-Kampagne gegen den Walfang zur Produktion von Kosmetika. 1986 richtete sie eine Abteilung ein, die sich ausschließlich mit ökologischen Kampagnen beschäftigte.
Burlingham hebt hervor, dass es für The Body Shop wesentlich war, das gesellschaftliche Engagement auch zu kommunizieren. Graphische und sprachliche Mittel in einem leichten und humorvollen Ton lieferten Informationen zu den ökologischen und sozialen Kampagnen, den Inhaltsstoffen der Produkte oder deren richtiger Anwendung. Informationstexte und Abbildungen wurden seit den 1980er-Jahren in Form von Plakaten in Schaufenstern platziert, auf Flugblättern, Broschüren und an den Außenseiten der Liefertrucks abgedruckt oder in Videos gezeigt. In diesem Kontext adaptierte die Gründerin oftmals das von der 68er-Bewegung entlehnte Konzept der subversiven Aktion, bei der durch ungewöhnliche Situationen Aufmerksamkeit erzeugt werden soll.[14] Zudem wurden die Angestellten in einem internen Newsletter oder bei Kursen im unternehmenseigenen Trainingszentrum in London über die Kampagnen informiert und kommunikativ geschult. Auf diese Weise vermittelte das Unternehmen die sozialen und ökologischen Ideale und Ziele und schuf so Vertrauen und moralische Autorität. Schließlich vertrieb The Body Shop auf diese Weise ein gutes Gewissen für eine junge, zunehmend kritische und gebildete Generation. Die erstarkende Umweltbewegung lieferte hier einen wesentlichen politischen und kulturellen Bezugspunkt. Die steigenden Absatzzahlen bezeugten, dass die Kund:innen diesen Ansatz wertschätzten.
Als Burlinghams Artikel 1990 veröffentlicht wurde, waren 14 Jahre seit der Eröffnung des ersten The Body Shop vergangen. Das Unternehmen war inzwischen erheblich gewachsen, handelte in 37 Ländern und verzeichnete steigende Millionen-Umsätze, teilweise bis zu 50 Prozent jährlich. Das Franchising ermöglichte es dem Unternehmen, schnell in weitere britische Städte, ab 1978 in das europäische und daraufhin in das globale Ausland zu expandieren. The Body Shop konnte auch die Umbruchsituation auf dem europäischen Kosmetik- beziehungsweise Drogeriemarkt nutzen. In den 1970er-Jahren verschwanden in allen europäischen Ländern die klassischen Drogeriefachgeschäfte, um den wachsenden Drogerieketten zu weichen. Die neuen Franchising-Unternehmen konnten auf deutlich größeren Flächen mit kleineren Sortimenten Marktanteile gewinnen. Ein westdeutsches Beispiel ist der Aufstieg des Unternehmens dm. The Body Shop war damit symptomatisch für den Wandel im europäischen Einzelhandel. Mit dem Inc.-Artikel verweist Burlingham schließlich auf das Potential, in den Vereinigten Staaten noch weiter zu wachsen, zumal 75 Prozent der Einnahmen immer noch aus Großbritannien stammten. Der Autor betont, dass die transatlantische Expansion und das weitere schnelle Wachstum aber auch Gefahren mit sich bringen würden.
Der Entwurf von The Body Shop, eine Alternative zur herkömmlichen kapitalistischen Marktwirtschaft zu bilden, war Burlingham zufolge seit den späten 1980er-Jahren gefährdet. Kapitalistische, marktwirtschaftliche Logiken drohten das Unternehmen zu transformieren. Der Autor hebt den Anpassungsdruck an die kapitalistische Marktwirtschaft hervor: Die Shareholder:innen forderten eine Steigerung des Umsatzes. Die Franchise-Betreiber:innen drängten auf ein schnelleres Wachstum des Unternehmens. Neue Angestellte und Manager:innen verlangten weniger subversiven Aktivismus, weil sie finanziell vorausschaubar planen wollten. Die Kompromisse nahmen zu, während Meetings und professionelle Management-Strukturen mit bestehenden Arbeitsprozessen abwechselten. Eine „language of budgets and profits“[15] drängte in das Unternehmen, und 1990 fürchtete Roddick, dass eine „fat-cat mentality“[16] einziehen würde. Ihr zufolge habe die alternative Unternehmenssprache, die sich durch Spontaneität und Leichtigkeit auszeichnet, The Body Shop bisher von der Konkurrenz unterschieden. „Once again, the difference is Anita“,[17] schreibt Burlingham und betont, dass Roddick gegen die Einflüsse ankämpfen wolle, sodass The Body Shop nicht in den vermeintlich konventionellen marktwirtschaftlichen Strukturen aufgehen würde, sondern das „alternative“ Unternehmen blieb, als welches es sich darstellte. Nichtsdestotrotz veränderte sich das Unternehmen in den folgenden Dekaden. Es fokussierte nicht mehr die wirtschaftliche Reform des Marktes, sondern begnügte sich allmählich damit, möglichst gesunde und naturbelassene Waren bereitzustellen. 2006, ein Jahr vor Roddicks Tod an Hepatitis C, wurde The Body Shop von der LʼOréal-Gruppe übernommen, was viele Zeitgenoss:innen als Kapitulation interpretierten.
Burlinghams Artikel erschien zur Zeit eines scheinbaren Wendepunkts in der Unternehmensgeschichte von The Body Shop. Der Autor beschreibt, wie professionalisierte Strukturen in die Unternehmensführung einzogen. Gleichzeitig argumentiert er, dass The Body Shop als privatwirtschaftliches Unternehmen profitorientiert handeln musste. Roddick entwarf die ökologischen und sozialen Kampagnen strategisch zum Nutzen des Unternehmens. Anliegen, die nicht Roddicks Kriterien entsprachen oder dem Unternehmen finanziell hätten schaden können, wurden regelmäßig abgelehnt, so Burlingham. Die Kampagnen erregten Aufsehen, waren so stets auch Werbung für das Unternehmen und steigerten langfristig den Profit. Weiterhin förderte die Bildung und Ausbildung der Angestellten nicht nur deren persönliche Entwicklung, sondern verbesserte auch den Kunden-Service, was sich letztlich positiv auf die Reputation des Unternehmens auswirkte. Schließlich war es für The Body Shop notwendig, sich auf dem kapitalistischen Markt zu behaupten, um als privatwirtschaftliches Unternehmen bestehen zu können.
Es ist fraglich, inwiefern The Body Shop als eine Alternative zu anderen, vermeintlich konventionellen Unternehmen bezeichnet werden kann. Von einer Transformation vermeintlich konventioneller marktwirtschaftlicher Strukturen lässt sich kaum sprechen. Vielmehr zeigt sich, dass der Konflikt zwischen Konsumkritik und Konsumstil der Idee vom alternativen, verantwortungsbewussten Unternehmen stets inhärent war. Der Wertewandel in den westlichen Gesellschaften seit den 1960er-Jahren ermöglichte es jungen Unternehmer:innen wie Anita Roddick, schnell zu expandieren. Zivilgesellschaftliches und ökologisches Engagement stellten einen Wettbewerbsvorteil dar. Roddick leitete keine marktwirtschaftliche Reform ein, sondern handelte stets nach kapitalistischen Logiken. Dennoch beschreibt Burlingham die Gründerin als ein unternehmerisches Vorbild und vergleicht das Unternehmen mit einer politischen Bewegung, die Angestellte und Kund:innen gleichermaßen, vor allem kommunikativ, begeistere. Der Inc.-Artikel zeigt schließlich auf, wie das Narrativ des verantwortungsbewussten Unternehmens durch unternehmerische Akteure wie The Body Shop gezielt geformt wurde und sich in der öffentlichen Wahrnehmung manifestierte. Burlingham bewertet Roddicks Unternehmensführung in diesem Sinne überschwänglich positiv und argumentiert als ihr Unterstützer. Diese Perspektive mag ein Grund dafür sein, dass der Autor, zwei Jahre nachdem Inc. den Artikel veröffentlichte, einen Platz im Vorstand von The Body Shop einnahm.
The Body Shop spiegelt gesellschaftlichen Wandel in den westlichen Industrienationen. Die Unternehmensgeschichte ist symptomatisch für die Idee, postmoderne Wirtschaftsunternehmen als ethisch relevante Akteure zu verstehen. Durch westeuropäische Unternehmen wie The Body Shop wurden linksgerichtete und umweltpolitische Ziele seit den 1970er-Jahren in kapitalistische Verwertungsmechanismen eingegliedert, wodurch ein breit gefächertes Konsumangebot entstand. Heute beruft sich The Body Shop auf vergangene Aktivitäten und beschreibt seine Geschichte nach wie vor als Kampf für eine gerechte und schönere Welt. 2019 verkaufte LʼOréal das Unternehmen an den brasilianischen Konzern Natura. Die Geschichte von The Body Shop ist damit nicht abgeschlossen. Als Alternative zu einem Markt, der ethische Wertzuschreibungen verschiedener Art als herkömmliches Mittel zum Absatz nutzt, kann The Body Shop allerdings nicht mehr betrachtet werden.
[1] Essay zu der Quelle: Auszüge aus dem Artikel: Bo Burlingham, This woman has changed business forever, in: Inc. Magazine (06.06.1990), in: Themenportal Europäische Geschichte, 2023, URL: <https://www.europa.clio-online.de/quelle/id/q63-77979>.
[2] Vgl. Tim Schanetzky, Die große Ernüchterung: Wirtschaftspolitik, Expertise und Gesellschaft in der Bundesrepublik 1966 bis 1982, Berlin 2007, S. 47.
[3] Vgl. beispielsweise Detlef Siegfried, Time Is on My Side. Konsum und Politik in der westdeutschen Jugendkultur der 60er Jahre, Göttingen 2006; vgl. Ronald Inglehart, The Silent Revolution. Changing Values and Political Styles among Western Publics, Princeton 1977.
[4] Vgl. Stephanie Hagemann-Wilholt, Das „gute“ Unternehmen. Zur Geschichte der Unternehmenskommunikation, Bielefeld 2015, S. 379.
[5] Vgl. Joshua Clark Davis, From Head Shops to Whole Foods. The Rise and Fall of Activist Entrepreneurs, New York 2017, S. 17–19; vgl. Geoffrey Jones, Profits and Sustainability: A History of Green Entrepreneurship, Oxford 2017.
[6] Vgl. Anita Roddick / Russell Miller, Body and Soul, London 1991, S. 123.
[7] Vgl. Bo Burlingham: This woman has changed business forever, in: Inc., Vol. 12, Nr. 6, Juni 1990, S. 34–41.
[8] Ebd., S. 40.
[9] Ebd., S. 39.
[10] Ebd.
[11] Vgl. URL:<https://www.thebodyshop.com/en-us/about-us/our-story/a/a00002> (letzter Zugriff 13.4.2022).
[12] Vgl. Roddick / Miller, Body and Soul, S. 16; vgl. Davis, From Head Shops to Whole Foods, S. 191.
[13] Burlingham, This woman, S. 35.
[14] Vgl. Detlef Siegfried, 1968: Protest, Revolte, Gegenkultur, Ditzingen 2018, S. 150.
[15] Burlingham, This woman, S. 40.
[16] Ebd., S. 34.
[17] Ebd., S. 39.
Literaturhinweise: